# taz.de -- Die Goldenen Zitronen auf Englisch: Dem toten Frosch den Arsch rett… | |
> Die Goldenen Zitronen haben für „Flogging a Dead Frog“ Songs ihrer | |
> letzten Alben neu eingespielt und auf Englisch gesungen. Nicht die beste | |
> Idee. | |
Bild: Gehen ihren Weg gar nicht so konsequent, wie es hier aussieht: Die Golden… | |
Seit Langem schon ist Englisch nicht mehr die Lingua franca der Popmusik. | |
Da ist die Frage angemessen, warum die Hamburger Band Die Goldenen Zitronen | |
das vierte Jahrzehnt ihres Bestehens ausgerechnet mit einem Album | |
einläutet, das englische Versionen von Songs und Instrumentals ihrer | |
letzten drei Veröffentlichungen enthält. | |
Auch wenn der Albumtitel eine Anspielung auf „Flogging A Dead Horse“ von | |
den Sex Pistols ist – eine Singles-Compilation, die nach Auflösung der | |
Londoner Band herauskam und aus dem langsam verblassenden kontroversen | |
Image noch ein wenig Kapital schlagen sollte: Ihre lange Karriere in der | |
Subkultur macht Die Goldenen Zitronen erst mal unverdächtig. Sie stehen | |
nicht im Verdacht, ihre Fans zynisch zu schröpfen, indem sie ihnen den | |
selben Scheiß zweimal unterjubeln. Und das auch noch unter einem Titel, der | |
ihnen unter die Nase reibt, dass sie jetzt übers Ohr gehauen werden! | |
Was also ist nun das Neue von „Flogging a Dead Frog“? Keines der Remakes | |
weicht stark von seiner jeweiligen Originalfassung ab. Der einzige | |
wirkliche Unterschied ist, dass die Songs auf Englisch gesungen sind. | |
Eigentlich müsste die Geschichte der Popmusik die Zitronen doch gelehrt | |
haben, dass beinahe alle derartigen Versuche, den angloamerikanischen Markt | |
zu erobern, kläglich gescheitert sind. Ausnahme der Regel ist Kraftwerk, | |
deren nichtssagenden Schulfibeltexte sich leicht in alle möglichen Sprachen | |
übersetzen ließen. | |
Sicher, deutsche One-Hit-Wunder wie Trio und Nena landeten Smashhits mit | |
englischen Versionen ihrer Songs. Erstere sangen in einem sonderbar | |
idiotischen Deutsch-Englisch-Wirrwarr, und die linkisch und ungelenk | |
rübergebrachte „Wir lieben uns alle“-Message von Nena traf einen Nerv in | |
dem Teil der Welt, in dem die Leute durch den Kalten Krieg rührselig | |
geworden waren. | |
## Mitzünder des deutschen Punk | |
Aber die Goldenen Zitronen, gegründet 1984, wurden zu der Zeit erwachsen, | |
als deutschsprachiger Rock gerade zu vollem Leben erwacht war. Sie haben | |
als Punkband angefangen und den deutschen Punk mitgezündet. Vorher sangen | |
so gut wie alle deutschen Bands selbstverständlich auf Englisch. Teilweise, | |
weil sie dachten, Songs auf Deutsch seien per definitionem nicht | |
authentisch und würden deshalb automatisch ausgeschlossen werden aus dem | |
Kreis derer, die sich mit authentischen Ausdrucksweisen stolz von den | |
niederen kommerziellen Werten der Popmusik abgrenzen wollten. | |
Ungeachtet der Tatsache, dass selbst die besten unter ihnen, wie Can, Neu!, | |
ihre englischen Texte fast immer unbeholfen vortrugen, entstand im | |
Westdeutschland der Siebziger Jahre eine verwegene abenteuerliche Version | |
von Rock, die ein kleines, aber lebendiges Erbe hinterließ. Dennoch | |
erreichten jene Songs zum Zeitpunkt ihres Entstehens kein größeres Publikum | |
am Entstehungsort, was auch daran gelegen haben mag, dass die meisten von | |
ihnen nicht auf Deutsch gesungen wurden. | |
Bevor die Schockwellen des Punk durch westdeutsche Städte wie Düsseldorf, | |
Hamburg, Westberlin rollten, sangen nur politisch motivierte | |
Barrikaden-Rocker wie Ton Steine Scherben in ihrer Muttersprache und einige | |
„Liedermacher“. Aber nach 1978 bestärkte der Do-it-yourself-Grundsatz von | |
Punk eine neue Generation, auf Deutsch zu singen. Westdeutsche Majorlabels | |
hätten diesen Prozess beinahe zum Stillstand gebracht, indem sie wahllos | |
irgendwelche Pseudo-Punk- oder Neue-Deutsche-Welle-Bands unter Vertrag | |
nahmen, was zur Folge hatte, dass Popfans deutschsprachiger Lieder fast | |
überdrüssig wurden. Irgendwie aber überlebte die Sprache in den | |
alternativen Musikszenen Westdeutschlands. | |
## Verachtung für den Mainstream | |
Seit ihren Anfängen im Funpunk haben die Goldenen Zitronen sich eine große | |
Fangemeinde aufgebaut, die ihre Verachtung für den Mainstream teilt. Doch | |
über die Jahre mag sich bei ihnen und anderen das Gefühl eingestellt haben, | |
die deutsche Sprache ausgereizt zu haben. Auf Englisch zu singen erscheint | |
da naheliegend, gäbe es nicht die vielen Kollegen, die dabei vor ihnen | |
kläglich gescheitert sind. | |
Ihre Hamburger Punkvorfahren Abwärts hatten es in den frühen Achtzigern | |
einmal mit der im Selbstverlag veröffentlichten, englisch betitelten | |
Maxisingle „Beirut Holiday In"/„Olympia“ versucht. Das mangelhafte Result… | |
hätte sowohl ihren Zeitgenossen also auch den Goldenen Zitronen die | |
Gefahren eines Sprachwechsels auf halbem Weg aufzeigen müssen. Auf dieser | |
Maxi mussten Abwärts die Rasiermesserschärfe ihrer Musik abstumpfen, Ton | |
und Tempo Frank Zs eher vorsichtig vorgetragenen englischem Text anpassen. | |
Etwas sehr Ähnliches scheint passiert zu sein, als die Goldenen Zitronen | |
„Dead Frog“ aufgenommen haben, denn die Originalversionen, die auf „Lenin… | |
(2006), „Entstehung der Nacht“ (2009) und „Who’s Bad“ erschienen sind… | |
um einiges scharfkantiger. Die Zeilen fügen sich nicht so ineinander und | |
reflektieren sich gegenseitig, wie sie es im deutschen Original tun. | |
Aufgrund seiner Theatererfahrung generiert Sänger und Gründungsmitglied | |
Schorsch Kamerun vielschichtige Bedeutungsebenen und Emotionen. Er bündelt | |
Worte, phrasiert sie, lässt sie geschmeidig laufen oder setzt sie | |
unvorhergesehen gegeneinander und lässt dadurch unterhaltsame und fesselnde | |
Erzählungen entstehen – im deutschen Original. Kamerun kann ein | |
fantastischer Sänger sein, besonders wenn er höchst theatralisch die Worte | |
aus seinem Inneren herausholt und sich in den schlangenzüngigen Betrüger | |
verwandelt, der beide Sprachversionen von „The Investor“ (das Original | |
erschien 2013 auf „Who’s Bad“) und die deutsche Version von „Börsen | |
crashen“ (erschienen 2009 auf „Die Entstehung der Nacht“) antreibt. | |
## Mehr Artikulation als Zwischentöne | |
Auf dem neuen Album singt er den englischen Text von „The Investor“ | |
eigenartig gefühllos – ohne die kleinen Modulationen, die die deutsche | |
Version so einzigartig machen. In seiner Muttersprache nuanciert er Worte | |
fast unmerklich und betont dadurch subtil die Art, wie sie sich in den | |
Post-Punk-Techno-Rhythmus-Bässen verteilen, die seit Mitte der Neunziger | |
Bestandteil der Musik der Goldenen Zitronen sind. | |
Auf „Dead Frog“ aber ist Kamerun viel zu beschäftigt damit, die englischen | |
Texte richtig zu artikulieren. Deshalb kann er nicht vollständig in sie | |
eintauchen, was aber nötig ist, um den kleinen, aber wichtigen Unterschied | |
irgendwo ganz tief drinnen im Song herauszustellen. Im Englischen wirkt | |
sein hochgepitchter Gesang ein wenig ermüdend. Beim Vergleich der beiden | |
Versionen von „If I Were a Sneaker“/ „Wenn ich ein Turnschuh wär“ mach… | |
allzu theatralische englische Version deutlich, dass Kamerun im Englischen | |
nicht derart Zwischentöne mitschwingen lassen kann, wie er es im Deutschen | |
vermag. | |
## Dreckig wie immer | |
Er klingt sogar eher albern, wenn er ausschert und schrill die Worte | |
„shitty sea“ deliriert. Abgesehen von diesen Bedenken spricht Kameruns | |
englische Version klar Probleme an, die seit der Veröffentlichung des | |
deutschen Originals 2006 sehr viel schlimmer geworden sind: die stetig | |
steigende Zahl verzweifelter Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten, die auf | |
der Suche nach einem besseren Leben versuchen, nach Großbritannien zu | |
gelangen. Und wie die konservative britische Regierung das verhindert. | |
Kamerun ist viel zu differenziert, um fromme „J’accuse“-Rufe in Richtung | |
westlicher Regierungen zu jammern. Stattdessen halluziniert er die | |
Wehklagen eines seekranken blinden Passagiers, der auf seinem Weg von | |
Neapel zum Bosporus zu einem Leben im Fegefeuer verdammt ist. | |
Ganz ähnlich: Neues Geld ist so dreckig, wie es schon immer war, | |
insbesondere wenn es zuerst Bohemiens einspannt, heruntergekommene | |
Stadtbezirke zu summenden Mikrokosmen werden zu lassen, nur um sie dann | |
Stück für Stück an die meistbietenden Kunden zu verkaufen. Das Thema eignet | |
sich perfekt für Satire, aber Kameruns englische Version von „Investor“ ist | |
zu glatt, um Neureiche in Bausch und Bogen zu verdammen, die eingebildeten | |
Bohemiens inbegriffen. | |
## Ungerade Gangart | |
Die Instrumentals am Ende des ohnehin etwas kurzen Albums werfen die Frage | |
auf, ob den Goldenen Zitronen in letzter Minute doch Zweifel gekommen sind | |
und sie deshalb die englischen Texte lieber ganz weggelassen haben. Aber | |
genau diese Tracks haben mich zu den Originalversionen zurückgebracht – und | |
darüber bin ich froh. | |
Musikalisch gesehen sind Die Goldenen Zitronen nicht die einzige Band mit | |
Wurzeln im Punk, die sich regelmäßig die Batterien bei elektronischer Musik | |
neu auflädt. Mit der Zeit sind sie darin sogar ziemlich versiert, | |
vielleicht auf Kosten ihrer mitreißenden Dampfkesselpunk-Schäbigkeit, | |
machen aber immer noch eher tribalistischen Elektro als Betonbunkertechno. | |
Um die Musik für das Englische passend zu machen, mag sie auf „Dead Frog“ | |
reglementierter sein, aber ihre Gangart ist immer noch ungerade. Die Art | |
und Weise, wie sie dem Sequencer in die Parade fährt, erinnert an DAF auf | |
der Höhe ihres Könnens. Das Unvermögen, den neuen Weg konsequent zu gehen, | |
rettet „Dead Frog“ den Arsch. | |
Aus dem Englischen von Sylvia Prahl | |
17 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Chris Bohn | |
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