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# taz.de -- Eintritt für die Subkultur in Hamburg: Selbstausbeuter im Spagat
> Früher waren Punkschuppen und linke Kulturräume umsonst. Heute werden
> viele ihren Ansprüchen von einst nicht mehr gerecht.
Bild: Wollte hier eigentlich keinen Eintritt verlangen: Golden Pudel Club-Grün…
Hamburg taz | Als Schorsch Kamerun Anfang der 1990er-Jahre mit Rocko
Schamoni und dem bereits verstorbenen „Wiener-Norbert“ in Hamburg den
Golden Pudel Club eröffnete, wollten sie hier, Am St. Pauli Fischmarkt 27,
keinen Eintritt verlangen – als Gegenentwurf zur allgemeinen Entwicklung.
Sie wollten so für Barrierefreiheit sorgen: „Es geht vor allem um den
ersten Moment, den Augenblick des Ankommens, in dem der Eintritt eine Hürde
schafft“, sagt Kamerun. In den ersten Jahren hat man das so laufen lassen.
Dann gab es Probleme mit Taschendieben und es wurde ein symbolischer
Eintritt von ein bis zwei Mark eingeführt. Letztlich habe sich aber auch
für den Pudel die Frage gestellt, ob man sich das leisten kann, sagt
Kamerun.
Orte der Sub- oder Gegenkulturen und selbstverwaltete Räume können von
ihrem Selbstverständnis her eigentlich niemanden ausschließen, der kein
Geld hat. Dennoch muss man mittlerweile bei fast jedem Konzert zahlen. Von
irgendwas müssen ja auch die Gagen der Musiker, Fahrtkosten, das Personal
sowie Miete und Strom für den Laden bezahlt werden. Viele sind mit ihrem
eigenen Anspruch gegen die Wand gefahren oder an den Verhältnissen
gescheitert.
Gerade steht Kamerun wieder einmal vor der Frage, wie man mit dem Problem
umgeht: Für ein Theaterprojekt auf einer großen, staatlich subventionierten
Bühne verhandelt der Künstler darüber, ob der Eintritt frei sein oder auf
Spendenbasis geregelt werden kann.
Dieses Konzept kennt der Sänger der als Fun-Punkband gegründeten Goldenen
Zitronen auch aus der Schweiz. „Dort ging bei Konzerten ein Hut rum, wo
Leute was reinwerfen konnten. Manchmal war da am Ende des Abends eine
größere Menge Hasch drin.“
Ähnlich wie im Pudel verlief es ein paar Häuser weiter im Golem, einer Bar
mit linksintellektuellem Veranstaltungsprogramm. Auch das Golem fing mit
freiem Eintritt an. „Das haben wir aber nicht durchhalten können, weil es
auf die Ausbeutung der Künstler und Selbstausbeutung hinauslief“, sagt
Álvaro Rodrigo Piña Otey, bis vor Kurzem einer der Betreiber. Das Golem sei
mit seiner Eintrittspolitik gescheitert. Menschen hätten sich eher zu
respektlosem Verhalten verführt gefühlt und gestört, wenn sie für
Diskussionen und Lesungen keinen Eintritt zahlen mussten, so Piña. Nach
anderthalb Jahren war damit Schluss, jetzt kostet das Golem meist zwischen
drei und zehn Euro Eintritt.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Schorsch Kamerun: „Die Leute scheinen
sich manchmal mehr von Veranstaltungen zu versprechen, wenn sie etwas
kosten.“ Mit den Goldenen Zitronen will Kamerun den Eintrittspreis von
Konzerten möglichst gering halten. Und auch vom Golden Pudel Club will er
nicht finanziell profitieren: „Wir versuchen nicht, das meiste rauszuholen
und den höchst möglichen Preis auszuschöpfen“, sagt er. Noch nie hätten s…
einen Cent am Pudel verdient. „Nur im ersten Jahr haben wir uns etwas
ausgezahlt. Bis die Steuer kam.“
Im ehemals besetzten Gängeviertel haben die Goldenen Zitronen im
vergangenen Sommer umsonst gespielt. Festpreise gibt es dort ohnehin nicht.
Alles läuft auf Spendenbasis. Aber die Gäste spenden nicht direkt für den
Eintritt, für Getränke oder Dienstleistungen. Zwar geben sie ihre Spenden
an der Bar oder am Eingang ab, aber alles Geld geht an den
Gängeviertel-Verein. „Pay what you want“ ist das Motto – „Gib so viel,…
es dir wert ist“.
Das Konzept geht auf. Denn natürlich bringen nicht alle Veranstaltungen
gleich viel ein – beim Zitronen-Konzert kommt mehr zusammen als bei
improvisiertem Jazz oder einer Kunstperformance. Aber über den Verein
finanzieren sich die verschiedenen Veranstaltungen quer: Er begleicht die
Kosten für die Veranstaltungen, die sich finanziell nicht rechnen. Der
Gängeviertel e. V. ist gemeinnützig und darf somit keinen Gewinn
erwirtschaften.
## „Dafür haben wir nicht gekämpft“
Der zweite Grund, warum „Pay what you want“ funktioniert, ist die
ehrenamtliche Struktur. Man könnte auch sagen: die Selbstausbeutung.
Niemand verdient Geld hinterm Tresen, an der Tür oder beim Auf- und Abbau
von Bühnentechnik. „Die Leute arbeiten hier ja aus Idealismus“, sagt die
Theater-Künstlerin Hannah Kowalski. Für die AktivistInnen, die das
Gängeviertel als politisches Projekt verstehen, gäbe es keinen Grund mehr,
umsonst zu arbeiten, wenn es um finanzielle Profite ginge. „Was bringt es
uns, wenn wir Geld verdienen, aber das Projekt nicht mehr unserem Ideal
entspricht?“, fragt Kowalski. Also doch Selbstausbeutung.
Etwas Geld kommt auch von der Stadt. Die saniert gerade für 20 Millionen
Euro den vor dem Abriss geretteten historischen Gebäudekomplex. Die
Galerien überlässt sie den KünstlerInnen mietfrei. „Die Stadt gibt sehr
viel für den Umbau aus“, sagt Kowalski. „Aber das, was an Geld in das
Projekt und in die viele Arbeit fließt, sind Peanuts.“
Ob sich die Preispolitik des Gängeviertels so aufrecht erhalten lässt, wird
sich ab Januar zeigen, wenn das Gängeviertel die Fabrique und die Juppiebar
wieder aufmacht. Die Räume, die derzeit noch saniert werden, müssen sie in
Zukunft von der Stadt mieten. Ob die Spenden dann noch reichen? Kowalski
denkt, dass sie die Politik der Freiwilligkeit dann vielleicht aufweichen
müssen. Die andere Option wäre, „nicht mehr so doll zu funktionieren“, wie
sie sagt, also nur seltener aufzumachen. Aber das geht auch gegen ihren
Idealismus. „Dafür haben wir nicht gekämpft“, sagt sie. „Wir wollen die
Räume offenhalten für Kunst, Kultur, Politik und Soziales.“
Bislang läuft es. Aber auch Kowalski räumt ein: „Es ist ganz schön
schwierig, heutzutage ein kulturelles Angebot frei zugänglich für alle zur
Verfügung zu stellen.“
13 Dec 2015
## AUTOREN
Lena Kaiser
Katharina Schipkowski
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