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# taz.de -- Interview mit der Elektro-Band „DAF“: „Noch immer Postnazi-De…
> 1978 gründete sich die Band „Deutsch Amerikanische Freundschaft“. Die
> Künstler über Linksliberalismus und Punk, der im Papierkorb landete.
Bild: Wer den Film „Verschwende deine Jugend“ gesehen hat, erkennt sie wied…
Ein Künstlerhaus in Berlin-Pankow. In einem Atelier sollen DAF gleich
fotografiert werden. Vorher geben Sänger Gabi Delgado-López und
Schlagzeuger Robert Görl Interviews. Bislang ist allerdings nur Görl da,
der Flieger von Delgado-López, der aus Spanien anreist, hat Verspätung.
Also geht’s schon mal los.
taz: Herr Görl, „Das ist DAF“ heißt die Box, die nun erscheint und die Ihr
Werk zusammenfassen soll. Was ist DAF?
Robert Görl: „Das ist DAF“ sind für uns die vier Kanonalben. Ich glaube,
viele DAF-Fans sehen es auch so, dass die Alben zwischen 1980 und 1982 die
großen Werke sind. Das Debütalbum von 1979 nennen wir unter uns oft das
„0“-Album, der Vorlauf. Wirklich Wind machte 1980 „Die Kleinen und die
Bösen“, das war noch indiemäßig, es erschien auf Mute Records. Danach kamen
die drei Erfolgsalben, die wir auf Virgin veröffentlicht haben.
Eine Bandbiografie erscheint bald auch noch. Wollen Sie die Hoheit über die
DAF-Geschichte behalten?
Görl: Das kann man so sagen. Im DAF-Buch wird auch ganz viel Originalton
von uns enthalten sein. Die Autoren Miriam Spies und Rudi Esch haben
jeweils 18 Stunden Gespräch von uns beiden auf dem Diktiergerät.
Gabi Delgado-López ist damals als Gastarbeiterkind aus Wuppertal in die
Düsseldorfer Szene gekommen. Wie war das bei Ihnen?
Görl: Meine Geschichte ist ganz anders. Ich komme aus München, mit sechs
Jahren habe ich meine Eltern verloren. Ich bin in einem Waisenhaus
aufgewachsen. Als Jugendlicher habe ich mich trotzdem aufgerappelt. Ich
wollte Musik studieren. Mir war wichtig, dass man das Handwerk von der Pike
auf lernt. Erst habe ich klassische Musik auf dem
Leopold-Mozart-Konservatorium in Augsburg studiert, und von 1976 bis 1978
war ich auf der Musikhochschule in Graz.
Sie haben in Jazzcombos gespielt.
Görl: Ich ging nach Graz, weil man dort viel moderner studieren konnte. Da
gab es eine staatlich anerkannte Jazzabteilung, man musste nicht nur
Beethoven, Mozart und Bach spielen. Chrislo Haas, mit dem ich später bei
DAF spielte, war zu der Zeit schon ein Studienkumpel von mir. Wir haben
bereits in Augsburg und Graz zusammen gejammt.
Wie kamen Sie nach Düsseldorf?
Görl: Ich war auch sehr angetan von Rockmusik. Moderne Rockmusik war
progressiver als Jazz. Ich wollte eine eigene Band gründen und bin nach
England gegangen. Im Sommer 1978 war ich in London, da wurde ich mit Punk
konfrontiert, das war gerade angesagt. Ich traf einen Typen, der mich nach
Düsseldorf einlud. So gelangte ich im Herbst 1978 in den Ratinger Hof, wo
ich Gabi kennengelernt habe – und so kam es zur DAF-Gründung. Wir wollten
in Richtung Punk gehen.
Aber Sie klangen völlig anders als die Punkbands.
Görl: Genau. Es gab viele, die so klingen wollten wie die Sex Pistols. Wir
wollten etwas Eigenes machen. Hatte ich Musik studiert, um jetzt die Sex
Pistols nachzuspielen? Am Punk hat uns das Provokative und die Dreistigkeit
gefallen. Musikalisch war uns das zu konservativ.
Gabi Delgado ist eingetroffen. „Jungs und Mädchen, ich habe eine Odyssee
hinter mir“, sagt er und verschwindet auf eine Zigarette. Danach gesellt er
sich dazu und wird gebrieft, worüber gesprochen wird.
Herr Delgado-López, war DAF eine der ersten deutschen Postpunk-Bands?
Gabi Delgado-López: Ich war richtiger Punk. Ich habe ja erst bei
Mittagspause und der Punkgruppe Charley’s Girls gespielt. Punk stand in der
Tradition des Rock ’n’ Roll. Wir aber wollten Musik machen, die in gar
keiner Tradition steht – auch nicht in der Tradition von elektronischen
Bands wie Tangerine Dream oder Kraftwerk. Wenn uns Stücke an etwas anderes
erinnert haben, selbst wenn sie gut waren, kamen sie in den Papierkorb.
Was ist aus heutiger Sicht von der Ästhetik das Prägnanteste, was von DAF
geblieben ist?
Delgado-López: Wir sind von der klassischen Songstruktur – Strophe,
Refrain, A- und B-Part – weggegangen und haben trackorientierte Musik
gemacht. Heute wird 90 Prozent der Musik, zumindest der Dance-Musik, nach
DAF-Regeln produziert, also die ganze House-Musik. Das ist geblieben – und
die Texte.
Stichwort Texte: Sind die eng an den damaligen historischen Kontext
gekoppelt oder kann die ein – sagen wir – 18-Jähriger heute auch verstehen…
Delgado-López: Ich habe mich immer bemüht, Texte zu machen, die nicht
tagespolitisch, die möglichst zeitlos sind. Ein paar Texte sind von der
Historie überholt worden, „Kebabträume in der Mauerstadt“ zum Beispiel
durch den Mauerfall.
Wenn ein Historiker auf DAF blicken würde, würde er wahrscheinlich sagen,
das ist Musik, die von der Ästhetik eng an das postfaschistische
Deutschland geknüpft ist.
Delgado-López: Aber wir sind noch immer in einem Postnazi-Deutschland! So
schnell ändert sich die Welt nicht. Wir leben immer noch in einer Welt, die
nach dem Zweiten Weltkrieg designt wurde: Institutionen wie die Vereinten
Nationen, auch die meisten Staatengebilde, wie sie jetzt sind, mit Ausnahme
zum Beispiel der Balkanstaaten, all das gründet auf der Nachkriegszeit.
Wie ist es zu erklären, dass jetzt das völkische Denken in Deutschland
erstarkt ist?
Delgado-López: Viele klassischen Postulate des Linksliberalismus sind
durchgesetzt. Homosexualität ist okay, das sagen sogar CDU-Leute. Frauen
darf man nicht schlagen, auch das sagen CDU-Leute. All das ist heute
systemimmanent und wird durch Gesetze geschützt. Da vermutet man natürlich
das rebellische Potenzial auf der rechten Seite. Das ist der große
qualitative Unterschied zu den rechten Bewegungen, die es in den Eighties
gab. Zum Teil sind das heute junge, moderne Popper. Einige Top-Leute der
Alt-Right-Bewegung sind heute selbst schwul. Bei der British National Front
der Siebziger und Achtziger wäre das unmöglich gewesen. Die Rechten haben
die Ikonografie und das Vokabular der Linken vereinnahmt, sie sprechen
selbst von Revolution.
DAF waren immer eine ideologiefreie Band. Waren Sie privat eigentlich
politisch unterwegs?
Delgado-López: Ich bin ein extrem politischer Mensch. Aber das hat nichts
mit der Kunst zu tun. Wenn ich ein Bild male, dann male ich ein Bild,
vielleicht male ich einfach nur ein rotes Quadrat. Dann muss ich nicht auf
das Quadrat schreiben „Bekämpft den amerikanischen Imperialismus“. Ich
denke, sehr viele meiner Texte sind politisch. Aber nicht so
stumpf-politisch. In „Die Götter sind weiß“ geht es ja um die
Vormachtstellung des weißen Mannes. Wie andere Songs wurde auch das falsch
interpretiert, aber da habe ich eben mit gespielt, weil Provokation ein
sehr gutes Mittel ist, um Sachen sichtbar zu machen.
Es generiert zumindest Aufmerksamkeit.
Delgado-López: Ja. Provokation ist aber auch ein ganz klassisches Werkzeug
des Kapitalismus, zur Penetrierung von Märkten. Langnese arbeitet nicht
anders als DAF im Endeffekt.
Falsch interpretiert wurden auch die Songs „Der Mussolini“ oder „Die
lustigen Stiefel“.
Görl: Man hat uns schon damals gefragt: Seid Ihr Nazis? Wir haben dann
gesagt: Nein, wir sind keine Nazis.
Delgado-López: Manchmal haben wir auch gar nichts gesagt. Oder ich habe
„Sieg Heil“ gesagt, weil ich das besser finde, als das lehrerhaft-dozierend
zu erklären. Unsere Follower haben uns schon verstanden und 90 Prozent der
Kritik auch. Popkultur ist so. Bonnie und Clyde waren Mörder, heute sind es
Popikonen. Oder Charles Manson. Wenn etwas eine Popikone wird wie die Nazis
– im jeden dritten Science-Fiction-Film gibt’s Nazis –, dann dürfen sie
auch als solche benutzt werden.
Aus welchem Repertoire haben Sie in Ihren Styles geschöpft?
Delgado-López: Wir haben einfach einige Themen besetzt, benutzt und
vereinnahmt. Ich steh zum Beispiel total auf Tribes. Ich will aber keinem
Tribe angehören. Denn ich will an einem Tag lederschwul sein, an einem
anderen Tag will ich Skinhead sein, und an einem weiteren Tag will ich im
Anzug in die Oper gehen. Aber wenn ich diese Styles imitiere, versuche ich
alle Codes genau zu erfüllen.
1978 kam der Korg-MS-20-Synthesizer nach Deutschland. Wie viel hat der
DAF-Sound dieser Entwicklung zu verdanken?
Görl: Synthesizer, wie sie Bands wie Kraftwerk oder Tangerine Dream benutzt
haben, hast du damals unter 100.000 D-Mark gar nicht bekommen. Wir konnten
uns das nicht leisten. Als Korg diese Art Volkssynthesizer auf den Markt
warf, war das eine Sensation. Der MS-20 hat nur 1.200 DM gekostet, immer
noch Geld, aber nichts im Vergleich zu vorher. Das gab uns einen Schub.
Die Beats haben extrem geknallt bei Ihnen, waren stark produziert. Wie kam
das?
Görl: Das war das Verdienst unseres Produzenten Conny Plank.
Delgado-López: Er hatte die Idee, den Korg über richtige Verstärker
rauszuschicken, im Prinzip wie Gitarren oder Bässe. So ist diese Mischung
aus dem, was aus den Synthies kommt, und der Power des Rock entstanden.
Sie selbst wollten nicht so klingen wie andere. Wo sehen Sie denn Ihren
Einfluss auf Bands wie zum Beispiel Rammstein?
Delgado-López: Bei Rammstein ist das vor allem der Textkatalog. Es gibt
sogar ein Stück, das „Ich will“ heißt, das ist genau das, was ich auch
schon mal gesungen habe. Unser Einfluss geht auf EDM, auf Industrial, auf
Techno und House, Electroclash und sogar auf Rocktheater wie Rammstein. Ich
bin stolz darauf, dass wir so viele verschiedene Musiken beeinflusst haben.
Tolles Gefühl. Wie Burroughs mal sagte: „I hope that someone carries these
experiments further.“ Ja, das hoffe ich, dass jemand diese Experimente
weitertreibt.
29 Sep 2017
## AUTOREN
Jens Uthoff
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