# taz.de -- Streit um Golden Pudel Club: Die kulturelle Identität St. Paulis | |
> Der Golden Pudel Club in Hamburg steht auf der Kippe. Nach einem Streit | |
> der Eigentümer droht nun die Zwangsversteigerung. | |
Bild: Andy Grote von der SPD: „Wir sind uns da einig: Der Pudel muss bleiben�… | |
Steht man auf dem kleinen Platz über dem Golden Pudel Club in St. Pauli, | |
könnte der Blick in verschiedene Richtungen kaum gegensätzlicher sein. Da | |
thront die St.-Pauli-Kirche, die durch ihre Aufnahme von Flüchtlingen | |
bekannt geworden ist. Ein Stück weiter steht ein Luxusapartmenthaus, das | |
zur Hälfte dem Suhrkamp-Streitprotagonisten Hans Barlach gehört. Zur | |
linken, unteren Seite blickt man auf die River-Kasematten, ein | |
Nobelrestaurant vom ehemaligen Rote-Flora-Besitzer Klausmartin Kretschmer. | |
Und inmitten dieses Kuddelmuddels fristet das kleine Häuschen des | |
Pudel-Clubs sein vergnügliches Dasein. | |
Friedlich grenzt es an den Park Fiction, dem Park mit den Plastikpalmen, | |
dessen Gelände von Anwohnern und Künstlern Mitte der 1990er Jahre vor der | |
Bebauung gerettet und neu gestaltet wurde. Gleich mitgerettet wurde damals, | |
unweit der berühmt-berüchtigten Häuser an der Hafenstraße, das kleine | |
Anwesen des Golden Pudel Clubs, das vom Abriss bedroht war. Park und Pudel | |
bilden seither eine Oase der Subkultur, die der Kommerzialisierung des | |
Stadtteils popkulturell den Stinkefinger zeigt und eine ähnlich treue | |
Gemeinde um sich versammelt wie ihre kirchliche Nachbarin. | |
Doch der dauerhafte Erhalt des Pudel-Clubs ist zurzeit ernsthaft gefährdet. | |
Der Grund dafür ist hausgemacht. Die juristischen Eigentümer, der Musiker | |
und Autor [1][Rocko Schamoni] sowie Wolf Richter befinden sich im Streit, | |
den sie vor Gericht austragen. Zusammen hatten sie das [2][Haus 2008 | |
gekauft und sich später verkracht]. Richter bestand darauf, das obere | |
Stockwerk privatwirtschaftlich zu nutzen, während Schamoni im Sinne der | |
Clubtradition den darunterliegenden Club als nichtkommerziellen, | |
öffentlichen Ort aufrecht erhalten wollte. [3][Nun droht die | |
Teilungsversteigerung] – eine Form der Zwangsversteigerung, die häufig bei | |
verkrachten Ehepaaren eingesetzt wird, die im gleichen Haus wohnen. | |
## Für Bürger suspekt | |
Das Pudel-Haus am Hafenrand mit Elbblick meistbietend zum Verkauf? Das mag | |
sich niemand so recht vorstellen. „Da über Geld zu reden, macht keinen | |
Sinn“, sagt Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen Zitronen, der zusammen | |
mit Schamoni den Pudel-Club einst gegründet hat. Kamerun sitzt in einem | |
Café in St. Pauli, hält ein portugiesisches Croissant in der Hand und kommt | |
gar nicht dazu, es zu essen, so viel liegt ihm auf dem Herzen. Er erzählt, | |
wie er damals Anfang der 1990er mit Schamoni und dem inzwischen | |
verstorbenen Wiener-Norbert den Pudel eröffnete: „Dieses Haus wollte | |
niemand haben, damals war die Gegend dem Bürger noch suspekt.“ Er erzählt | |
von der aktuellen Pudel-Kampagne „The freaks are alright“, die sich für den | |
dauerhaften Erhalt des Pudels einsetzt. „Wichtig ist, jetzt zu | |
kommunizieren“, so Kamerun, „dass der Pudel mehr als ein Kaufobjekt ist, | |
nämlich eine Haltung, die nicht zum Angebot steht“. | |
Zerstrittene Eigentümer, frühere Freunde, unterschiedliche Vorstellungen. | |
Angesprochen auf die juristische Eskalation, lässt Wolf Richter unwirsch | |
verlauten, er fühle sich missverstanden und wolle nicht mit der taz über | |
Details sprechen. | |
Doch von den intern verhärteten Fronten abgesehen, geht es im Streit um den | |
Pudel auch um die weitere Entwicklung eines umkämpften Stadtteils. Sollte | |
der Streit zwischen zwei Privatparteien wirklich dazu führen, dass Hamburg | |
einen seiner bekanntesten subkulturellen Orte verliert? Sollte es zur | |
Zwangsversteigerung kommen, geht es auch um einen Stadtteil, dessen Wert | |
zunehmend in Summen berechnet wird, und in denen die jetzigen Bewohner | |
immer weniger zählen. | |
„Wer glaubst du, wer du bist, uns kaufen zu können?“, schreit Schorsch | |
Kamerun als Parkuhr verkleidet samt Mistreitern durch ein Megafon in die | |
Kamera. Mit dem dreiminütigen Film, den die Kampagne „The Freaks are | |
alright“ gedreht hat, wenden die Pudel-Unterstützer sich an die | |
Öffentlichkeit. Sebastian Reier alias DJ Booty Carrell hat mit Kamerun die | |
Texte für die Kampagne geschrieben. | |
Wie viele andere kam er in jungen Jahren mit dem Pudel in Kontakt, lernte | |
dort das Auflegen und durfte später in seiner Konzertreihe nach Lust und | |
Laune Fahrradorchester oder japanische Noise-Künstler einladen. Wie seine | |
Mitstreiter ist er dem Pudel tief verbunden. „Die ganze Situation ist das | |
Resultat eines großen Fehlers“, gibt er zu. „Aber wir wollen aus dem Fehler | |
lernen: Der Pudel soll in Zukunft nie wieder irgendjemandem gehören.“ Nach | |
Meinung der Kampagne sollte der Besitz künftig sozialisiert werden, durch | |
eine Stiftung. Und das Haus dauerhaft durch das Pudel-Kollektiv bespielt | |
bleiben. | |
## Vertrackte Situation | |
„Die Situation ist vertrackt, weil sie ja von innen heraus entstanden ist“, | |
sagt Niels Boeing, der bei der Anwohnerinitiative [4][„St. Pauli selber | |
machen“] und im Netzwerk [5][„Recht auf Stadt“] aktiv ist. „Aber der | |
Konflikt hat eine höhere Ebene, bei der es um wesentliche Fragen geht: | |
Welche Bedeutung haben Orte wie der Pudel? Wer entscheidet über | |
Veränderungen in der Stadt?“ | |
Besorgt verfolgt Boeing die Entwicklungen des Stadtteils, in dem er selbst | |
wohnt: „St. Pauli ist wichtig für die ‚Marke Hamburg‘ und wird deshalb v… | |
der Politik zum Event- und Touristenstandort gepusht“, sagt er. Im Sommer | |
zwänge sich der Schlagermove über die Reeperbahn, die Vattenfall-Bühnen auf | |
dem privatisierten Spielbudenplatz würden mit wechselnden Großevents | |
bespielt. Auch deshalb, meint Boeing, sei es nun so wichtig, was mit dem | |
Pudel als alternativen Ort passiere. | |
Doch was ist das eigentlich heute, ein alternativer Ort? Die Definition | |
gibt Pudel-Betreiber Kamerun zu denken. „Letztens habe ich eine | |
Mercedes-Werbung gesehen, die einem das Fürchten lehrt“, sagt er. In dem | |
Spot fährt ein glatt gestriegelter Blonder nachts durch die Großstadt, die | |
Stimme aus dem Off zählt verschiedene Orte auf: Das Kurzfilmfestival. Die | |
Galerie. Die Künstler, Untergrund-Clubs, trendige Bars. Am Ende sagt der | |
Fahrer: „Wo immer ihr euch versteckt, ich finde euch sowieso.“ Es sei wie | |
ein Schlag ins Gesicht, sagt Kamerun. „Wenn solch Anderssein heute auf den | |
Namen ‚Sehr teures Auto‘ hört, wie schwierig ist es dann für uns, einen O… | |
der wirklichen Gegenkultur zu behaupten?“ | |
Andy Grote von der SPD, Bezirksamtsleiter in Hamburg Mitte und Altona, an | |
deren Grenzen der Club liegt, stellt fest: „Wir sind uns da einig: Der | |
Pudel muss bleiben.“ Der Club habe „eine zentrale Bedeutung für die | |
kulturelle Identität St. Paulis.“ Falls also jemand glaube, den Pudel | |
ersteigern, umgestalten oder gar abreißen zu können, müsse er mit den | |
Bezirken und schwierigen baurechtlichen oder gewerberechtlichen Verfahren | |
rechnen. | |
## Organismus schützen | |
Man würde „alles in der Macht der Bezirke Stehende tun“, sagt Grote, um den | |
„subkulturellen Organismus“ um den Pudel zu schützen. Auch aus der | |
Kulturbehörde heißt es in einem offiziellen Statement, man sei sich der | |
Bedeutung des Pudels für die kulturelle Vielfalt St. Paulis bewusst und | |
würde es sehr begrüßen, wenn er erhalten bliebe. | |
Alle, der DJ, der Betreiber, der Stadtteilaktivist und der SPD-Politiker, | |
scheinen sich einig zu sein, dass der Pudel bleiben muss. Ist das Problem | |
also gelöst, der Kampf überflüssig? Wohl kaum, so wie es derzeit ausschaut, | |
entscheiden am Ende die Gerichte und der Geldbeutel. Aber auch die | |
Drohkulisse. Die könnte potenzielle Investoren von außen abschrecken, hier | |
mit größeren Summen gegen des Pudels Kern einzusteigen. | |
17 Apr 2015 | |
## LINKS | |
[1] /!63834/ | |
[2] /!145810/ | |
[3] /!157678/ | |
[4] http://www.st-pauli-selber-machen.de/ | |
[5] http://www.rechtaufstadt.net/ | |
## AUTOREN | |
Carla Baum | |
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