# taz.de -- 28 Jahre nach Tschernobyl: Fitte Vögel dank Radioaktivität | |
> Sie sind größer und haben weniger Gendefekte. Das haben Biologen bei | |
> Vögeln in Tschernobyl festgestellt. Ihre Ergebnisse lassen Raum für | |
> Zweifel. | |
Bild: Nicht sehr fit: eine Amsel in der Nähe von Tschernobyl. | |
BERLIN taz | Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl liegt 28 Jahre zurück. | |
Ihre Folgen für Flora und Fauna sind noch immer spürbar. Pünktlich zum | |
Jahrestag haben Wissenschaftler eine Studie mit positiven Effekten auf | |
einige Vogelarten veröffentlicht. Die Ergebnisse der Studie sind allerdings | |
hochumstritten. | |
Biologen der Universität Paris-Süd haben in und nahe der radioaktiv | |
verseuchten Sperrzone Vögel untersucht. Die Tiere seien größer und hätten | |
weniger genetische Schäden, als solche in weniger belasteten Gebieten, | |
[1][berichten sie im Fachjournal Functional Ecology]. | |
Das Team um Ismael Galván hat 150 Vögel gefangen, die 16 verschiedenen | |
Arten angehören, darunter Amseln, Rauchschwalben und Kohlmeisen. Dann | |
wurden Blut-, Sperma und Federproben untersucht, dabei zeigte sich, dass | |
Tiere, die an stärker belasteten Orten gefangen wurden, fitter sind. Neben | |
der erhöhten Körpergröße wiesen sie eine größere Konzentration eines | |
sogenannten Antioxidans auf, das im Organismus zur Abmilderung von | |
Strahlenschäden zuständig ist. Das könnte die Ursache für die geringeren | |
Strahlenschäden an der DNS der Vögel sein, folgern die Wissenschaftler. | |
Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass sich zumindest manche Wildtiere an | |
eine erhöhte Strahlenbelastung anpassen können, schreiben die Forscher. | |
Möglicherweise vererbten die Vögel ihren angepassten Stoffwechsel sogar | |
ihrem Nachwuchs. „Diese Ergebnisse geben uns einen Einblick, welche | |
unterschiedlichen Möglichkeiten verschiedene Spezies haben, um sich | |
Herausforderungen wie Tschernobyl oder Fukushima zu stellen“, sagt Galván. | |
Das sehen viele Wissenschaftler ganz anders. So hält Bernd Grosche vom | |
Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Methode der Datenerhebung für | |
unzulässig, das gilt auch für viele der getroffenen Aussagen und | |
Schlussfolgerungen. | |
## Mangelhaftes Versuchsdesign | |
Hauptkritikpunkt ist das Versuchsdesign: Die Vögel wurden an einem | |
bestimmten Standort mit Netzen eingefangen. Dort wurde dann mit einem | |
Dosimeter die Strahlenbelastung der Umgebung gemessen. Daraus einen | |
Rückschluss auf Dauer und Stärke der Strahlenbelastung der Tiere zu ziehen, | |
erscheint sehr gewagt. Grosche weist darauf hin, dass unklar ist, wo sich | |
die Vögel bis zum Zeitpunkt des Fangs aufgehalten haben und wie stark dort | |
die Radioaktivität war. Gleiches gelte für die Belastung der aufgenommenen | |
Nahrung. | |
Als Beleg für die Wertigkeit ihres Dosimetrieverfahrens, also der | |
Übertragbarkeit von extern gemessener Strahlung auf die interne Belastung | |
der Vögel, führen die Autoren ein von ihnen verfasstes, aber | |
unveröffentlichtes Mausskript an. Ein sehr unübliches Verfahren im | |
Wissenschaftsbetrieb. | |
Galván und seine Co-Autoren Mousseau und Møller wurden bereits vor Jahren | |
wegen methodischer Fehler und, daraus resultierend, nicht zulässiger | |
Folgerungen [2][von Kollegen international kritisiert]. Die Darstellung der | |
Autoren, dass die Antioxidantien sich durch Radioaktivität vermehrt würden, | |
kommentiert Grosche so: „Das ist eine Lehrmeinung, die ich bisher so noch | |
nicht gehört habe.“ | |
## Strahlung und Abwesenheit von Menschen | |
Die beiden wesentlichen Faktoren, die die Flora und Fauna um Tschernobyl | |
beeinflussen, sind die Strahlenbelastung und die Abwesenheit von Menschen. | |
Die positiven und negativen Wirkungen der beiden Faktoren überlagern sich. | |
Die Reduktion der Anpassungseffekte bei den untersuchten Vögeln auf die | |
Strahlung ist wenig sinnvoll, so Grosche. | |
Er weist darauf hin, dass man die Messergebnisse auch ganz anders | |
interpretieren könne: Die Vögel leben in einer von Menschen ungestörten | |
Umgebung. Das verringert den Stress für die Tiere deutlich. Auch so könnte | |
sich die Größenzunahme erklären lassen. Ein Effekt, der auch auf ehemaligen | |
Truppenübungsplätzen zu beobachten ist, die nicht radioaktiv belastet sind. | |
Martin Steiner, Leiter der AG Radioökologie am BfS, hat einen ähnliche | |
Studie durchgeführt, bei der es um die radioaktive Belastung von | |
Wildschweinen in Deutschland ging. Bei seinem deutlich aufwändigeren | |
Versuchsdesign wurden die Tiere mit Sendern ausgestattet. So konnten | |
Bewegungsprofile erstellt werden. Auch der Mageninhalt der Wildschweine | |
wurde analysiert, so dass man die Strahlenbelastung der Nahrung ableiten | |
konnte. Mit einer analogen Methode hätten Galván und seine Kollegen | |
belastbare Daten erheben können. So bleibt es bei einer nur auf den ersten | |
Blick spektakulären Studie. | |
26 Apr 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1365-2435.12283/abstract | |
[2] http://www.biology.ualberta.ca/palmer/pubs/05MollerComm/MollerExchange.htm | |
## AUTOREN | |
Patrick Loewenstein | |
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