# taz.de -- Atomkraftwerk in Polen: Die Angst vor der Wolke | |
> Die Polen wollen ein Kraftwerk bei Danzig bauen. Käme es dort zu einem | |
> Unfall, wäre laut einer Studie auch Berlin betroffen. Jetzt macht | |
> Greenpeace Druck. | |
Bild: Das ist ein AKW in Deutschland. Bald soll so eins auch in Polen stehen. N… | |
Von der polnischen Ostseeküste zieht ein glutroter Streifen gen Südwesten, | |
überquert Berlin und franst über Westdeutschland zu einer | |
orange-gelb-grünen Wolke aus. Die Farbtöne stehen für Konzentrationen des | |
radioaktiven Isotops Caesium 137 in der Luft – nach einem fiktiven schweren | |
Unfall in einem polnischen Atomkraftwerk bei Danzig. Das gibt es zwar noch | |
nicht, aber die Baupläne werden immer konkreter. Und wenn es in einem | |
solchen AKW zur Kernschmelze käme, so besagt es eine am Montag von | |
Greenpeace veröffentlichte Studie, müsste Berlin je nach Wetterlage | |
komplett evakuiert werden. | |
Das „Nationale Kernenergieprogramm“ der Regierung in Warschau sieht den Bau | |
des ersten polnischen AKW bis zum Jahr 2024 vor. Die beiden Standorte in | |
der engeren Wahl – Lubiatowo und Zarnowiec – liegen westlich von Danzig und | |
rund 400 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt. Greenpeace hatte die | |
Universität Wien damit beauftragt, die Ausbreitung von Radioaktivität im | |
Falle einer Havarie zu simulieren. Angesichts des Ergebnisses fordert die | |
Umweltorganisation die Regierungen von Bund und Ländern auf, den AKW-Plänen | |
im Nachbarland entschiedener entgegenzutreten. | |
Bürger und Politiker in Berlin und Brandenburg haben schon mehrfach in den | |
vergangenen Jahren ihre Ablehnung der polnischen Atompläne deutlich | |
gemacht. Im Rahmen einer nach EU-Regularien durchgeführten „Strategischen | |
Umweltprüfung“ meldete das Potsdamer Umweltministerium Ende 2011 erhebliche | |
Sicherheitsbedenken an. Eine Bürgerinitiative aus der Uckermark übergab der | |
polnischen Botschaft 20.000 Unterschriften – und das Berliner | |
Abgeordnetenhaus rang sich Anfang 2012 einen fraktionsübergreifenden | |
Beschluss ab, mit dem der Senat aufgefordert wurde, den polnischen Behörden | |
ins Gewissen zu reden. | |
## Erinnerung an Fukushima | |
Die Landesregierung verwies seinerzeit auf ein Schreiben, das Umweltsenator | |
Michael Müller (SPD) an die Kernkraft-Bevollmächtigte im polnischen | |
Wirtschaftsministerium geschickt hatte. „Die Regierung des Landes Berlin | |
und der überwiegende Teil seiner Bürgerinnen und Bürger lehnen die | |
friedliche Nutzung der Kernenergie ab“, heißt es darin. Müller verweist auf | |
das Gefahrenpotenzial von Atomkraftwerken, was die Katastrophe von | |
Fukushima erneut verdeutlicht habe. Der Senator bittet die Regierung in | |
Warschau, ihr Atomenergieprogramm zu überprüfen und verleiht seiner | |
„Erwartung Ausdruck (…), dass diese Überprüfung zum Verzicht auf einen | |
Einstieg Polens in die Hochrisikotechnologie Kernenergie führt“. | |
Laut Michael Schäfer, dem energiepolitischen Sprecher der Grünenfraktion, | |
kam aus Polen nie eine Antwort. Aber auch der Senat, so Schäfer, schulde | |
dem Abgeordnetenhaus eine Antwort: auf die Frage nämlich, warum er seine | |
rechtlichen Möglichkeiten im Rahmen des EU-Rechts nicht ausgeschöpft habe, | |
um Druck auf Polen auszuüben. Auch das stand in dem von allen Abgeordneten | |
verabschiedeten Parlamentsbeschluss. Rechtlich fragwürdig ist unter | |
anderem, ob Polen mit den geplanten Subventionen für den AKW-Bau gegen die | |
strengen Vorgaben des EU-Elektrizitätsbinnenmarkts verstößt. „Der Senat | |
sollte die Interessen Berlins mit deutlich mehr Vehemenz vertreten“, | |
folgert Schäfer. | |
## Polnische Regierung wartet ab | |
Das Geschehen in Brüssel beobachtet man in Warschau aber auch ohne Berlins | |
Zutun mit Interesse. Laut Greenpeace-Atomexpertin Susanne Neubronner wartet | |
die polnische Regierung ab, was die Diskussion über den Reaktor Hinkley | |
Point C ergibt, dessen Errichtung die britische Regierung über | |
Garantiepreise subventionieren will. Sollte die EU das unterminieren, | |
könnte auch das AKW-Projekt für Polen uninteressant werden. | |
Daniel Buchholz (SPD) will dennoch nichts anbrennen lassen. Der | |
umweltpolitische Sprecher hat das Thema „polnisches AKW“ bereits auf die | |
Tagesordnung des zuständigen Arbeitskreises seiner Fraktion gesetzt. Dort | |
soll über mögliche politische Schritte beraten werden. Gegenüber der taz | |
sagte Buchholz, Polen setze auf Atomenergie als Alternative zum | |
einheimischen Klimakiller Kohle und den Gaslieferungen aus Russland. Man | |
versuche dennoch, den Nachbarn „in freundschaftlichen Gesprächen“ zu | |
vermitteln, dass die Atomenergie eine „Sackgasse“ sei. | |
Ursprünglich hatte man in Warschau auch den Standort Gryfino an der Oder | |
als AKW-Standort geprüft. In diesem Fall hätte die Entfernung zur Berliner | |
Innenstadt gerade einmal 100 Kilometer betragen. | |
10 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prösser | |
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