# taz.de -- AfD nach dem Parteitag in Essen: Anti-Melonisierung der AfD | |
> Organisatorisch gleicht sich die AfD den anderen Parteien an. | |
> Machtpolitisch gesehen ist sie aber zunehmend isoliert. | |
Bild: Die AfD „normalisiert“ sich organisatorisch | |
Im Jahr 2015 wählte die AfD in Essen in einer dramatischen Saalschlacht ihr | |
Profil als euroskeptische Professorenpartei ab. Damals wurde der Weg | |
geebnet hin zu einer rassistischen Partei der Migrationsverhinderer, die | |
nur bei ihrer Radikalisierung gegen die liberale Demokratie keine Grenzen | |
kennt. Nun, neun Jahre später, wurde am vergangenen Wochenende am selben | |
Ort wieder ein neues Kapitel aufgeschlagen. Diesmal nicht auf dem Feld der | |
Programmatik, sondern dem der Organisation. Vorbei ist die Zeit, als sich | |
die AfD als gäriger, anarchischer Haufen präsentierte. Stattdessen zeigt | |
sie sich als gelehriger Schüler der von ihr so genannten Altparteien. | |
[1][Inszenierte Geschlossenheit, Absprachen in Hinterzimmern, rationales | |
Wählen und keine inhaltlich-strategischen Debatten] über den zukünftigen | |
Kurs der Partei prägten ihren Parteitag. | |
Auf jedem Parteitag gibt es eine Bühne und das Treiben hinter dem Vorhang. | |
Die Veränderung zeigte sich auf der Bühne. Hier hat die Parteitagsregie | |
effizient gearbeitet. Auf ebendieser Ebene hat sich die AfD | |
„altparteiisiert“. Konflikte wurden in Essen nicht mehr öffentlich | |
ausgetragen. Und wo sich nur kleine Streitigkeiten andeuteten, wurden sie | |
freundlich verpackt. Vorbei ist die Zeit, als man Vorsitzende mit | |
schlechten Ergebnissen abstrafte. Alice Weidel erhielt knapp 80 Prozent im | |
Vergleich zu einst 67, Chrupalla kam sogar von 53 auf nun 83 Prozent. | |
Ebenfalls vorbei scheint die Zeit der direktdemokratischen Initiativen aus | |
der Mitte der Partei. Sie sind dieses Mal weitestgehend ausgeblieben. | |
Stattdessen tritt die AfD in inszenierter Geschlossenheit professionell | |
auf, was sich auch inhaltlich ausdrückt. Entgegengesetzte Meinungen wurden | |
im Vorfeld des Parteitags „harmonisiert“. Kontroverse Positionen, etwa | |
der Vorstoß, einen Generalsekretär einzusetzen, wurden an die | |
Satzungskommission verwiesen. | |
Hinter den Kulissen fand gleichwohl eine Debatte über den Kurs der AfD | |
statt. Im Gegensatz zu früher wurden diese Streitfragen nicht im Plenum | |
ausgetragen. Weil die radikalen Kräfte die Partei gegenwärtig fest im Griff | |
haben, schweigen die wenigen noch verbliebenen innerparteilichen Gegner und | |
hoffen weiter auf ihre Chancen. Gründe für Diskussionen gäbe es für die AfD | |
eigentlich genug – nicht zuletzt wegen des chaotischen Europawahlkampfs. | |
Übrigens kann die potenzielle Entwicklung hin zur Mitgliederpartei als ein | |
weiterer Aspekt der „Altparteiisierung“ betrachtet werden. Bisher hat die | |
AfD kaum Wert darauf gelegt, ihre Mitgliederbasis erheblich zu erweitern. | |
Die AfD sah sich als eine professionelle Wähler- und Fraktionspartei, die | |
von öffentlichen Geldern und privaten Spenden lebt. Gerade vor dem | |
Hintergrund der Erfolge bei der Europawahl und in den ostdeutschen Kommunen | |
war die schwache Mitgliederbasis der AfD, die sich phasenweise sogar | |
verkleinerte, bemerkenswert. Seit einigen Monaten lässt die Parteiführung | |
keine Gelegenheit ungenutzt, um darauf zu verweisen, dass sie sich in einem | |
Wachstumsrausch befinde und geradewegs auf die 50.000 Mitglieder zusteuere. | |
Wie lässt sich dieser Prozess der „Altparteiisierung“ erklären? | |
Klar ist, der in [2][Essen erkennbare neue Präsentationsmodus der AfD] hat | |
sich nicht über Nacht entwickelt. Es handelt sich vielmehr um einen | |
Prozess, der sich bei den beiden vorhergegangenen Parteitagen abgezeichnet | |
hat. Der Wandel ist eine Reaktion auf die kräftezehrenden und teilweise | |
unübersichtlichen Konfliktdebatten, aber ebenso ein Tribut an die Erfolge | |
an der Wahlurne. Ersteres bedeutet, dass der Konfliktmodus nach innen und | |
außen viel Kraft, Energie und Ressourcen verlangt. Zweiteres, [3][dass mit | |
den Wahlerfolgen steigende Erwartungen] der Wähler geweckt werden, die am | |
Ende auch in Richtung Koalitions- und Regierungsfähigkeit gehen. Beides | |
sind auch Fragen an die innerparteilichen Steuerungsfähigkeit. So | |
artikuliert sich in einer effizienteren organisationalen Aufstellung auch | |
der Wille zur Macht. | |
## Politische Isolation | |
Aktuell ist die AfD so erfolgreich wie nie. Doch wird sie davon | |
machtpolitisch kaum profitieren können, solange sie aus ihrer politischen | |
Isolation nicht herauskommt. Zum einen stößt sie bei großen Teilen der | |
Gesellschaft auf starke Ablehnung. Dies zeigte sich auch auf der Straße, | |
etwa in den deutschlandweiten Protesten in Reaktion auf die | |
Correctiv-Recherche über das Potsdamer „Remigrations“-Treffen. | |
Auch die Demonstrationen gegen den Parteitag zeigen, dass die | |
grundsätzliche Bereitschaft, sich gegen die AfD zu positionieren, weiterhin | |
gegeben ist. [4][Während des Parteitags kam es zu massiven Protesten mit | |
bis zu 70.000 Teilnehmern]. Diese Ablehnung durch Teile der Gesellschaft | |
wird seitens der AfD als Beleg für die Meinungs- und | |
Demokratiefeindlichkeit in Deutschland gewertet. Solange sie eine | |
zunehmende Zahl an Wählern für sich gewinnt, scheint sie der Protest eher | |
zu ermutigen als zu erschrecken. Die viel entscheidendere Isolation ist die | |
machtpolitische. Doch wie entsteht diese? | |
Ihr Wählerpotenzial zieht die AfD aus ihrer konträren Haltung zu den | |
etablierten Parteien, sei es aus der Haltung zu Russland oder dem | |
Migrationskurs, an den selbst CSU- oder BSW-Politikerinnen und -politiker | |
in der (rechten) Radikalität nicht herankommen. Und selbst wenn sie es | |
täten, die AfD gilt als das Original; die anderen Kräfte ahmen ihre Politik | |
lediglich nach. So ist die Positionierung so fernab von den etablierten | |
Kräften eine Quelle ihres Erfolgs. | |
Dabei ist sie gleichzeitig gierig nach Positionen, die ihnen ein | |
Alleinstellungsmerkmal ermöglichen. Sei es die Ablehnung der deutschen | |
EU-Mitgliedschaft, der Antimigrationskurs oder die Russlandpositionierung. | |
Diese Alleinstellungsmerkmale aufzugeben würde demnach auch eine Aufgabe | |
der eigenen Partei-DNA bedeuten. Zugleich ist diese Politik der Zuspitzung | |
auch Quelle ihres Misserfolges. Letzteres, indem die Positionen in | |
Deutschland zur Errichtung der sogenannten Brandmauer geführt haben, die | |
auf kommunaler Ebene zwar bereits bröckelt, aber auf Bundes- wie auf | |
Landesebene bislang besteht. | |
In der EU vorgeführt | |
Noch viel problematischer für die AfD ist die EU-Ebene, wo sie von ihren | |
europäischen Schwesterparteien vorgeführt und an den (rechten) Rand gesetzt | |
wurde. Die meisten Rechts-außen-Parteien waren bei den EU-Wahlen | |
erfolgreich. Die Rede ist vom Rechtsruck des EU-Parlaments; gleichwohl sind | |
sie gegenwärtig als Rechts-außen-Kraft im EU-Parlament machtpolitisch | |
irrelevant. Wegen ihrer Zersplitterung in einzelne Fraktionen brauchen die | |
anderen Parteien mit ihnen keine oder kaum Kompromisse einzugehen. | |
Zugleich wird die AfD doppelt an den Rand gedrängt. Nicht nur, dass sich | |
die führenden EU-Rechts-außen-Parteien von der AfD abgrenzen, um | |
herauszustellen, wie sehr sie sich in die Mitte bewegt haben – die Duldung | |
und Unterstützung von Extremen wie Maximilian Krah oder Björn Höcke | |
führte sogar zum Ausschluss aus der ID-Fraktion. | |
Die Reaktion der AfD auf ihre selbst verschuldete Außenseiterrolle ist für | |
sie selbst hochproblematisch. Gemäß ihrem Motto „Angriff ist die beste | |
Verteidigung“ formuliert sie die Deutung: Nicht die AfD ist zu radikal, | |
sondern die anderen Rechts-außen-Parteien haben sich opportunistisch den | |
vorhandenen Machtverhältnissen in der EU unterworfen. Die Rede ist von der | |
„Melonisierung“ der europäischen Rechts-außen-Parteien, wie AfD-Chef | |
Chrupalla dies nennt. Giorgia Meloni wird mit Ursula von der Leyen | |
verglichen, und zugleich wird damit auch der Austritt aus dem rechten | |
EU-Parteienbündnis namens Identität und Demokratie begründet. Statt sich am | |
Erfolgsweg der Schwesterparteien zu orientieren, geht die AfD einen | |
deutschen Sonderweg. | |
## Neues Stadium für die Partei | |
Auf dem Weg der „Altparteiisierung“ versucht die Partei nach außen geeint, | |
professionell und effizient organisiert zu wirken, da sind öffentlich | |
inszenierte Konflikte eher hinderlich. Neben der neuen organisatorischen | |
Strukturierung, die in Essen deutlich wurde, zeigt dies auch der Umgang mit | |
den öffentlichen Affären. So hatte die Parteiführung ihren beiden | |
Spitzenkandidaten bei der Europawahl nahegelegt, keine öffentlichen | |
Auftritte im Vorfeld der Wahl mehr zu absolvieren. Es wurde also aktiv | |
versucht, Petr Bystron und Maximilian Krah ruhigzustellen. Auch der | |
offizielle Umgang mit der „Remigrations“-Konferenz, an der Mitarbeiter des | |
AfD-Spitzenpersonals teilgenommen hatten, bestand in zurückhaltenden | |
Äußerungen. | |
Die AfD scheint in einem neuen Stadium angekommen zu sein. Sie ist bei | |
Wahlen erfolgreich und organisatorisch effizienter geworden – oder schafft | |
es zumindest immer stärker, dieses Bild nach außen zu tragen. Das zeigte | |
der Parteitag, aber vor allem zeigen das die Wahlergebnisse bei der | |
Europawahl und bei den Kommunalwahlen im Osten Deutschlands. Gleichzeitig | |
verbessert sich ihre machtpolitische Stellung aber nicht. Sie ist weiterhin | |
zu radikal und zu randständig – nicht nur aus Sicht der demokratischen | |
Parteien in Deutschland, sondern auch aus Sicht der führenden | |
rechtsradikalen Schwesterparteien in Europa. | |
Die bewusste „Antimelonisierung“ könnte die Position des Underdogs | |
zementieren. Man möchte nicht so sein wie die anderen, auch weil die | |
anderen an die Macht wollen, dorthin, wo die „Altparteien“ schon sind. Dies | |
zeigten die Aussagen auf dem Parteitag am Wochenende ganz klar. Aber auch | |
das ist nicht das letzte Wort – schließlich ist die AfD eine Partei der | |
Metamorphosen. Denkt man an ein mögliches Ende des Russlandkriegs oder eine | |
Regierungsbeteiligung des BSW in Ostdeutschland, so gibt es viele neue | |
Kreuzungen, an denen neue Entscheidungen getroffen werden können. | |
Dabei ist das zentrale Problem der AfD nicht ihre organisatorische | |
Aufstellung, sondern die Lernfähigkeit ihres Bodenpersonals. Jedenfalls ist | |
die neue Etappe, die der Parteitag von Essen auf der Ebene der Organisation | |
bedeutet, keine ausreichende Perspektive für eine neue Entwicklung als | |
Partei. Im Gegenteil, organisatorische Professionalisierung ohne | |
ideologische Deradikalisierung ist lediglich more of the same. | |
7 Jul 2024 | |
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