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# taz.de -- AfD-Parteitag in Essen: Mühsame Harmonie
> Mit für AfD-Verhältnisse gutem Ergebnis wurden die Bundessprecher Weidel
> und Chrupalla bestätigt. Vor allem die Wahlen im Osten sorgten für
> Disziplin.
Bild: Hat nicht so gut abgeschnitten wie der „geliebte Tino“: die gerade fr…
ESSEN taz | Es erinnerte schon fast an die verhasste CDU: Ohne
Gegenkandidaten und ohne Fragen im Anschluss der Bewerbungsreden hat die
extrem rechte AfD auf ihrem Parteitag in Essen die Co-Bundessprecher Alice
Weidel und Tino Chrupalla als Doppelspitze wiedergewählt. Für
AfD-Verhältnisse war die Wahl damit fast schon langweilig.
Tino Chrupalla kam an erster Stelle auf ein Ergebnis von 82,7 Prozent, war
sichtlich emotional berührt, nachdem es im Vorfeld des Parteitages auch
viel interne Kritik an ihm gab. Eine Überraschung erlebte danach Alice
Weidel, sie landete nur bei 79,8 Prozent. Eigentlich gilt sie als die
designierte Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2025. Weidel wirkte
danach etwas indigniert, Chrupalla konnte vor Kraft kaum laufen.
Ansonsten disziplinierten die AfD die aus ihrer Sicht wichtigsten Wahlen
der Parteigeschichte: Die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen
und Brandenburg. Betont geschlossen hatten sich die alten neuen
Vorsitzenden gegenseitig vorgeschlagen. Chrupalla nannte Weidel „meine
geliebte Co-Bundessprecherin“, sie gab das in ihrer Bewerbungsrede an ihren
„geliebten Tino“ zurück: „Ich habe eigentlich auf deinen Antrag gewartet…
witzelte sie. Beide bekamen Standing Ovations, die allerdings eher
pflichtschuldig als euphorisch ausfielen, einige Delegierte blieben auch
mit verschränkten Armen sitzen.
Die geschlossenen Reihen sind vor allem ein Verdienst der
professionalisierten radikalen Netzwerke der Partei. Die Abstimmung war so
etwas wie eine Nagelprobe für den Kreis um den Bundestagsabgeordneten
Sebastian Münzenmaier, von dem schon gemutmaßt wird, dass er ab dem
nächsten Jahr möglicherweise als Generalsekretär antritt. Die jungen
Karrieristen stehen dem völkischen Flügel in Sachen Radikalität in nichts
nach, sind aber nicht nur im Osten gut verdrahtet, sondern auch mit den
Länderchefs im Westen, die nach außen hin lieber ein moderateres Bild
abgeben.
## Brandner fordert „Säuberung der Justiz“
Chrupalla spielte in seiner Bewerbungsrede vor allem seine Karte als
Malermeister aus, forderte „Widerstand gegen Massenzuwanderung“ und
kündigte mit einem Höcke-Zitat an, das „Land vom Kopf auf die Füße stelle…
zu wollen. Weidels Rede war rhetorisch deutlich besser, sie bashte die
Grünen, mahnte aber auch selbstkritisch „bessere Kommunikation“ an und
fügte hinzu, sie wolle sich nicht als „Nazi“ beschimpfen lassen.
Der Gegenbeweis lief allerdings nicht so richtig erfolgreich. Bereits die
Bewerbungsrede des ersten Stellvertreters im Bundesvorstand, Stephan
Brandner, aus dem vom Rechtsextremisten Björn Höcke dominierten
Landesverband Thüringen machte klar, was auf dem Spiel steht: Ähnlich wie
Höcke vor ein paar Tagen bei seinem Gerichtsprozess, wo er wegen einer
SA-Parole angeklagt ist, forderte Brandner eine Säuberung und einen Umbau
der Justiz: „Macht die Stimmzettel zu Haftbefehlen!“ Es brauche eine
„Entpolitisierung der Justiz“, rief er. Man müsse diejenigen, die unser
Land heruntergewirtschaftet hätten, „vor Gericht stellen“.
Ermittlungsverfahren musste er bei seiner Vorstellung selbst einräumen.
Denn Probleme mit der Pressefreiheit hat die AfD auch schon länger.
Brandner wurde dazu verurteilt, ein Ordnungsgeld von 15.000 Euro zu zahlen,
[1][weil er eine Spiegel-Journalistin als „Faschistin“ bezeichnet hatte].
Begonnen hatte der 15. Bundesparteitag der AfD in der Grugahalle stilecht
mit einer Opferrolle. Bundesvorsitzende Alice Weidel begrüßte die 600
Delegierten zur anstehenden Neuwahl des Bundesvorstands recht pünktlich um
10:30 Uhr. „Das, was sich da draußen abspielt, hat mit Demokratie nichts zu
tun!“, rief sie, bezeichnete die regulär angemeldeten Gegenproteste vom
CDU-Bürgermeister bis zur Antifa indirekt als faschistisch.
## Weidel lässt Krah ein Hintertürchen offen
Recht routiniert und souverän bauchpinselte Weidel danach in ihrer
halbstündigen Eröffnungsrede die anwesenden AfD-Delegierten. Geschickt
sprach sie dabei die richtigen Triggerpunkte an. Sie verglich die
Bundesrepublik Deutschland mit der realsozialistischen DDR, forderte mit
Blick auf die Landtagswahlen diktaturverharmlosend ein „zweites 1989“,
sprach mit Blick auf die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen von „Merkels
Willkommensputsch 2015“, wiederholte den rassistischen Sarrazin-Klassiker
„Deutschland schafft sich ab!“ und forderte eine „Migrationswende“, also
Abschiebungen. Ampelminister sollten an die Front und die Bundesregierung
auch „endlich“ abhauen: „Packt die Koffer!“, rief sie. So weit, so
undemokratisch.
Den verkorksten EU-Wahlkampf redete sie schön, sprach aber auch mit
schiefen Fußballmetaphern die parteiinterne Kritik an: Parteiarbeit sei
Mannschaftssport, manchmal müsse man jemanden vom Feld nehmen. Die Worte
richteten sich an Maximilian Krah und bezogen sich auch auf den viel
kritisierten Umgang der Parteispitze mit ihm, als dieser nach dem
[2][Ausschluss der AfD aus der ID-Fraktion im EU-Parlament] wegen
SS-Verharmlosung, Korruptions- und Spionageskandal nicht Teil der
AfD-Delegation in Brüssel werden durfte, mit heftigen Grabenkämpfen im
völkischen Flügel als Folge.
Weidel sagte mit Blick auf Krah: „Auch talentierte Spieler können sich
verrennen“. Aber sie räumte ein: „Wenn jemand auf die Ersatzbank muss, ist
er noch nicht aus dem Kader.“ Sie zeigte also für Krah einen Weg zurück in
eine mögliche, neu zu bildende AfD-Fraktion im EU-Parlament auf. Krah
selbst war nicht vor Ort, was wohl auch dem Frieden dienlich sein sollte.
Am Ende bekam Weidel Standing Ovations, allerdings nicht so lange wie bei
Parteitagen zuvor. Der beschworene Geschlossenheitskurs zog, aber mit
gebremster Euphorie. Immerhin sorgten Absprachen vor dem Parteitag auch
dafür, dass ein Unterstützungsantrag für Maximilian Krah vom Landesverband
Bayern zurückgezogen wurde. Der Antrag war ein klarer Angriff auf die
Parteiführung im Vorfeld des Parteitags. Ein wichtiger Streitpunkt war
damit bereits am Samstagvormittag zumindest aus der Öffentlichkeit geräumt.
## Sanfte Kritik
Deutlich weniger Begeisterung gab es bei Chrupalla, der zum
Tätigkeitsbericht des Bundesvorstands sprach. Der schoss in seiner Rede
auch in Richtung der strittigen EU-Kandidaten Krah und [3][Bystron],
kritisierte „unvorsichtiges und unprofessionelles Verhalten“: „Manche hab…
unnötig Angriffsfläche geboten.“ Man müsse die Kandidaten künftig besser
ansehen, forderte er. Dabei waren Krahs dubiose [4][Russland- und
China-Connections] sowie seine geschichtsrevisionistische Positionen auch
schon vor seiner Aufstellung hinlänglich bekannt. Das war es dann aber auch
mit Selbstkritik.
Der rassistisch-rechtsradikale Markenkern der AfD ließ sich nicht nur aus
den Reden ableiten. Auf dem Laptop eines Delegierten klebte beispielsweise
ein Sammelsurium rechtsextremer Sticker. Neben dem zynischen Spruch „Black
Knives Matter“, war dort auch eine Anspielung [5][auf den von rechts
instrumentalisierten Gigi D’Agostino-Song] zu lesen: „Döp dödö döp“, …
da neben AfD-Fanaufklebern, es ist eine Anspielung auf die Parole
„Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!“. Einige Delegierte kamen in
T-Shirts mit der Aufschrift „Volle Solidarität mit Maximilian Krah“.
An den Ständen der Jugendorganisation Junge Alternative gab es ähnliche
Fan-Artikel zu Krah und Sylt, ebenso wurden dort Aufkleberpakete mit dem
Stichwort „Remigration“ verkauft sowie die Bücher des rechtsextremen
[6][Antaios-Verlags von Götz Kubitschek], bei dem Rechtsextremisten wie
Martin Sellner ihre rassistischen Revolutionsanleitungen veröffentlicht
haben.
## Viele AfDler lehnen „politisch korrekte Söldnertruppe“ ab
Andere trugen ein von Höcke signiertes Fake-Deutschland-Trikot in eigenem
Design, weil sie das pinkfarbene Auswärtstrikot der Nationalmannschaft
ablehnen. Denn obwohl die AfD am Samstag vorzeitig den Parteitag nach der
Vorstandswahl beendete – auch um das EM-Achtelfinale der DFB-Mannschaft zu
sehen –, lehnen viele in der AfD die Nationalmannschaft wegen zu vieler
Spieler mit Migrationshintergrund ab.
Höcke selbst teilte am Samstagnachmittag auf seinem Telegram-Kanal einen
[7][Beitrag in einem rechtsradikalen Medium], in dem er schreibt, dass er
seit über zehn Jahren kein Spiel der Nationalmannschaft mehr gesehen habe,
und kritisierte bei der aktuellen Mannschaft „Vielfalt statt Vaterland“,
Krah hatte die aktuelle Nationalmannschaft kürzlich eine „politisch
korrekte Söldnertruppe“ genannt.
Immerhin am Sonntag fand die AfD dann zur alten Form zurück: Viel Streit
gab es um die Bundesschiedsrichter sowie um die von Weidel geforderte
Abschaffung von Mitgliederparteitagen, was ein weiterer Schritt in Richtung
Professionalisierung gewesen wäre. Der Antrag scheiterte nach langen
Gegenreden und Rednerlisten. Und auch ein Antrag, der unabgesprochene
Auslandsreisen künftig unterbinden soll, scheiterte. AfD-Politiker können
also wie in der Vergangenheit weiter autoritäre Regime wie Russland
besuchen.
29 Jun 2024
## LINKS
[1] https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/lg-berlin-27o54623-stephan-brandner-…
[2] /Streit-nach-Ausschuss-aus-EU-Fraktion/!6017020
[3] /Verdacht-der-Korruption-und-Geldwaesche/!6017192
[4] /AfD-Verbindungen-zu-Russland-und-China/!6006090
[5] /Verbot-des-Songs-Lamour-toujours/!6010287
[6] /Antaios-Verlag-von-Goetz-Kubitschek/!6017560
[7] https://weltwoche.ch/story/fussball-war-unser-leben/
## AUTOREN
Gareth Joswig
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