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# taz.de -- Kolumne Ausgehen und Rumstehen: I’m a happy dreamer
> Ob sie aus Marokko oder Dänemark sind, ist egal: Wo lächelnde Schamanen
> musizieren, haben coole alte Männer das Sagen.
Bild: Gut drauf: King Khan and the Shrines, hier auf einem Festival in Austin
Eine Pasta mit Thunfischtomatensause hat das innere Mobiliar Sonntagnacht
halbwegs wieder geradegerückt. Man soll so spät nicht essen. Aber die
Exerzitien eines Festivals zehren an Körper und Geist. Es wird geredet,
getrunken, geraucht, getanzt und geschwommen, aber kaum gegessen. Pita mit
Halloumi, ein paar Oliven, die Reste der Bitterschokolade, das hält so lang
nicht vor.
Angefangen hat dieses große Wochenende der Entspannung vor dem Späti auf
der Weichselstraße, als der junge slowenische Lacanianer sagte: „Du warst
das?“ Und dabei fast von der Bank fiel. Ja, ich war das! Vor sechs Jahren
war er in einem dieser Schuppen auf der Schlesischen Straße gewesen, und
eben als er den Laden betrat, war der Housetrack losgegangen, in dem Slavoj
Žižek über das untote Weiterleben unserer Entäußerungen im Netz sagt: „Y…
cannot really erase it. Once it’s in, it’s in. You have this horror of: My
God, how can we get rid of it?“
Es hat eine beruhigende Wirkung, wenn einem die Zeitspannen und Zyklen
bewusst werden, in denen sich das Leben abseits der symbolischen Ordnung
abspielt, und möglicherweise sind die Master Musicians of Jajouka aus dem
marokkanischen Rif-Gebirge deswegen so relaxt, als sie am Samstagnachmittag
beim Festival „By the Lake“ auf der Freilichtbühne Weißensee stehen,
nachdem der Wettergott die Anwesenden mit einem mächtigen Schauer von ihren
Sünden gereinigt hat.
Ihre Musik sei die älteste der Welt, sagt Bandleader Bachir Attar und
außerdem „a music for peace for everybody on this earth“. Wer den Frieden
in sich spüren will, muss loslassen, wenn die in Grün gewandeten Männer
ihre Liras, das sind Holzflöten, oder die oboenartigen Rhaitas spielen und
damit einen so verführerischen wie sirenenhaften Sound erzeugen, in dem man
verloren gehen kann. Das soll man ja auch, wenn der Ziegengott den Mädchen
hinterhersteigt, was man am Hüftschwung des Trommlers ablesen kann, der
alle verrückt macht.
## Lächelnde Schamanen
Auch Musik unter freiem Himmel kann man aus geschäftiger Distanz an sich
vorbeiflöten lassen, während man weiter an den ganzen Unsinn denkt, den
einem die Wochentage bescheren. Besser ist, du legst dich rein in den Sound
und fühlst die Euphorie, die spätestens dann über dich kommen wird, wenn
Laid Back auf der Bühne sitzen und die Sonne aufs Weißenseer Strandbad, die
strahlenden Menschen, die hüpfenden Kinder und die gespannten Bäuche der
Schwangeren scheint.
Die Dänen haben schon so einiges gesehen vom Leben, wenn ich ihre Gesichter
richtig lese. Ihre Musik groovt unfassbar lässig, aber aus einem gut
trainierten Beckenboden schwingend, sodass alle tanzen müssen, wenn diese
lächelnden Schamanen darüber singen, wie gut das ist, es mal ruhig angehen
zu lassen: „East Coast Man, what are you up to? Are you busy working over
time?“ Es ist grandios, und Mascha sagt unter ihrem Sonnenvisor: „Voll die
coolen alten Männer hier.“
Ich schlüpfe in die Badehose, tauche ein und sehe Ran Huber dabei zu, wie
er Richtung Sonnenuntergang davonschwimmt.
9 Aug 2016
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Festival
Pop
Marokko
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Soul
David Toop
Global Pop
Pop
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