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# taz.de -- Proteste gegen AfD-Bundesparteitag: 70.000 gegen die extrem Rechten
> In Essen demonstrieren weit mehr Menschen gegen die AfD, als diese
> Mitglieder hat. Bei ihrem Bundesparteitag herrscht dennoch Disziplin.
Bild: Bass gegen Hass
Essen taz | Mehr als 70.000 Menschen aus über 50 Städten haben nach Angaben
des Protest-Bündnisses „Gemeinsam laut“ am Samstag in Essen gegen die in
Teilen rechtsextreme AfD protestiert. Allein an der Hauptdemo, die am
Hauptbahnhof startete und deren Spitze gegen 11.45 Uhr die etwa drei
Kilometer entfernte Grugahalle erreichte, in der die extrem rechte Partei
an diesem Wochenende ihren Bundesparteitag abhält, zählte nach Schätzung
der Organisator:innen mehr als 50.000 Protestierende.
[1][Schon am frühen Morgen hatten bis zu 7.000 Menschen versucht, mit
Kundgebungen und Sitzblockaden den Ablauf des AfD-Treffens zu stören]. Sie
folgten damit dem Bündnis „Widersetzen“, das dazu aufgerufen hatte, den
Parteitag zu verhindern. Zuvor hatten schon am Freitagabend weitere 7.000
Leute mit einer Rave-Demo absolut friedlich gegen die extrem Rechten
protestiert.
„Am Wochenende demonstrieren mehr Menschen lautstark gegen die AfD, als die
Partei Mitglieder hat“, freute sich Linda Kastrup, eine der
Sprecher:innen von „Gemeinsam Laut“ – Anfang 2024 zählte die Partei
davon wohl rund 41.000. Die AfD sei mitten im seit Jahrhunderten
migrantisch geprägten Ruhrgebiet „ganz klar nicht willkommen“, erklärte
Kastrup: „Gemeinsam stehen wir für eine weltoffene und demokratische
Gesellschaft“, sagte sie mit Blick auf das bunte Spektrum der
Protestierenden.
Denn allein der Protestaufruf von „Gemeinsam Laut“ wurde von knapp 400
Organisationen und mehr als 4.000 Einzelpersonen unterstützt – über
verschiedenste Jugendorganisationen von der Sozialistischen Deutschen
Arbeiterjugend (SDAJ) bis zu den Pfadfindern, von den „Omas gegen rechts“
bis zu kirchlichen Gruppen, von Parteien von der marxistisch-leninistischen
MLPD bis zu Volt, Grünen und der SPD.
Ausgelassen war die Stimmung bei dem Protestzug. [2][Der Sänger der
Skatepunk-Band „ZSK“] stieg auf das Dach des LKW, der den Zug anführen
sollte, und spielte ein kurzes Konzert. Auch um kurz vor elf Uhr ging der
Zug am Hauptbahnhof noch nicht offiziell los, weil immer noch mehr Menschen
dazu stießen. Ganz vorne läuft Indra Hill mit. Die Gelsenkirchenerin war im
Frühjahr zum ersten Mal bei einer Demo gegen die AfD dabei. Jetzt ist sie
nach Essen gekommen, um weiterzumachen. „Die Ergebnisse der Europawahl
waren katastrophal“, sagt sie. „Wir dürfen nicht aufhören, gegen die
Faschisten zu sein.“
## Evonik-Chef Kullmann warnt vor „Wohlstandsverlusten“
Teenager waren bei der Demo ebenso dabei wie Familien mit kleinen Kindern
und grauhaarigen Älteren, Antifa-Aktivist:innen liefen neben
Gewerkschafter:innen etwa von Ver.di und der GEW. „Gesicht zeigen
gegen Hass und Hetze“ stand auf dem straßenbreiten Front-Banner der Demo.
Protestierende hielten selbstgemachte Plakate mit Aufschriften wie „Rote
Karte für die AfD“, „Björn Höcke ist ein Nazi“ oder „Wer in der Demo…
schläft, wacht in der Diktatur auf“ hoch – und zogen an der Grugahalle
vorbei auf den nahegelegenen Messeparkplatz P2.
Dort wartete ein „Markt der Möglichkeiten“, auf dem mehr als 60
Organisationen, Parteien und Initiativen Infos und Alternativen zur rechten
AfD-Ideologie vorstellten. Auf der Hauptbühne dort warnten nicht nur Essens
CDU-Oberbürgermeister Thomas Kufen und die Präses der Synode der
Evangelischen Kirche in Deutschland, Anna-Nicole Heinrich, vor der AfD.
Auch Christian Kullmann, Vorstandschef des in der Reviermetropole
ansässigen Chemiekonzerns Evonik, kritisierte wie schon seit Wochen, durch
die nationalistische Politik der extrem Rechten drohten „massive
Wohlstandsverluste“.
Die Proteste zeigten, dass Essen und das ganze Ruhrgebiet „weltoffen,
tolerant und bunt“ seien, erklärte Rathauschef Kufen – und rief zur
Verteidigung von „Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit“ auf. „Wir
stehen auf der richtigen Seite der Geschichte“, rief er mit Blick auf die
Machtergreifung der Nazis 1933: „Nie wieder ist jetzt“. Gleichzeitig dankte
der Christdemokrat den tausenden eingesetzten Polizist:innen – auch die
schützten die Demokratie.
Gerade gegenüber den Aktivist:innen von „Widersetzen“ ging die Polizei
aber mit Härte vor. Während Demonstrierende Zufahrtsstraßen und
U-Bahn-Aufgänge blockierten, um sich AfD-Delegierten auf ihrem Weg zum
Parteitag in den Weg zu stellen, setzten die Beamt:innen nach Angaben
der Pressestelle des Polizeipräsidiums Essen „Pfefferspray, Schlagstöcke
und unmittelbaren Zwang ein“.
Es sei zu „gewalttätigen Störaktionen gekommen. Störer haben Einsatzkräfte
angegriffen und versucht, Sperrstellen zu durchbrechen“, so die Polizei in
einer Mitteilung. Dabei seien elf Beamt:innen verletzt worden, außerdem
habe es „mehrere Festnahmen gegeben.“ Eine Sprecherin von Widersetzen
berichtete am Samstagabend gegenüber der taz von 20 Festnahmen durch die
Polizei. Diese wollte die Zahlen zunächst nicht bestätigen.
Gleichzeitig bestätigte der AfD-Delegierte Stefan Hrdy, Chef des
AfD-Kreisverbands in Neuss bei Düsseldorf, gegenüber Zeit Online, dass ihm
die Polizei eine Anzeige wegen Körperverletzung angekündigt habe. Dem
68-Jährigen wird vorgeworfen, Protestierende bei einer Blockade bespuckt
und einen von ihnen ins Bein gebissen zu haben. Genauere Details zum
gesamten Einsatzgeschehen sollten erst am späten Samstagabend oder am
Sonntag bekannt gegeben werden, so eine Polizei-Sprecherin auf
taz-Nachfrage: „Der Einsatz geht vor.“
Schon am Samstagnachmittag schien aber klar, dass die Horrorszenarien, die
in Teilen der lokalen Medien und der Boulevardpresse beschrieben wurden und
nach denen Gewaltbereite Essen am Wochenende in eine Art Schlachtfeld
verwandeln könnten, völlig überzogen waren. „Diese aus dem Nichts
herbeigeredeten apokalyptischen Zustände sind nicht eingetreten“, die
Proteste seien zum überwältigenden Teil kreativ und friedlich gewesen,
bilanzierte Christian Baumann von der Initiative „Essen stellt sich quer“,
die seit Jahren gegen Neonazis-Strukturen in der Stadt kämpft und die das
Bündnis „Gemeinsam Laut“ mitgetragen hat.
## Wasserwerfer in Stellung
„Ich habe diese Panikmache nie verstanden“, sagte Baumann der taz. Mit
ihrem „überbordenden Aktionismus“, mit ihren Warnungen vor einem „robust…
Einsatz starker Sicherheitskräfte“ habe die Polizei „viel Steuergeld
verpulvert“ – und unter Umständen weitere eigentlich Protestwillige
abgeschreckt, kritisierte Baumann. Allein war er mit diesem Eindruck nicht:
„Hier sind ja fast mehr Polizisten als Demonstranten“, wunderte sich etwa
ein grauhaariger Passant am Rande der Proteste. „Für jeden Demonstranten
ein Polizist, oder was?“, fragte er kopfschüttelnd.
Durch den massiven Polizeieinsatz nur für Delegierte, zugelassene
Medienvertreter:innen und Gäste erreichbar war deshalb auch die
Grugahalle als Ort des AfD-Bundesparteitags. Von den Protesten war sie
durch Polizeiketten abgeschottet, zusätzlich war ein Wasserwerfer in
Stellung. In der Grugahalle selbst aber fiel die Selbstzerfleischung der
AfD aus. [3][Tino Chrupalla und Alice Weidel wurden fast schon CDU-mäßig
ohne Gegenkandidaten und Gegenrede als Doppelspitze wiedergewählt].
Disziplin herrschte vor allem wegen der anstehenden Landtagswahlen in
Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Einen Antrag zur Unterstützung des
wegen Spionagevorwürfen gegen einer seiner Mitarbeiter und eigener
SS-Verherrlichung nur noch peinlichen Europawahl-Spitzenkandidaten
Maximilian Krah, der auf Beschädigung der Parteispitze ausgelegt war, hatte
die AfD Bayern zurückgezogen. Einziges Manko aus Sicht von Weidel:
Chrupalla bekam mit 82 Prozent ein besseres Ergebnis als sie selbst mit
79,8 Prozent. Weidel wirkte danach etwas indigniert, Chrupalla konnte vor
Kraft kaum laufen.
Auch der restliche Vorstand wurde für AfD-Verhältnisse geräuschlos gewählt,
Abweichungen zu einer der taz vorliegenden Konsensliste: Fehlanzeige. Die
geräuschlose Durchwahl ist vor allem ein Verdienst der professionalisierten
Netzwerke um den Bundestagsabgeordneten Sebastian Münzenmaier. Die jungen
und gut vernetzten Karrieristen streben einem professionellen Kurs à la
Marine Le Pen nach – ohne dabei weniger radikal als die offen Völkischen um
den Rechtsextremisten Björn Höcke zu sein.
Am anhaltenden Radikalkurs der AfD gibt es indes keine Zweifel: Der
ebenfalls wiedergewählte stellvertretende Bundesvorsitzende Stephan
Brandner forderte eine „Entpolitisierung der Justiz“. Ein paar Tage zuvor
hatte Höcke am Rande seines Prozesses wegen der wiederholten Verwendung
einer SA-Parole in ähnlichem Duktus [4][Säuberungen in der Justiz
gefordert].
Allerdings: Der rassistisch-rechtsradikale Markenkern der AfD ließ sich
nicht nur aus den Reden ableiten. Auf dem Laptop eines Delegierten klebte
beispielsweise ein Sammelsurium rechtsextremer Sticker. Neben dem zynischen
Spruch „Black Knives Matter“, war dort auch eine Anspielung auf [5][den von
rechts instrumentalisierten Gigi D’Agostino-Song] zu lesen: „Döp dödö d�…
stand da neben AfD-Fanaufklebern, es ist eine Anspielung auf die Parole
„Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!“. An den Ständen im Foyer …
Grugahalle sah es ähnlich aus: Dort gab es Fan-Artikel zu Krah und Sylt
sowie Aufkleberpakete mit dem Stichwort „Remigration“. Auch die Bücher des
rechtsextremen Antaios-Verlag von Götz Kubitschek, über den
Rechtsextremisten wie Martin Sellner ihre rassistischen
Revolutionsanleitungen verkaufen, lagen aus.
29 Jun 2024
## LINKS
[1] /Protest-gegen-AfD-Bundesparteitag/!6020433
[2] /ZSK-tourt-durch-Deutschland/!6005515
[3] /AfD-Parteitag-in-Essen/!6020439
[4] /Fascho-Prozess-in-Halle/!6019980
[5] /Verbot-des-Songs-Lamour-toujours/!6010287
## AUTOREN
Andreas Wyputta
Cedrik Pelka
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