# taz.de -- Gentrifizierung in Hamburg: Bauen gegen die Wohnungsnot | |
> Die Mieten steigen, es fehlt bezahlbarer Wohnraum. Im Wahlkampf ist | |
> Wohnungspolitik eines der Lieblingsthemen von Bürgermeister Olaf Scholz. | |
Bild: Neue Wohnungen sollen in Hamburg entstehen. Aber wie teuer werden sie? | |
HAMBURG taz | Elf große Buchstaben, die vom Knoten seiner Krawatte bis über | |
die Schulter reichen, hat Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) im laufenden | |
Wahlkampf auf sein Plakat schreiben lassen. Nun ragt, am letzten Samstag im | |
Januar, sein Kopf triumphal über die Tausenden Demonstranten hinweg. Seine | |
knappe Antwort auf die „Recht auf Stadt“-Bewegung und die Debatte um | |
Gentrifizierung, sie lautet: „Wohnungsbau“. | |
Vor gut vier Jahren hatte die gentrifizierungskritische Bewegung in der | |
Stadt einen Höhepunkt erreicht. Von Slogans wie „Leerstand zu Wohnraum“ und | |
„Mietenwahnsinn stoppen“ fühlten sich viele Hamburger angesprochen. | |
Heute stehen wieder mehrere tausend Demonstranten vor den Landungsbrücken | |
am Hamburger Hafen auf der Straße, um unter dem Motto „Recht auf Stadt – | |
Never mind the Papers“ vor das Hamburger Rathaus zu ziehen. Doch ihr | |
Anliegen ist heute ein anderes. An die Mobilisierungskraft klassischer | |
Gentrifizierungskritik scheinen sie kurz vor der Wahl der Bürgerschaft | |
nicht mehr so recht zu glauben. | |
Hier und da geht es zwar auch um Wohnungen – aber um Wohnungen für | |
Flüchtlinge, von denen es in der Stadt viel zu wenige gibt. | |
## Eine Antithese zur SPD | |
Diejenigen, die am meisten von Verdrängung betroffen sind, habe man nicht | |
für die gemeinsame Sache gewinnen können, erklärt einer der Demonstranten. | |
Das ist heute offenbar etwas anders: Mit der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ | |
hat auch die Recht auf Stadt-Bewegung ein neues politisches Subjekt | |
gefunden, mit dem man nun zusammen protestiert. Und mit der Frage nach | |
einem kollektiven Bleiberecht auch wieder eine klar umrissene politische | |
Antithese zur in Hamburg allein regierenden SPD. Diese rückte keinen Meter | |
von ihrem Angebot nach Einzelfallprüfung ab und entschied sich, das Thema | |
bis zur Bürgerschaftswahl auszusitzen. Ganz anders verhält es sich mit der | |
Wohnungspolitik, mit der Bürgermeister Olaf Scholz im Wahlkampf punkten | |
will: Es ist kurz vor der Bürgerschaftswahl eines seiner Lieblingsthemen. | |
Wenngleich das Thema Gentrifizierung heute auf der Demonstration keine so | |
große Rolle zu spielen scheint, hat sich die Lage auf dem Hamburger | |
Wohnungsmarkt nicht wesentlich verbessert. | |
Laut Mietenspiegel kostet eine Altbauwohnung an der Reeperbahn oder am | |
Schulterblatt unweit des autonomen Stadtteilzentrums Rote Flora im Schnitt | |
nur 8,80 Euro kalt. Aber es ist schwer geworden auf St. Pauli oder in | |
Altona eine neue Wohnung unter zwölf Euro pro Quadratmeter zu finden. | |
Mietpreise von 14 Euro sind auch längst keine Seltenheit mehr. | |
Ob angekurbelter Wohnungsbau, soziale Erhaltungsverordnungen, oder die | |
kommende Mietpreisbremse, die Liste der Maßnahmen und Instrumente, die die | |
SPD gegen die viel zitierte Gentrifizierung anführt, ist immerhin länger | |
geworden. Die Bilanz ihrer selbst erklärten „sozial verträglichen | |
Wohnungspolitik“, ist dagegen ungleich ernüchternd. Selbst die SPD räumt | |
ein, dass sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt in den letzten vier Jahren | |
nicht wirklich entspannt hat. | |
Den eigenen Anspruch haben sie sogleich tiefer gehängt: Immerhin sei die | |
Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht noch weiter eskaliert, sagt der | |
Stadtentwicklungsexperte der SPD, Dirk Kienscherf. Aber die Schuld dafür | |
sucht er beim schwarz-grünen Vorgängersenat: „Vor 2011 wurden zehn Jahre | |
lang – und gerade angesichts steigender Bevölkerungszahlen – in Hamburg | |
viel zu wenige Wohnungen gebaut.“ Genau das hat Olaf Scholz mit seinem | |
Regierungsziel 6.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen, geändert. | |
## Fehlende Sozialwohnungen | |
Konkret hat der Scholz-Senat den sogenannten „Vertrag für Hamburg“ | |
geschlossen, ein Pakt zwischen dem Senat und den Bezirken, der die | |
Genehmigungsverfahren für Neubauprojekte beschleunigen soll. Seitdem | |
rechnet die SPD gerne vor, dass in ihrer Regierungszeit seit 2011 fast | |
37.000 Baugenehmigungen für neue Wohnungen erteilt wurden. Es dauerte | |
allerdings zwei weitere Jahre bis die Zielvorgabe von 6.000 Wohnungen pro | |
Jahr erstmals erreicht wurde: 2013 standen sie erstmals nicht nur auf dem | |
Papier, sondern wurden tatsächlich in Beton gegossen. | |
Auch um den sozialen Wohnungsbau wollte sich die SPD stärker kümmern. Doch | |
erst im vergangenen Jahr erfüllte sie ihr selbst gestecktes Ziel, 2.000 | |
öffentlich geförderte Wohnungen jährlich bauen zu lassen. Weil die | |
städtische Wohnungsgesellschaft Saga/GWG erstmals seit Langem mit | |
nennenswerten Neubauzahlen aufwarten konnte. 2013 wurden dagegen laut | |
Stadtentwicklungsbehörde lediglich 1.330 geförderte Wohnungen fertig, laut | |
der Linksfraktion sogar nur 654. | |
Um den Ausverkauf der städtischen Grundstücke für Vermögende zu bremsen, | |
hatte sich die SPD entschlossen, öffentliche Flächen nicht mehr an den | |
Meistbietenden zu verkaufen. Dennoch wurden in den letzten Jahren viele | |
städtische Flächen verkauft, um von Investoren bauen zu lassen. | |
Obwohl die SPD-Regierung von Olaf Scholz weit mehr Wohnungen mit | |
Mietpreisbindung fördert, als es die CDU in den zehn Jahren davor getan | |
hat, und durch Modernisierungszuschüsse im Bestand Hunderte von | |
Mietpreisbindungen vertraglich absichert, ist der Saldo immer noch negativ: | |
Allein 2012 hat die Stadt unter dem Strich 3.000 Sozialwohnungen verloren. | |
Von 2013 bis 2017 werden es über 30.000 Wohnungen sein. | |
## Kritik der Linken | |
Und während rund 400.000 Hamburger Haushalte wegen ihres geringen | |
Einkommens einen Anspruch auf geförderten Wohnraum haben, gibt es nur | |
100.000 Sozialwohnungen. Auch deshalb fordert die Linksfraktion, mit dem | |
Ankauf von Sozialbindungen langfristig günstigen Wohnraum zu schaffen. Denn | |
nach dem Auslaufen der gebundenen Mietpreise des sozialen Wohnungsbaus, | |
sind die Mieter von exorbitant steigenden Mieten bedroht. | |
Die Linksfraktion bewertet die sozialdemokratischen Bemühungen, gegen | |
Gentrifizierung vorzugehen, ohnehin ganz anders. „Auch unter der | |
SPD-Regierung schreiten der Mietenwahnsinn und die Wohnungsnot in Hamburg | |
munter voran“, sagt deren wohnungspolitische Sprecherin Heike Sudmann. Im | |
Schnitt hätten sich die Mieten in dieser Zeit um knapp sechs Prozent | |
erhöht. | |
Dass es darüber hinaus in der Stadt „immer noch an 30.000 bis 90.000 | |
Wohnung mangelt, ist eine optimale Bedingung für Aufschickung und | |
Verdrängung in den innenstadtnahen Vierteln“, sagt Sudmann und bemängelt, | |
dass zwei Drittel der neu zu bauenden Wohnungen teure Miet- und | |
Eigentumswohnungen werden sollen. Und dass, obwohl doch die Hälfte der | |
Hamburger Haushalte so wenig Einkommen haben, dass ihnen eine öffentlich | |
geförderte Wohnung zusteht. | |
## Maßnahmen gegen Verdrängung | |
Ein weiteres Instrument gegen Gentrifizierung ist die sogenannte soziale | |
Erhaltungsverordnung. Mit dieser sollen Aufwertungsmaßnahmen, die über den | |
gebietsüblichen Standard hinausgehen sowie die Umwandlung von Miet- in | |
Eigentumswohnungen erschwert werden. So soll die Bevölkerung vor | |
unerwünschter Verdrängung geschützt werden. In Stadtteilen wie St. Georg, | |
St. Pauli, Sternschanze oder in Altona, wo der Verdrängungsdruck sehr hoch | |
ist, wurde diese Verordnung eingeführt. | |
Dass ein Gentrifizierungsprozess aber auch von dieser Regierung nicht immer | |
unerwünscht ist, zeigte sich in der Vergangenheit vor allem am Beispiel des | |
Hamburger Stadtteils Wilhelmsburg. Hier wurde die Einführung einer sozialen | |
Erhaltungsverordnung verworfen, weil dort trotz steigender Mieten ein | |
Aufwertungsprozess immer noch erwünscht war. | |
Und die Grünen? Als Bürgermeister Olaf Scholz’ erklärter | |
Lieblingskoalitionspartner in spe, finden die Grünen gar lobende Worte für | |
die Wohnungspolitik seines amtierenden Senats. So hob ihr | |
wirtschaftspolitischer Sprecher Anjes Tjarks, die wohnungsbaupolitischen | |
Bemühungen des SPD-Senats kürzlich auf einer Diskussionsveranstaltung in | |
Altona hervor. Jan Dube, der Sprecher der grünen Bürgerschaftsfraktion | |
betont hingegen, dass die SPD „keinerlei eigene Initiativen gegen | |
Gentrifizierung in Gang gesetzt hat“. Im Kern setze sie bei diesem Thema | |
weitgehend auf Rezepte, die seinerzeit von der früheren grünen | |
Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk initiiert worden waren. | |
Angesichts steigender Mieten war der Wohnungsmarkt auch schon 2011 eines | |
der vorrangigen Wahlkampfthemen. Damals waren sich eigentlich alle fünf | |
etablierten Parteien einig, dass pro Jahr 6.000 Wohnungen gebaut werden | |
müssten. Bei dieser Wahl ist es Olaf Scholz jedoch gelungen, das Thema für | |
sich zu verbuchen. | |
Obwohl auch schon die schwarz-grüne Koalition unter der grünen Senatorin | |
Hajduk die Marschroute 6.000 neue Wohnungen festlegte, wurden damals nur | |
etwa die Hälfte gebaut. Das hat sich unter dem SPD-Bürgermeister Olaf | |
Scholz tatsächlich geändert. | |
## Scholz im Alleingang | |
Seither hat er das Thema besetzt und es folgt auf jede stolze Präsentation | |
seiner neuesten Wohnungsbauzahlen, sogleich der Hinweis seiner Kritiker, | |
dass diese Zahlen die Wohnungen, die für Neubauten weichen mussten, nicht | |
saldieren und dass das Erreichte immer noch zu wenig ist. Dennoch ist es | |
Scholz gelungen, sogar seine schärfsten Widersacher in die Defensive zu | |
bringen. | |
Die Gentrifizierungskritiker in der Stadt müssen sich jedenfalls an ihm | |
abarbeiten. „Olaf Scholz und seine SPD haben 2011 die Marschroute klar | |
definiert: bauen, bauen, bauen“, erklärt das Bündnis „Mietenwahnsinn | |
stoppen“. Fertiggestellt worden seien seitdem allerdings vorrangig teure | |
Wohnungen, die mit mehr als zwölf Euro pro Quadratmeter selbst für | |
NormalverdienerInnen nicht mehr bezahlbar seien. Die Zahl günstiger | |
Wohnungen sei Jahr für Jahr weiter rückläufig, „weil die SPD den Konflikt | |
mit den Immobilienunternehmen scheut“. Verlierer dieser Politik seien Arme, | |
Flüchtlinge und Wohnungslose. | |
„Was wir brauchen ist Wohnungspolitik für die Menschen“, so erklärt das | |
gentrifizierungskritische Bündnis, nicht für die Immobilienunternehmen. | |
7 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
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