# taz.de -- Zum Start der 6. "24"-Staffel: Bauer sucht Sinn | |
> Der Folterspezialist Jack Bauer macht wieder Jagd auf Terroristen: Am | |
> Montag startet in Deutschland die sechste Staffel von "24". Ist der | |
> "Krieg gegen den Terror" überhaupt noch aktuell? | |
Bild: "Ich möchte, dass mein Tod Sinn macht": Special Agent Jack Bauer. | |
Dieses Mal wird nicht lange gefackelt: Die sechste Staffel der Erfolgsserie | |
"24" fängt mitten im Ausnahmezustand an. Es ist Punkt 6 Uhr morgens in Los | |
Angeles. Im Fernsehen sind Bilder von brennenden Gebäuden, von | |
Feuerwehrmännern und Verletzten zu sehen. Die Nachrichten laufen auf Fox - | |
dem konservativen Sender, der die Reihe um den Anti-Terror-Agenten Jack | |
Bauer (Kiefer Sutherland) auch in Wirklichkeit in den USA ausstrahlt. Der | |
Moderator spricht von einem Bombenanschlag, einer Terrorwelle, hunderten | |
von Todesopfern und militanten Islamisten. Auf der Straße wird ein arabisch | |
aussehender Mann misstrauisch beobachtet. Ein Busfahrer verwehrt ihm den | |
Einlass und fährt ohne ihn ab. Schnitt auf einen asiatischen Fahrgast: Um | |
6.02 Uhr zündet dieser die nächste Bombe. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf. | |
Wo ist Jack Bauer? | |
Erst nach neun langen Minuten taucht Bauer auf. Elend sieht er aus. Er war | |
in chinesischer Gefangenschaft - für sein Vaterland … Serienfans werden an | |
solchen Stellen immer vor sogenannten Spoilern gewarnt. Damit ist kein | |
Autoflügel gemeint, sondern das Verraten von Handlungselementen durch | |
Spaßverderber. Nun ist die Furcht vor einem Spannungsverlust in diesem Fall | |
überflüssig. Denn es ist ja eh klar, was passieren wird: Bauer foltert, | |
Schurke krepiert, Weltuntergang gerade eben noch so verhindert. Die | |
Dramatik der Serie basiert nur vordergründig auf der allmählichen Auflösung | |
einer Verschwörung, die zu früh aufgedeckt werden könnte. Es ist das | |
Prinzip der tickenden Zeitbombe, das für Geschwindigkeit und | |
Adrenalinschübe in Echtzeit sorgt. Und dass durchaus auch mehrere | |
Sprengladungen im Verlauf von 24 Stunden hochgehen können, haben bereits | |
die vorangegangenen Staffeln anhand aller möglichen Worst-Case-Szenarien | |
vorgeführt. | |
So bleibt der sechsten Staffel, die am Montag im deutschen Fernsehen | |
anläuft, nichts anderes übrig, als die bekannten Themen noch einmal | |
abzuhaken: Massenvernichtungswaffen (vier Atombomben), geopolitische | |
Konflikte (USA vs. Naher Osten, USA vs. Russland, USA vs. China, alle gegen | |
alle), interne Machtkämpfe (Komplott im Weißen Haus, Sabotage in der | |
Counter Terrorist Unit), das Dilemma zwischen Sicherheit und Freiheit | |
(Nummer Sicher geht vor) und familiäre Probleme - immerhin lernen wir dabei | |
erstmals Jacks Vater kennen und wundern uns danach über gar nichts mehr. | |
Irgendwann ist es dann aber auch mal gut. Die Serie hat sich seit der | |
Erstausstrahlung kurz nach dem 11. September 2001 in eine maßlose Spirale | |
der Überbietung hineinmanövriert, deren Gewinde nun so überdreht ist, dass | |
die Handlung groteske Züge annimmt. Nach acht Jahren ist ihre Halbwertszeit | |
überschritten. Es ist alles erreicht worden: ein Millionenpublikum, | |
Auszeichnungen für Wackelkamera und Split Screens. Zudem gilt "24" als | |
Paradebeispiel dafür, dass seit ein paar Jahren nicht mehr der Kinofilm, | |
sondern die Fernsehserie die wichtigen ästhetischen und erzählerischen | |
Impulse setzt. Sogar die "Simpsons" haben der Show eine ganze Folge | |
gewidmet. Nicht zufällig aber enden nun mit der Amtszeit von George W. Bush | |
auch die glorreichen Tage des Terroristenjägers Jack Bauer. | |
Was wurde in den letzten Jahren nicht alles anhand von "24" diskutiert und | |
veranschaulicht. Die Serie diente als Lösungsmodell für den "Krieg gegen | |
den Terror" mit Bauer als vaterlandstreuem Superagent. Genau so einen | |
harten Knochen haben sich (nicht nur) "die Amerikaner" nach den Anschlägen | |
auf das World Trade Center und das Pentagon gewünscht. Jemand, der die | |
dreckige Arbeit im Stillen erledigt und Bürgerrechte zur Not auf die | |
Folterbank spannt. Extreme Umstände erfordern extreme Maßnahmen - so lautet | |
das Credo der Bush-Regierung, und so hat es Bauer Woche für Woche vor im | |
Schnitt 15 Millionen amerikanischen Zuschauern in die Tat umgesetzt. Er | |
schlug zu, strangulierte seine Opfer, setzte sie unter Drogen, verteilte | |
Stromschläge und bluffte, als sei er der Blockwart von Abu Ghraib. Der | |
Populärphilosoph Slavoj Zizek sah sich dazu veranlasst, die wirkmächtige | |
Serienfiktion mit der Realität abzugleichen, und kam zum moralischen | |
Schluss: die Öffentlichkeit ist in Bezug auf die Toleranz von Folter noch | |
schlimmer, weil mitleidloser als Jack Bauer. Dem Wadenbeißer vom Dienst | |
sehe man wenigstens manchmal an, dass ihn die eigene Gewalttätigkeit | |
verstöre. Das US-Militär war da anderer Meinung. Besorgt um ihr Image und | |
Nachahmer in den eigenen Reihen baten Militäroffizielle und | |
Regierungsbeamte die Macher von "24" darum, ihre Folterdarstellungen zu | |
überdenken. Denn in Wirklichkeit führen Misshandlungen nie zum gewünschten | |
Effekt, der Preisgabe von Informationen. Bei Jack Bauer aber erfüllen sie | |
stets ihren Zweck: Jeder gibt hier früher oder später unter Höllenqualen | |
auf - außer natürlich Bauer selbst. Zwanzig Monate lang wurde er zwischen | |
dem fünften und sechsten Vollzeiteinsatztag vom chinesischen Geheimdienst | |
in die Mangel genommen, doch er schwieg. Gleich in der ersten Folge verrät | |
er, wie er das überhaupt überleben konnte: Er wollte nicht umsonst sterben. | |
Sein Tod soll im Dienst eines höheren Ziels stehen. So sehr gleicht der | |
Terroristenschreck mittlerweile den Märtyrern, die er bekämpft. | |
Serienschöpfer Joel Surnow hat sich zwar lautstark als neokonservativer | |
Hitzkopf und glühender Reagan-Bewunderer geoutet. Und beim | |
rechtspopulistischen Sender Fox ist er mit seiner politischen Haltung auch | |
genau am richtigen Platz. Doch neben der Ambivalenz von Bauers Motiven und | |
Charakter schwingen in der Serie noch weitere regierungskritische Untertöne | |
mit. Der korrupte Politiker Charles Logan etwa lügt im Interesse der | |
Öllobby, sieht nicht von ungefähr aus wie Richard Nixon und verhält sich | |
tolpatschig wie George W. Bush. Am gewagtesten aber sind Parallelen | |
zwischen dem afroamerikanischen Präsidenten David Palmer und Barack Obama. | |
Die mediale Präsenz des jungen und charismatischen Fernsehpräsidenten soll | |
die Öffentlichkeit überhaupt erst an die Vorstellung eines echten schwarzen | |
Staatsoberhaupts gewöhnt haben. Mehr noch: Aufgrund von Palmers | |
Intelligenz, Rechtschaffenheit und Souveränität in Krisenzeiten sei ein | |
schwarzer Präsident sogar wünschenswert geworden, behaupten amerikanische | |
Journalisten. | |
In der aktuellen Staffel hat der Bruder des zuvor ermordeten Präsidenten | |
das Amt übernommen. Wayne Palmer aber erscheint zunächst nervenschwach und | |
unsicher. Wieder muss Jack Bauer einspringen und Krisen lösen, für die | |
eigentlich ganze Staatsapparate zuständig sind. Wo das Recht und die | |
Regierung versagen, muss der Superpolizist ran. Derweil zieht das Chaos | |
immer weitere Kreise. Ganz auf sich selbst gestellt, versucht Bauer wie | |
gehabt die Kontrolle über die Ereignisse zu erlangen. Die Zeit rennt ihm | |
davon und ist dabei das Einzige, was ihm geblieben ist. | |
Insofern verkörpert Jack Bauer die Verhältnisse im Neoliberalismus in | |
dramatisierter Form. Im utopiefreien Raum des Spätkapitalismus ist alles | |
dem methodischen Ticken der Uhr unterworfen, Arbeit und Privates sind eins | |
geworden, Eigenverantwortung am Rande des Burn-out-Syndroms. Den | |
entfesselten Wirtschaftskräften, der Krise des Nationalstaats und der | |
Zersetzung des Sozialen setzt die Serie nur das zerfledderte Trostpflaster | |
des Patriotismus entgegen. Damit das auch der letzte Depp versteht, wird | |
einem gleich in den ersten sechzig Minuten der neuen Staffel zigmal die | |
Ehrenhaftigkeit des Heldentods im Dienste des Vaterlands eingebläut. Das | |
geht so: Erst palavern Funktionäre und Fußsoldaten minutenlang von | |
Kampfhubschraubern, GPS-Koordinaten, Zugangscodes, Upgrades, | |
Überwachungsprotokollen und anderem technischen Schnickschnack, dann fasst | |
Jack Bauer das ganze Tohuwabohu um seine Mission in einem stumpfen Satz | |
zusammen: "Ich möchte, dass mein Tod Sinn macht." | |
Auf diesem unterirdischen Niveau bewegen sich die Dialoge von "24" schon | |
seit der ersten Staffel. Gleich in der ersten Folge herrscht Bauer einen | |
Vorgesetzten an, der glaubt, Jack erkenne die Tragweite der Ereignisse | |
nicht: "Warum erklären Sie es mir nicht? Sie haben fünf Sekunden Zeit!" | |
Damals hat man noch über solche Beleidigungen des Zuschauerverstands | |
hinweggesehen. Schnell wurde man süchtig nach dem Cliffhangerspektakel, | |
weil es nie befriedigte. Nach über hundert Stunden Stressmarathon aber | |
fühlt man sich einfach nur veräppelt. Die unrühmliche Ära von George W. | |
Bush neigt sich dem Ende zu, und mit ihm kann nun eigentlich auch sein | |
treuester Soldat abtreten. Dass "24" die Zeichen der Zeit nicht mehr | |
erkennt, deutet sich auch in der geplanten siebten Staffel an. Dort wird | |
der Präsident weiblich sein. Währenddessen hat die Wirklichkeit einen | |
anderen Pfad eingeschlagen. Und schmerzlich, aber auch erleichtert kommt | |
die Einsicht, dass der Held über all die Jahre gegen das ihm Heiligste | |
verstoßen hat: Jack Bauer hat unsere Zeit verschwendet. | |
20 Jun 2008 | |
## AUTOREN | |
Uh-Young Kim | |
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