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# taz.de -- Postkolonialismus in Museen: Verbrechen und Königreiche
> WissenschaftlerInnen, KuratorInnen und KünstlerInnen diskutierten in
> Namibia über das koloniale Erbe und die Zukunft des Museums.
Bild: Lebhafte Diskussionen gab es auch mit dem Publikum
Nervös fährt sich Nehoa Hilma Kautondokwa durchs Haar. Gerade hat die junge
Managerin der namibischen Museumsgesellschaft ihrem Publikum Bilder von
Schmuck und Artefakten gezeigt: einen Dolch mit verzierter Messingscheide,
eine Kandina-Puppe, geschaffen zirka im Jahr 1900 von der Königin Olugondo
von Ondonga.
Insgesamt 1.400 solcher historischen Artefakte und Schmuckstücke lagern in
der Namibia-Sammlung des Ethnologischen Museums in Berlin. Der Großteil
gelangte während der deutschen [1][Kolonialzeit zwischen 1884 und 1919]
nach Deutschland.
Kautondokwa und andere ForscherInnen aus Namibia reisten im Frühjahr im
Rahmen des binationalen Museumsprojekts „Confronting Colonial Pasts,
Envisioning Creative Futures“ nach Berlin, um gemeinsam mit deutschen
WissenschaftlerInnen die Objekte zu untersuchen. Bisheriges Ergebnis der
Zusammenarbeit: [2][23 Objekte] werden, für 100.000 Euro Transportkosten,
nach Namibia verschifft und dort – zurückgegeben? Nein, für die Dauer von
drei Jahren zum Zweck der weiteren Erforschung ausgeliehen.
Im Publikum regt sich Unmut. Kautondokwa bemüht sich, die Sachlage zu
erklären: dass die Untersuchung äußerst schwierig sei, weil der Großteil
der Objekte mit Arsen kontaminiert sei; dass die genaue Herkunft der
meisten Objekte nach wie vor unklar sei und die Rechtslage verzwickt. Dass
Hermann Parzinger, Leiter der Stiftung Preußischer Kulturbesitz,
Bereitschaft zur dauerhaften Rückgabe signalisiert habe – aber all das geht
in einer zunehmend erregten Diskussion unter.
„Deutschland ist unehrlich!“, ruft ein Zuhörer aus Tansania. „All diese
Konzepte von ‚shared heritage‘ sind Mogelpackungen, mit denen man uns
hinhält“, findet ein anderer. Deutschland solle einfach alle geraubten
Dinge zurückgeben. „Ich weiß, dass das wenig ist“, sagt Forscherin
Kautondokwa mit leiser Stimme. „Aber es ist ein Anfang.“
Emotional wurde es immer wieder bei den Museumsgesprächen, die vom 18. bis
zum 20. September in der namibischen Hauptstadt Windhuk stattfanden. Auf
Einladung des Goethe-Instituts und der Universität von Namibia (Unam)
trafen sich WissenschaftlerInnen, Museumsfachleute und KünstlerInnen aus
afrikanischen und europäischen Ländern, um aus postkolonialer Perspektive
über die Zukunft afrikanischer Museen zu diskutieren. „Wir können keine
gemeinsame Zukunft haben, ohne über die Vergangenheit zu sprechen“, betonte
Unam-Präsidentin Erica Maass in ihrer Begrüßungsrede – und setzte den Ton
für die folgenden drei Tage.
## „Dauerbrenner“ Restitution
In den Podiumsdiskussionen und Workshops ging es darum, wie Museen auf dem
Kontinent aus dem Schatten des Kolonialerbes treten und neue, genuin
afrikanische Ansätze entwickeln können.
Breiten Raum in der Diskussion nahmen aber auch die „Dauerbrenner“ in der
europäisch-afrikanischen Debatte ein: die Restitution afrikanischer
Kulturgüter durch die ehemaligen Kolonialmächte – und die Repatriierung
menschlicher Schädel und Gebeine, die zu Zehntausenden in europäischen
Depots lagern. Besonders an diesen sogenannten „human remains“ lokalisieren
sich der Schmerz und der Zorn, welche die Aufarbeitung der Kolonialzeit in
Afrika noch immer begleiten.
„Wir sitzen hier nicht vor einem netten Hintergrund zusammen“, betonte der
kenianische Archäologe George Abungu, der als Experte das Berliner Humboldt
Forum berät. „Wir sprechen über Genozid, Sklaverei und andere Verbrechen,
für die Europa politische Verantwortung übernehmen muss.“
Zu dieser Verantwortung gehöre nicht nur eine aktive Provenienzforschung
der Museen und medizinhistorischen Einrichtungen und eine anschließende
respektvolle Rückführung der Gebeine, sondern auch eine angemessene
Entschuldigung der ehemaligen Kolonialmächte. Ein anderer Teilnehmer wird
schärfer: „Museen sind Tatorte – sie gehören entrümpelt und gesäubert!�…
fordert Wandile Kasibe, Programmkoordinator am Iziko-Museum in Kapstadt.
Deutschland hat bereits mehrfach menschliche Überreste an seine ehemalige
Kolonie Südwestafrika, heute Namibia, zurückgegeben. Während die erste
Repatriierung von Schädeln, an denen deutsche Wissenschaftler
Rassenforschung betrieben hatten, noch wenig feinfühlig in Pappschachteln
erfolgte, lernte man allmählich dazu:
Die letzte [3][Rückgabe 2018 in Berlin] wurde mit einem Gedenkgottesdienst
begangen. Anwesend waren namibische Regierungsvertreter und Abgesandte der
OvaHerero und Nama, jener Volksgruppen, an denen die „Schutztruppen“ unter
der Führung des Generalleutnants Lothar von Trotha 1904 bis 1908 einen
Völkermord mit Zehntausenden Toten verübt hatten.
Michelle Müntefering, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, bat im August um
Verzeihung für das Unrecht. Doch viele erwarten eine Entschuldigung auf
höchster Regierungsebene – die namibische Regierung will zudem Reparationen
für geraubtes Land, die Verhandlungen laufen seit Jahren.
## „Deutschland bekommt die ganze Wut ab“
Im luftig-holzbedachten Tagungssaal des Habitat Centre in Windhuk ist man
sich nicht einig: Hat sich Deutschland nun adäquat entschuldigt oder nicht?
„Deutschland bekommt die ganze Wut ab, die sich eigentlich auch an die
Adresse anderer ehemaliger Kolonialmächte richtet“, beobachtet Ciraj
Rassool, Leiter des African Programme in Museum and Heritage Studies an der
University of the Western Cape und eine prominente Stimme in der
afrikanischen Diskussion.
Deutschland sei inzwischen Vorreiter in der Restitutionsdebatte, während
Frankreichs Präsident Macron nach seiner vollmundigen Ankündigung, „alles“
zurückzugeben, zurückgerudert sei. Großbritannien stelle sich gar völlig
taub. Aber französische und britische Kulturschaffende sind in Windhuk
nicht dabei.
So liegt es an Wiebke Ahrndt, Direktorin des Übersee-Museums in Bremen,
oder Sandra Ferracuti, Kuratorin am Linden-Museum in Stuttgart, immer
wieder zu betonen, wie ernst es ihren ehemals kolonial aufgestellten
Häusern mit der Dekolonialisierung ist. „Wir wollen und werden
restituieren, die rechtlichen Grundlagen sind da“, betont Ahrndt und
verweist auf eine neue Richtlinie für Museen, die Repatriierungen regelt.
Dass es in der Praxis manchmal so lang dauere, läge oft an der
Unsicherheit, an wen genau die Objekte zurückzugeben seien. Manchmal sei
unklar, wer in den Herkunftsländern für wen spreche – und wer am Ende
entscheide.
Im Fall der Ende Februar von Baden-Württemberg zurückgegebenen
Witbooi-Bibel und -Peitsche sei die Frage gewesen, ob man an die Nachkommen
aus der Nama-Community restituiere – oder an die Regierung. Heute lagern
Bibel und Peitsche, unerreichbar für die Öffentlichkeit, im Depot des
namibischen Nationalmuseums, dessen naturwissenschaftlich-zoologischer
Standort sich schlecht gepflegt und unterfinanziert zeigt.
## Allergische Reaktionen
Jegliche Zweifel darüber, ob heutige afrikanische Staaten über angemessene
Museumsinfrastruktur verfügten oder tatsächlich die Interessen der
beraubten Volksstämme verträten, provozieren in Windhuk allergische
Reaktionen seitens der afrikanischen TeilnehmerInnen. „Mit wem verhandelt
wird, ist nicht Entscheidung der ehemaligen Kolonialmächte. Unsere
unabhängigen Regierungen sind in jedem Fall zu respektieren“, betont etwa
die angolanische Kuratorin Suzana Sousa. Im Mittelpunkt ihres Vortrags über
erfolgreiche Restitution steht allerdings eine private Stiftung, die ganz
ohne Zutun der Regierung Objekte nach Angola holt.
Dass Kulturpolitik in vielen afrikanischen Staaten interessengeleitet nach
außen und wenig aktiv nach innen betrieben wird – das bleibt hier
unbearbeitet. Das Politische soll außen vor bleiben, die Vergangenheit ist
schon kompliziert genug.
Und dann ist da auch noch die Zukunft: „Was ist das Museum der Zukunft?“,
lautete eine Leitfrage der Konferenz. Da tut sich viel in Afrika: Zuletzt
eröffneten neue Museen wie das am Panafrikanismus orientierte „Musée des
Civilisations Noires“ im senegalesischen Dakar. Für die bald
zurückerwarteten berühmten Benin-Bronzen will Nigeria ein eigenes Haus
bauen.
Andere Museumskonzepte sollen bisher unterdrückte Erzählungen sichtbar
machen. Dazu zählen das kleine District-Six-Museum in Kapstadt, das an
Zwangsumsiedlungen während der Apartheid erinnert, oder das von einem
pensionierten UN-Mitarbeiter gegründete Privatmuseum in Somaliland, das an
die lokalen Lebensweisen vor dem Krieg erinnert. ‚Warum müssen Museen
überhaupt Häuser sein?‘, fragen einige eingeladene KünstlerInnen und
präsentierten Ideen für eine umherreisende „Museumskapsel“ oder das
Re-Enactment lokaler königlicher Sitten im Stadtbild.
Als europäisches Museum der Zukunft präsentiert sich das fast fertige
Berliner Humboldt-Forum. Von den postkolonial sensiblen
Ausstellungskonzepten des Kuratorenduos Lavinia Frey und Lars-Christian
Koch bleibt vielen TeilnehmerInnen allerdings nur die pseudobarocke
Hausfassade hängen sowie die aus der Kolonialzeit beibehaltene Trennung
zwischen „europäischen“ und „außereuropäischen Sammlungen“. Wenn das
Humboldt Forum 2020 eröffnet, wird es unter Beobachtung durch eine
internationale Museums-Community stehen, die sich nach Windhuk zu weiteren
Gesprächen treffen will.
Wir danken dem Goethe-Institut für die Unterstützung bei der Recherche.
28 Sep 2019
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kolonien
[2] https://www.preussischer-kulturbesitz.de/pressemitteilung/article/2019/09/1…
[3] /Rueckgabe-von-Gebeinen-aus-Kolonialzeit/!5528265
## AUTOREN
Nina Apin
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