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# taz.de -- Was 2001 und 2021 verbindet: Kein Krieg für die Freiheit
> US-Präsident George W. Bush begann den Afghanistan-Krieg, um von seinem
> Versagen abzulenken. Doch auch 20 Jahre später setzen sich Angst und
> Gewalt fort.
Bild: Menschen in Kabul versuchen verzweifelt, noch in ein Flugzeug zu gelangen
Im [1][September 2001] fiel ein Mensch in Amerika von einem Hochhaus
Hunderte Meter in den Tod, durch einen strahlend blauen Himmel. Im August
2021 fiel ein Mensch in Afghanistan von einem Flugzeug Hunderte Meter in
den Tod, durch einen strahlend blauen Himmel. Was die beiden Ereignisse
verbindet: Terror, Grauen, Trauer. Was die beiden Ereignisse trennt: 20
Jahre, 2 Billionen Dollar, weit über 100.000 getötete Zivilisten.
Das Versprechen war Freiheit, aber um Freiheit ging es nie wirklich,
jedenfalls nicht für Afghanistan. Der Krieg, der unter dem Namen
[2][„Enduring Freedom“] kurz nach den Anschlägen von New York im Oktober
2001 begann, war ein Krieg, der nie hätte beginnen dürfen. Er wurde
mutwillig herbeigeführt von George W. Bush, um Stärke zu zeigen und vom
eigenen Versagen abzulenken. Die Geheimdienste hatten ihn gewarnt.
Spätestens am 6. August 2001 war ihm bekannt, dass Anschläge geplant waren.
Er musste handeln, und er tat es in der verqueren Logik und Rhetorik, die
einen Grundwiderspruch westlich hegemonialer Außenpolitik begleitet: Wo es
um Macht ging, wurde die Freiheit vorgeschoben.
Tatsächlich, und auch das ist wichtig in diesen schlimmen Tagen, in denen
die Taliban das Land im Handstreich wieder übernehmen, haben diese 20 Jahre
nicht mehr Freiheit produziert – sondern im Gegenteil gerade auch in den
Staaten des Westens ein Maß an Paranoia, Hass, Rassismus, Überwachung und
Freiheitsentzug geschaffen, Ruinen der Rechtlosigkeit, Folter, Mord im
Staatsauftrag und einen weit in die Privatrechte potenziell jedes Einzelnen
eingreifenden Sicherheitsstaat, der die Gestalt der Demokratie – in den USA
besonders, aber auch in den europäischen Partnerländern und in Deutschland
– auf fundamentale Art und Weise verändert hat.
Es wurde eine „Herrschaft des Terrors“ errichtet, so nennt das der
amerikanische Journalist und Pulitzerpreisträger Spencer Ackerman in seinem
kürzlich auf Englisch erschienenen Buch „[3][Reign of Terror]“ – nicht v…
den Taliban, sondern durch amerikanische Politik, im Ausland wie im Inland.
Das Buch ist beeindruckend in der Recherche, es ist erschütternd in der
Analyse.
„Wie 9/11 Amerika destabilisierte und Trump produzierte“, so heißt es im
Untertitel, und die Kontinuitäten einer Politik im rechts- und vor allem
menschenrechtsfreien Raum, von [4][Bush] über [5][Barack Obama] zu
[6][Donald Trump], machen deutlich, dass mit dem chaotischen und so grausam
zu beobachtenden Abzug der amerikanischen Truppen eine Ära zu Ende geht,
die, wie Ackerman es beschreibt, die Türen geöffnet hat für das Dunkelste
in unseren Demokratien.
Eine Macht wurde entfesselt, von den Neocons unter Bush, die glaubten, sie
könnten diese Macht benutzen und beherrschen – Ackerman schildert
eindrucksvoll, wie sich die Logik der Sicherheitsapparate und Geheimdienste
mit den schier unbegrenzten Möglichkeiten der Datensammlung und
-speicherung verbanden: Digitalität als Brandbeschleuniger staatlicher
Übergriffigkeit. Massive Einschränkungen der Pressefreiheit und die
Verfolgung etwa von [7][Julian Assange] und [8][Edward Snowden].
Und eine Exekutive, die die Grenzen dessen, was legal oder human ist, etwa
durch einen generationenüberdauernden Drohnenkrieg ohne völkerrechtliche
Basis, immer weiter verschob.
Folter, wie sie Jack Bauer in der [9][Fernsehserie „24“] zelebrierte, wurde
genehm, die Ermordung eigener Staatsbürger ohne Gerichtsverfahren wurde
legitimiert, die radikale Ausweitung des Drohnenkriegs, speziell durch
Obama, schuf durch die völkerrechtswidrige und generationenüberspannende
Dauerbedrohung aus dem Himmel, so schildert es auch der französische
Politikwissenschaftler Grégoire Chamayou in seinem Buch „Théorie du drone�…
ein Gefühl von Hass, der verbindend war für die Kinder und Enkel der Opfer
dieser oft fehlgeleiteten Angriffe.
## Ein brauchbares Feindbild
Aber mehr noch, und hier ist Ackerman besonders relevant und in gewisser
Ableitung auch auf Deutschland übertragbar: Der „Krieg gegen den Terror“
war tatsächlich ein Krieg gegen Muslime, er schuf das Feindbild, das er
brauchte, die Bedrohung durch „den anderen“, einen Feind, der meistens
braune Haut hatte und nicht Mike oder Monika mit Vornamen hieß.
Die Dynamik also von rassistischer Rhetorik, um einen Krieg zu
legitimieren, und einem Alltagsrassismus, der sich als Folge davon in
Sprache, Verhalten, Umgang und Institutionen der westlichen Länder
ausbreitete, führte dazu, dass Feindbilder Normalität wurden, Ausgrenzung
und Bedrohung von Minderheiten zunahmen und sich ganze Gesellschaften im
Inneren verhärteten, gegen Moral und Menschlichkeit immunisierten, einfach,
um dem Druck der eigenen Taten standzuhalten.
Das, unter anderem, ist der Verrat des Westens – an seinem Wesen, wenn es
das gibt, an seinen Idealen, wie sie formuliert sind. Auch Europa hat sich
grundsätzlich verändert in diesen 20 Jahren, latent und strukturell
vorhandener Rassismus fand politische Form und wurde gefördert von jener
Mitte, die eigentlich demokratischen Prinzipien folgen sollte.
Und das schreckliche Schauspiel setzt sich ja fort in diesen Tagen, wenn
Emmanuel Macron verkündet, während sich Menschen an Flugzeuge klammern,
dass auf keinen Fall Geflüchtete in der EU aufgenommen werden, oder der
CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet den menschenfeindlichen Satz sagt, dass
sich 2015 nicht wiederholen darf – als Deutschland half und Menschen
aufnahm, die in Not waren, christlicher Mindeststandard.
Es hat seinen Preis, von Freiheit zu reden und sie zu verraten. Spencer
Ackerman spricht vom „langsamen, aber beängstigenden Zerfall der
amerikanischen Demokratie“. Dieser Zerfall ist in diesen Tagen auch in
Deutschland spürbar, sichtbar, erschlagend.
18 Aug 2021
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-9/11/!t5112232
[2] https://www.bundeswehr.de/de/einsaetze-bundeswehr/abgeschlossene-einsaetze-…
[3] https://www.penguinrandomhouse.com/books/622555/reign-of-terror-by-spencer-…
[4] /Bericht-ueber-US-Geheimgefaengnisse/!5069259
[5] /Debatte-Obamas-Aussenpolitik/!5084903
[6] /US-Schlag-gegen-den-Iran/!5653434
[7] /Julian-Assange-bleibt-in-Haft/!5738218
[8] /US-Whistleblower-in-Moskau/!5725214
[9] /Zum-Start-der-6-24-Staffel/!5180200
## AUTOREN
Georg Diez
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