# taz.de -- Protest gegen AfD-Bundesparteitag: In Essen unerwünscht | |
> Zehntausende demonstrieren am Samstagvormittag gegen den Bundesparteitag. | |
> Am Morgen kommt es zu ersten Blockaden. | |
Bild: Unendlich viel bunter als die AfD: In Essen ziehen Zehntausende am Samsta… | |
ESSEN taz | Eine schier unüberschaubare Menschenmenge ist am | |
Samstagvormittag in Essen auf der Straße. Sie demonstriert gegen den | |
AfD-Bundesparteitag, der gerade in der Grugahalle angefangen hat. Friedlich | |
und bunt macht sich ein Protestzug vom Hauptbahnhof aus zu einem | |
Messparkplatz in die Nähe der Halle auf, wo ab 14 Uhr die zentrale | |
Kundgebung der Proteste stattfinden soll. Nach einer Weile erstreckt er | |
sich auf mehrere Kilometer Länge. Viele Teilnehmende halten | |
selbstgebastelte bunte Plakate in die Höhe. | |
Genaue Angaben zur Zahl der Demonstrierenden will die Polizei zunächst | |
nicht machen, es seien auf jeden Fall „mehrere tausend“, sagt ein Sprecher. | |
„Gemeinsam Laut“, das Aktionsbündnis, das zu der Großdemo aufgerufen hat, | |
vermeldet 50.000 Teilnehmende. | |
„Am Wochenende demonstrieren mehr Menschen lautstark gegen die AfD, als die | |
Partei Mitglieder hat“, erklärt die Sprecherin von Gemeinsam Laut, Linda | |
Kastrup. „Die AfD ist hier ganz klar nicht willkommen. Gemeinsam stehen wir | |
für eine weltoffene und demokratische Gesellschaft.“ | |
Auf der Kundgebung wollen sich Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) | |
oder auch die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, | |
Anna-Nicole Heinrich, zu Wort melden. | |
## Blockade an der Autobahnauffahrt | |
Schon um sechs Uhr morgens stehen und sitzen an der Autobahnabfahrt | |
Essen-Haarzopf ein paar hundert Demonstrierende in gelben Warnwesten auf | |
der Straße – zehntausende sollen es an diesem Samstag noch werden. Vor | |
ihnen steht ein bunt angemalter Transporter, aus dem Musik ertönt. Ein | |
großes Plüsch-Einhorn guckt vom Dach aus auf die Menge. | |
In den nächsten Stunden werden es immer mehr, die „Alle zusammen gegen den | |
Faschismus“ rufen. Sie haben ein Ziel: „Wir wollen die AfD stören und | |
verhindern, dass sie ihre faschistische Ideologie weiterverbreitet“, sagt | |
Alassa Mfouapon, Sprecher der Gruppe „Widersetzen“, die seit Wochen dazu | |
aufruft, [1][den AfD-Bundesparteitag zu „verhindern“]. Die Demonstrierenden | |
klatschen und jubeln immer wieder, denn sie wissen,dass über diese | |
Autobahnausfahrt in den nächsten Stunden wohl kein AfD-Abgeordneter zum | |
Parteitag anreisen kann. Aus der Ferne sind noch mehr Demonstrierende, | |
Pfeifen und ein Trompetenspieler zu hören. | |
Ein Polizist fordert die Demonstrierenden über einen großen | |
Lautsprecherwagen an der Autobahnausfahrt zum Weitergehen auf. Nach etwa | |
zwei Stunden kommt es zu kleinen Rangeleien, bei denen auch Pfefferspray | |
und Schlagstöcke eingesetzt werden. „Wir wollen uns nicht mit der Polizei | |
konfrontieren, sondern die AfD konfrontieren“, sagt Alessa Mfouapon. Zwei | |
Wasserwerfer rücken an und über die Autobahn kommen immer noch mehr | |
Einsatzwagen der Polizei angefahren. | |
## Tausende seit dem Morgen unterwegs | |
Im Essener Stadtteil Rüttenscheid, in dem sich der Ort des AfD-Parteitags, | |
die Grugahalle, befindet, sind an diesem Morgen schon [2][tausende von | |
AfD-Gegner:innen] unterwegs. Wie viele es sind, ist schwer zu sagen – denn | |
die Protestierenden haben sich an verschiedenen Stellen zu Mahnwachen, | |
Kundgebungen und Protestzügen versammelt. „Es sind extrem viele Leute aus | |
ganz Deutschland gekommen, um zu zeigen, dass die AfD nicht willkommen | |
ist“, freut sich Carola Rackete, die als Spitzenkandidatin der Linken ins | |
Europaparlament gewählt wurde und sich heute unter die Menge gemischt hat. | |
Auf dem Weg zur Grugahalle sind an fast jeder Ecke Menschen in gelben | |
Westen zu sehen. | |
Auch an der Joseph-Lenné-Straße hinter der Grugahalle haben sich einige | |
Demonstrierende versammelt. „Hier mussten schon viele Abgeordnete wieder | |
umdrehen“, freuen sie sich. Hinter ihnen stehen drei Mannschaftswagen der | |
Polizei. Die Straßen in unmittelbarer Nähe sind mit Polizeiketten | |
gesichert. Wer hier durch möchte, muss sich als Journalist:in oder | |
Anwohner:in ausweisen. | |
Es kommt an mehreren Stellen zu kleineren Auseinandersetzungen, auch weil | |
teilweise Gruppen versucht haben, Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Sie | |
wollten in den Sperrbereich rund um die Grugahalle gelangen. In | |
unmittelbarer Nähe der Halle ist die Stimmung angespannter. Manche | |
Abgeordnete kommen zu Fuß. Sobald sie erblickt werden, kommen | |
Demonstrierende von mehreren Seiten angelaufen und stimmen laute | |
Sprechchöre an. „Haut ab“, ist dann zu hören. | |
Journalist:innen berichten, dass schon vor Beginn der Proteste Autos, | |
davon viele dicke SUVs, an der Messe angekommen seien. Aller Aktionen zum | |
Trotz: Die ersten Delegierten haben die Grugahalle also schon erreicht. | |
## Rave-Demo schon am Freitagabend | |
Die Proteste gegen die in Teilen rechtsextreme Partei beginnen schon am | |
Freitagabend: Um 19 Uhr startet eine Rave-Demo mit dem Motto „Bass gegen | |
Hass“ am Essener Hauptbahnhof. Tausende ziehen von dort zur Grugahalle. | |
Schrill, bunt laut ist die Demo – und wie von den Organisator:innen | |
erhofft kreativ und friedlich. | |
Auf zwei Trucks legen Djs der lokalen Partymacher:innen „essen diese“, | |
„Statik“ und „Gitter Kollektiv“ auf. Die Bässe wummern, drumherum tanz… | |
die Leute. „Nazis essen heimlich Baklava“, „Tanzt für Toleranz“ und �… | |
wählen ist so 1933“ steht auf selbstgemachten Schildern und Transparenten, | |
die sie in die Höhe halten. Ein Mensch in einem pinken Einhorn-Kostüm | |
verteilt Flyer von „Widersetzen“. „Kein Bier für Nazis“, rufen die | |
Feiernden, „keine Pizza für Nazis“ steht auf der Innenseite des Deckels | |
eines geöffneten Pizzakartons, den ein Mittzwanziger hochhält. | |
## Tanz für Toleranz | |
Mitten in der Demo steht am Freitagabend gegen halb acht Leo. Um gegen die | |
extrem rechte Partei zu demonstrieren, ist sie extra aus den Niederlanden | |
angereist, wo sie bald studieren wird. Vier Stunden hat die Fahrt von Delft | |
nach Essen gedauert – aber das habe sich gelohnt: „Ich glaube, es ist | |
Bürger:innen-Pflicht, hier zu sein“, sagt die junge Frau, die einen großen | |
Wanderrucksack auf dem Rücken trägt. „Die AfD nimmt viel zu viel Raum ein. | |
Es ist superwichtig zu zeigen, dass wir damit nicht einverstanden sind.“ | |
Und tatsächlich ist der Rave auch eine Versicherung, ein Zeichen, dass die | |
AfD eben nicht, wie von ihr suggeriert, für eine Mehrheit spricht. „Sehr | |
beeindruckend und sehr motivierend und schön“ sei die Demo, sagt deshalb | |
Shobi, Mitte 20, aus Essen. „Ich bin hier, weil es sein muss. Kein Mensch | |
braucht die Jungs“, findet auch Peter – mit seinen 49 Jahren gehört der | |
Mann mit dem Motörhead-T-Shirt zu den vielen Älteren, die bei der Demo | |
mitfeiern. „Nazis von der Straßen pogen“, steht auf einem Pappschild, das | |
er mit einem Besenstiel in die Höhe hält. | |
„Unsere Demo ist mit 5.000 Leuten gestartet, jetzt sind wir 7.000. | |
Angemeldet waren 1.000. Das muss man feiern“, freut sich auch Linda | |
Kastrup, Mitorganisatorin des Bündnisses „Gemeinsam laut“, das einen groß… | |
Teil der Proteste trägt – auch die Polizei spricht am Freitagabend von | |
5.000 Teilnehmenden. „Hier ist nicht nur das ganze Ruhrgebiet, sondern die | |
ganze Republik vertreten.“ Gefühlt „ganz Rüttenscheid“ schließe sich d… | |
Rave gegen die AfD an, sagt auch Christian Baumann vom lokalen Bündnis | |
„Essen stellt sich quer“, das seit Jahren gegen Neonazi-Strukturen in der | |
Stadt wie [3][etwa die „Steeler Jungs“ kämpft]. | |
Kritisch blicken Kastrup und Baumann dagegen auf das große Polizeiaufgebot, | |
das den absolut friedlichen Rave begleitet: Der Demo fahren mindestens 10 | |
Mannschaftswagen der Polizei voraus, an deren Ende zählt die taz mehr als | |
50 davon. Dazu kreist ein Polizeihubschrauber über Essen. „Der massive | |
Polizeieinsatz, der uns begleitet, ist absolut nicht nötig. Hier sind | |
Leute, die friedlich gegen die AfD protestieren, die dabei Spaß haben | |
wollen, die tanzen“, sagt Linda Kastrup dazu. Zuvor hatten Boulevardblätter | |
und lokale Medien gewarnt, Autonome könnten massive Gewalt ausüben und | |
Essen in eine Art Kriegsgebiet verwandeln. „Die ganze Panikmache hat nicht | |
gefruchtet“, sagt Christian Baumann dazu. | |
## AfD wirft Journalistin raus | |
Auf dem 15. Bundesparteitag der extrem rechten AfD will die Partei ihren | |
Bundesvorstand neu wählen und über die Einführung eines Generalsekretärs | |
diskutieren. Kurz vor dem Parteitag wirkt vor allem der | |
Co-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla dünnhäutig: Nach kritischer | |
Berichterstattung schließt er kurzerhand eine Spiegel-Journalistin von | |
einem Presseempfang am Vorabend des Parteitags aus. Souverän geht anders, | |
Pressefreiheit auch. | |
Dass Chrupalla willkürlich Journalist*innen ausschließt, ist nicht das | |
erste Mal, zeigt aber, wie angekratzt er ist. Das mag daran liegen, dass | |
parteiintern vor allem er für den komplett verkorksten EU-Wahlkampf | |
verantwortlich gemacht wird. Chrupalla hatte Maximilian Krahs | |
Spitzenkandidatur maßgeblich unterstützt – der wiederum wollte 23 Prozent | |
holen, hatte aber mit Spionage- und Korruptionsaffären sowie | |
SS-Verharmlosung solange marodiert, bis die AfD sogar im EU-Parlament aus | |
ihrer ID-Fraktion flog und bei [4][aus ihrer Sicht enttäuschenden 15,9 | |
Prozent gelandet ist]. | |
Nach dem Krah-Fiasko jedenfalls rollten Köpfe: [5][Krah wurde nicht in die | |
AfD-Delegation aufgenommen] und beschimpfte daraufhin den neuen | |
Delegationsleiter René Aust als Verräter – und der ist immerhin ein | |
Vertrauter des Rechtsextremisten Björn Höcke. Der wiederum griff in einer | |
Pressemitteilung Krah und Chrupalla an – es war ein munteres Alle gegen | |
Alle im völkischen Flügel. | |
## Streit um neuen Generalsekretärs-Posten | |
Als offenen Angriff las Chrupalla auch den für den Parteitag anstehenden | |
Antrag auf die Einführung eines Generalsekretärs ab 2025. Die mögliche | |
Berufung sollte zunächst als eine Art politischer Geschäftsführer an eine | |
Einzelspitze gekoppelt werden. Laut Antrag sollte dieser mit politischer | |
Parteiarbeit in die Landesverbände hineinwirken – sich also um heikle | |
Personalangelegenheiten, Rechtsextremismus-Skandale und Russlandreisen | |
kümmern, letztlich der Parteiführung den Rücken freihalten. | |
Für die Parteispitze ist allerdings nicht Chrupalla vorgesehen, sondern | |
seine Co-Bundessprecherin Alice Weidel, wie vielfach zu hören ist. Die gilt | |
zwar im Bundesvorstand und bei den Fraktionskolleg:innen als faule | |
Opportunistin, ist aber wegen ihrer rassistischen Reden und kalkulierten | |
Wutausbrüche als Galionsfigur an der Basis überaus beliebt. Deswegen gilt | |
sie vielen in der Partei als gutes repräsentatives Aushängeschild und ist | |
als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2025 schon gesetzt. | |
Darüber wird in Essen allerdings noch nicht entschieden. Entsprechend | |
glätteten sich kurz vor der Bundesvorstandswahl die Wogen: Weidel und | |
Chrupalla betonten bei jeder Gelegenheit ihre gute Zusammenarbeit und | |
wollen als Doppelspitzen weitermachen. Der Antrag auf den Generalsekretär | |
soll per Änderungsantrag möglicherweise noch abgeschwächt werden – ein | |
Zugeständnis an Chrupalla. Der Generalsekretär sollte dann auch unter einer | |
Doppelspitze möglich sein, was Platz für Chrupalla ließe. Für die | |
notwendige Satzungsänderung braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, wobei | |
der Antrag Unterstützung aus 13 Landesverbänden hat. | |
## Landtagswahlen disziplinieren völkischen Flügel | |
Disziplinierend insbesondere auch in den völkisch dominierten | |
Landesverbänden wirken zudem die anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, | |
Sachsen und Brandenburg. [6][Auch der Spitzenkandidat der AfD Thüringen, | |
Björn Höcke], meldet sich am Freitag noch mit einem Statement zu Wort und | |
wünscht sich „vor den Ost-Wahlen“ keinen Schwenk in Richtung Einzelspitze, | |
sondern Kontinuität mit zwei Personen als Parteiführung. Allerdings spricht | |
er sich langfristig für eine Einzelspitze mit Generalsekretär aus, er ist | |
ebenfalls Unterzeichner des Generalsekretär-Antrags. | |
Ein offenes Geheimnis ist dabei, dass Höcke langfristig gerne selbst die | |
Partei anführen will. Das klingt auch in seinem Statement durch, in dem er | |
sich vorerst noch einmal für die Doppelspitze ausspricht: „Ich sehe im | |
Augenblick noch nicht die Einzelspitze, die jetzt in dieser Phase | |
reüssieren könnte, um dann wirklich als integrative Kraft und Person diese | |
Partei über viele Jahre auch stabil in die Zukunft zu führen.“ Und dann, | |
findet Höcke, könne man mal gucken, was in zwei Jahren ist. | |
29 Jun 2024 | |
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