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# taz.de -- Stabil Elite spielt ironischen 80s-Pop: Ich geb mein letztes Hemd
> Stabil Elite aus Düsseldorf hat ein Pop-Album im Geist der Achtziger
> aufgenommen. Wäre die Band ein bisschen queer, wäre alles richtig gut.
Bild: Fünf Männer, die ihre Zitate im Griff haben: Stabil Elite aus Düsseldo…
Stabil Elite seien die neuen Kraftwerk, hört man. Das ist gute Propaganda,
weil nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig. Die Beats auf
„Spumante“, dem vor ein paar Wochen erschienenen Album der Düsseldorfer,
gehen zwar grade durch, die Synthis arbeiten zuverlässig, die Stimme des
Sängers ist nicht gerade expressiv, aber mit dem Hinweis auf die neue
Heimatmusik der Menschmaschine ist es dann doch nicht getan.
Im Sound von „Spumante“ stecken so viele Referenzen, das man sich
nerdistisch ergehen könnte über die rheinische Poptradition von Neu!, La
Düsseldorf und Fehlfarben, die naive Seligkeit von Italo House, den
Eklektizismus von French House, vor allem aber die großen Tage des
britischen Pop seit Roxy Music, noch genauer: der in Hipster-Kreisen schon
seit ein paar Jahren wiederentdeckte Yacht Pop, also superglatter Pop, der
das süße Leben und den Luxus verherrlicht.
Gespielt werden Bass, Schlagzeug, Gitarre, Synthesizer, Saxofon. Los geht
„Spumante“ mit einem leise funkelnden Instrumental namens „Fairlight CA�…
in dem die Sehnsucht wohnt und eine Sonne aufgeht, die das gesamte Album
weiterstrahlt, wie an einem utopisch himmelblauen Sommertag, an dem alles
richtig ist, die Mädchen und Jungs gut riechen, gut aussehen und in eine
offene Zukunft surfen. Da ist tatsächlich ein gutes Stück Kraftwerk drin.
Weiter geht’s mit dem wunderbaren „Alles ist gut“. Dieser von DAF geklaute
Titel ist vielleicht programmatisch für das ganze Album: „Was sind schon
tausend Tage für einen Vollzug? Alles wird gut.“ Das erinnert an Falcos
lakonischen Kommentar zu den verwöhnten Kindern der Überflussgesellschaft:
„Soagn? Na, na, hamma kaane.“ Und schon geht das Saxofonsolo los, als wär
es 1985.
## Romantisch und ironisch
„Spumante“ ist ein romantisches Album, das nostalgisch die großen Momente
von Pop in seiner vielleicht dekadentesten Phase feiert, aber zugleich ein
durch und durch ironisches Verhältnis zur Gegenwart pflegt, ein Verhältnis,
das natürlich schon in den zitierten Originalen angelegt ist: Anzüge
tragen, smarte, eingängige, womöglich gar harmlos erscheinende Musik
machen, aber dann über die Gegensätze von „Penthouse and Pavement“ singen,
das haben schon Heaven 17 gemacht.
„Dort, wo der Hochmut wohnt, tief im Westen“, heißt es nun bei Stabil
Elite. Und: „Ich geb mein letztes Hemd, gib mir dein bestes. Hoch auf dem
Schuldenberg.“
Es gibt mehrere Love-Songs auf „Spumante“, oft spielt sich die Erzählung
ganz zeitgenössisch in der Komfortzone privilegierter Kinder der globalen
Eliten ab, und manchmal klingen sie schon fast satirisch: „Zeitzonen
verbrennen hinter dir / Was hast du außer Koffern zu verlieren“?
Im Doppelvideo zu „Spumante“ und „Tief im Westen“ wird die kritische
Affirmation auch auf der Bildebene durchexerziert. Bibiane Beglau spielt
darin eine etwas dämliche Diplomatengattin, die zwischen den Songs ziemlich
wirres Zeug über Flüchtlinge redet.
## Da ist Energie drin
Das Erscheinen von „Spumante“ ist ein unwahrscheinliches Ereignis: ein
perfektes Popalbum, auf dem überzeugend, weil mit Understatement, weder
„rotzig-frech“ noch pathetisch, auf Deutsch gesungen wird. Man wünscht sich
ein Cabrio dazu, und in einer besseren Welt würde dieses Album im Radio
rauf und runter laufen.
Wenn man „Spumante“ hört, kann man sich nur schwer vorstellen, dass das
live funktioniert, zu perfekt produziert, oder? Live zeigt dieser Sound die
Energie, die auch in ihm steckt. Vor Kurzem traten Stabil Elite im Berliner
Acud auf, vor einer relativ kleinen Crowd von vierzig, fünfzig Leuten, und
das war auf überraschende Weise überzeugend.
## Aber queer sind sie nicht
So weit also alles ungetrübt schön in Düsseldorf, die jungen Leute haben
ihre Kunst im Griff, schrieben wir nicht das Jahr 2016 und wäre da nicht
die Vergleichsgröße Wien.
Bilderbuch heißt die Band aus Vienna, in der ebenfalls nur junge weiße
Männer spielen, denen es aber gelingt, nicht nur ironisch im Sinne der
Vorväter aus den 80s zu sein und unter der Camouflage der Affirmation auf
der richtigen Seite zu bleiben, sondern auch richtig funky, queer,
überkandidelt und selbstironisch zu sein. Im Vergleich dazu klingen Stabil
Elite ein bisschen zu brav.
17 Jun 2016
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Pop
Punk
Punk
Festival
Afrika
Musik
Bertolt Brecht
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