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# taz.de -- Generalbundesanwalt über Spionage: „Wir sind nicht die NSA“
> Vorratsdatenspeicherung und Bundestrojaner seien notwendig, sagt
> Generalbundesanwalt Harald Range. Neidisch auf die NSA ist er aber nicht.
Bild: Noch immer prüft Harald Range mögliche Ermittlungen gegen die NSA.
taz: Herr Range, seit Beginn des NSA-Skandals, also schon seit einem
Dreivierteljahr, prüfen Sie, ob hier der Anfangsverdacht einer Straftat
vorliegt.
Harald Range: Das ist ein äußerst komplexes Thema.
Kann es sein, dass Sie so lange prüfen, bis sich niemand mehr an den
NSA-Skandal erinnert?
Nein, keine Sorge, das wird keine unendliche Prüfung. Und hier wird auch
nichts künstlich hinausgezögert.
Sie werden also noch in diesem Jahr entscheiden, ob Sie nun ermitteln oder
nicht?
Natürlich. So bald wie möglich.
Warten Sie immer noch auf Antworten der Bundesregierung?
Nein, inzwischen haben alle angefragten staatlichen Stellen Informationen
geliefert. Jetzt bewerte ich diese und andere Informationen. Dann treffe
ich meine Entscheidung.
Hat die Kanzlerin um Rücksicht gebeten, weil die Amerikaner in der
Krimkrise enge Partner sind und nicht verärgert werden sollen?
Nein. Die Bundesregierung blockiert mich nicht und sie drängt mich auch
nicht. Ich habe freie Hand.
Sie müssen also in eigener Verantwortung entscheiden, ob ein
Ermittlungsverfahren gegen US-Geheimdienstler die deutschen Interessen
beeinträchtigen könnte?
Darum geht es im Moment nicht. Derzeit prüfe ich, ob überhaupt ein
Anfangsverdacht für eine verfolgbare Straftat vorliegt. Nur wenn ich das
bejahe, komme ich zu der Frage, ob überwiegende öffentliche Interessen
einem Ermittlungsverfahren entgegenstehen – was bei Spionagedelikten zu
prüfen ist.
Liegt der Schwerpunkt Ihrer Prüfung auf dem mutmaßlich abgehörten Handy der
Kanzlerin oder auf der Massenüberwachung der deutschen Bevölkerung?
Greifbarer ist die mögliche Überwachung der Kanzlerin. Mehr kann ich dazu
derzeit nicht sagen.
Haben Sie Kontakt zu Edward Snowden?
Sein Anwalt hat sich an mich gewandt. Über diesen habe ich angefragt, ob
Herr Snowden konkrete Anhaltspunkte für eine gegen Deutschland gerichtete
geheimdienstliche Agententätigkeit geben kann. Bisher habe ich noch keine
Antwort erhalten.
Sind Sie manchmal neidisch auf die NSA?
Wie meinen Sie das?
Na, hätten Sie gerne auch so viele Daten zur Verfügung?
Ich bin Staatsanwalt, kein Geheimdienstler.
Das weiß ich. Das war jetzt auch keine juristische, sondern eine emotionale
Frage: Denken Sie nicht manchmal, was Sie alles aufklären könnten, wenn Sie
auch so viele Daten zur Verfügung hätten wie die NSA?
Nein. Ganz ehrlich, das habe ich bisher noch nie gedacht. Das wäre auch
nicht mit meinem Verständnis einer rechtsstaatlichen Strafverfolgung
vereinbar.
Brauchen wir dann die Vorratsdatenspeicherung?
Verbindungsdaten der Telekommunikation können bei Ermittlungen in vielerlei
Hinsicht nützlich sein. Mit wem hat das Opfer zuletzt gesprochen? Ist das
Alibi glaubwürdig? Wer kennt wen? Bei schweren Taten sollten die Ermittler
auf solche Verbindungsdaten zugreifen können.
Wie oft fehlen Ihnen derzeit Verbindungsdaten, weil sie von den
Telefonfirmen zu schnell gelöscht wurden?
Das kann ich nicht sagen, darüber führe ich keine Statistik.
Finden Sie es nicht unverhältnismäßig, wenn der Staat verlangt, dass die
Telekom- und Internetverkehrsdaten der ganzen Bevölkerung monatelang auf
Vorrat gespeichert werden, nur für den Fall, dass die Polizei diese Daten
mal benötigt?
In den Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht 2010 gezogen hat, finde
ich die Vorratsdatenspeicherung verantwortbar. Insbesondere die
Beschränkung des Zugriffs auf schwere Straftaten ist mir wichtig.
Wie lange sollten die Daten zwangsgespeichert werden?
Drei Monate dürften genügen – wie es im Koalitionsvertrag vereinbart ist.
Anderes Thema: Würden Sie gerne Trojaner nutzen, um Internet-Telefonate,
die via Skype geführt werden, abzuhören?
Ja, das ist bei schweren Straftaten notwendig. Da solche Telefonate
zwischen den Teilnehmern verschlüsselt sind, müssen wir an der Quelle, also
am Computer, ansetzen, um die Kommunikation vor der Verschlüsselung
ausleiten und überwachen zu können. Wir nennen das
Quellen-Telekommunikationsüberwachung, kurz: Quellen-TKÜ.
Geht es dabei auch um verschlüsselte E-Mails?
Ja. Auch hier kann die Quellen-TKÜ helfen.
Gehören auch Screenshots von E-Mails, die gerade geschrieben werden, zur
Quellen-TKÜ?
Nein. Erst wenn eine E-Mail verschickt wird, handelt es sich um
Kommunikation. Auf Entwürfe nicht versandter Mails wollen wir mit der
Quellen-TKÜ nicht zugreifen.
Wie relevant ist Ihr Problem?
Es beschäftigt uns zunehmend. Terrorverdächtige, vor allem im rechten
Bereich, sprechen am normalen Telefon oft nur noch über Alltägliches.
Sobald es für uns interessant wird, wechseln sie auf verschlüsselte
Kommmunikationskanäle.
Warum bitten Sie nicht einfach Skype um Hilfe?
Nach unseren Informationen bietet Skype keine Möglichkeit, Gespräche zu
entschlüsseln. Deshalb macht es auch keinen Sinn, Anfragen an Skype zu
stellen.
Der Geheimdienst NSA scheint aber Zugriff auf Skype-Telefonate zu haben …
Wir sind nicht die NSA.
Was also brauchen Sie?
Eine Rechtsgrundlage für die Quellen-TKÜ.
Sind Sie sicher? Viele Staatsanwaltschaften der Länder praktizieren die
Quellen-TKÜ schon seit Jahren und stützen sich dabei auf die allgemeine
Befugnis zur Telekommunikationsüberwachung.
Wir glauben, dass das nicht genügt, weil die Installation einer speziellen
Software auf dem privaten Computer ein zusätzlicher, schwerwiegender
Eingriff ist.
Sie verzichten derzeit also auf den Einsatz von Trojanern zur Quellen-TKÜ?
Natürlich. Wir handeln nicht ohne gesetzliche Befugnisnorm.
Und wer müsste diese schaffen?
Der Bundestag. Erforderlich ist eine Regelung in der Strafprozessordnung –
selbstverständlich mit einem Richtervorbehalt.
Laut Koalitionsvertrag will man die Vorschriften über die
Quellen-Telekommunikationsüberwachung „rechtsstaatlich präzisieren“.
Verstehen Sie, was damit gemeint ist?
Nicht im Detail. Es zeigt mir aber, dass die Politik sich der Problematik
annehmen will.
Gibt es denn derzeit überhaupt einsatzfähige Trojaner?
Das BKA arbeitet daran und will bis Ende 2014 fertig sein.
Sie wünschen sich also eine Rechtsgrundlage für die Quellen-TKÜ, obwohl es
noch keine einsatzfähigen Trojaner gibt?
Auch Gesetzgebung braucht Zeit. Wir gehen davon aus, dass ein Trojaner, der
allen Anforderungen genügt, rechtzeitig bereitsteht.
Wo liegt eigentlich das Problem mit den Trojanern?
Der Chaos Computer Club hat 2011 auf Schwachstellen hingewiesen, die jetzt
beseitigt werden.
Geht es darum, dass die Trojaner, die manche Bundesländer eingesetzt haben,
sich nicht zwingend auf die Überwachung von Telefonaten und E-Mails
beschränken, sondern auch Zugriff auf den Inhalt des Computers nehmen
können?
Wohl ja.
Das heißt, die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts von 2008 können
immer noch nicht erfüllt werden?
Wie gesagt, das BKA arbeitet daran. Es führt derzeit selbst keine
Quellen-TKÜ durch und hat auch den Ländern empfohlen, bis auf Weiteres auf
diese Maßnahme zu verzichten.
Braucht die Bundesanwaltschaft auch eine Befugnis zur heimlichen Ausspähung
von Computer-Festplatten mit Hilfe von Trojaner-Software?
Das steht für mich nicht auf der Tagesordnung. Das Bundesverfassungsgericht
hat hierfür hohe Hürden aufgestellt – zu Recht, wie ich meine. Letztlich
handelt es sich aber um eine politische Entscheidung.
Ihr früherer Stellvertreter Griesbaum hatte die Einführung der
Onlinedurchsuchung zur Strafverfolgung gefordert.
Das war seine private Meinung.
Das BKA darf seit 2009 – zu präventiven Zwecken – heimlich
Computer-Festplatten ausspähen. Wie oft hat das BKA davon Gebrauch gemacht?
Das müssen Sie das BKA fragen. Mir sind aus unserer Zusammenarbeit mit dem
BKA aber keine Ermittlungserfolge bekannt, die so gewonnen wurden.
Als Folge aus dem Ermittlungsdesaster gegen den rechten NSU-Terror soll der
Generalbundesanwalt gestärkt werden. Um was geht es dabei?
Grundsätzlich sind für die Strafverfolgung die Staatsanwaltschaften der
Länder zuständig. Künftig soll es einfacher für uns sein, die Ermittlungen
bei schwersten Straftaten mit einem möglichen politischen Motiv zu
übernehmen. Außerdem sollen die Länder gesetzlich verpflichtet werden, uns
bei in Frage kommenden Fällen sehr früh zu informieren, damit wir unsere
Zuständigkeit prüfen können.
Hätten Sie die NSU-Morde frühzeitig aufgeklärt und so die Mordserie
unterbrochen?
Das kann niemand sagen. Aber wenn es eine auf Terror-Ermittlungen
spezialisierte Staatsanwaltschaft gibt, ist es wichtig, dass sie bei Fällen
mit einem denkbaren terroristischen Hintergrund frühzeitig einbezogen wird.
17 Mar 2014
## AUTOREN
Christian Rath
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