# taz.de -- Der Fall Alba Franzius: In den Selbstmord getrieben | |
> Alba Franzius wurde von den Nazis verfolgt und enteignet. Das Bremer | |
> Übersee-Museum erforscht als damaliger Profiteur Franzius' Schicksal. | |
Bild: Die so genannte „Kennkarte“ für Juden, ausgestellt von der Bremer Po… | |
Die Wendung „Finanztod“ stammt von dem Holocaust-Überlebenden Hans G. Adler | |
(1910–1988). Der physischen Vernichtung, also der Ermordung der Verfolgten | |
im Nationalsozialismus, ging ihr Finanztod voraus. Durch eine stetige | |
Zunahme an staatlichen Maßnahmen gerieten die Menschen in existenzielle | |
Bedrängnis und äußerste Notlage. Der einsetzende Finanztod von Alba | |
Franzius spiegelt sich in der Übernahme einer indischen Waffensammlung im | |
Jahre 1938 durch das damalige „Deutsche Kolonial- und Übersee-Museum“. | |
Mit dem Nationalsozialismus verbindet sich ein unermesslicher Raub von | |
Kulturgut. Als NS-Provenienzforschung wird die Beschäftigung mit Fragen | |
zur Herkunft von Museumsobjekten während des Nationalsozialismus | |
bezeichnet. Am Anfang der Entwicklung dieses Forschungsfeldes stehen die | |
Washingtoner Prinzipien, die auf eine Konferenz 1998 in der | |
US-amerikanischen Hauptstadt zurückgehen. Dort verabschiedete man elf | |
völkerrechtlich nicht bindende „Grundsätze […] in Bezug auf Kunstwerke, d… | |
von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden“. Die 44 Teilnehmerstaaten | |
sagten zu, nach verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut suchen zu lassen | |
und dessen Eigentümer oder Erben zu ermitteln. Seit 2008 wird | |
NS-Provenienzforschung in Deutschland vom Staat zentral finanziell | |
gefördert. | |
Wer war Alba Franzius? Alba Franzius kommt 1879 als Alba Anna Adele | |
Silbiger in Wien zur Welt. Ihre Eltern sind wohlhabend, Alba hat drei | |
Schwestern. Die Familie gehört dem Judentum an. Ingenieur Adolf Silbiger, | |
der Vater, arbeitet unter anderem in Britisch-Indien für den Maharadscha | |
von Jaipur. Man findet Silbiger hin und wieder in der Wiener Presse genannt | |
und auch seine Töchter werden in den Gesellschaftsnachrichten erwähnt. | |
Als junge Frau konvertiert Alba Silbiger zum Christentum. In Südafrika, wo | |
sich Ingenieur Silbiger ebenfalls engagiert, heiratet seine älteste | |
Tochter. Dort in Durban schließt Alba, an Bord des „eleganten Lloyddampfers | |
‚Afrika‘“ mit „Herrn Albrecht Franzius aus Friesland, Sohn des | |
Reichstagsabgeordneten Franzius“, wie die Wiener Neue Freie Presse am 3. | |
März 1904 zu berichten weiß, die Ehe. Der junge Bräutigam ist zunächst in | |
Südafrika beschäftigt, bis er 1908 bei der Bremer Reederei DDG „Hansa“ �… | |
Overlooker Posten […] in Calcutta“ erhält. Das Paar lebt daher auch einige | |
Jahre in der indischen Metropole. | |
## Mit dem Tod des Ehemannes startet die Verfolgung | |
Seit Ende der 1920er-Jahre sind die Eheleute dann in Bremen in der | |
König-Albertstraße, der heutigen Slevogtstraße, zu Hause. Das Paar hat aber | |
auch ein Standbein in Hamburg. Albrecht Franzius ist weiterhin für die | |
„Hansa“ tätig. Am 11. Dezember 1936 stirbt er. Seine Frau, gut situiert und | |
bis dahin relativ geschützt durch die „Mischehe“, das heißt die Verbindung | |
mit einem „Arier“, wird nun massiv als „Jüdin“ verfolgt. | |
Ihrem Schicksal kommt man im Übersee-Museum zunächst im historischen | |
Eingangsbuch auf die Spur. Es dokumentiert die Übernahme von Objekten. Dort | |
ist vermerkt, ob Stücke geschenkt, gekauft, getauscht oder lediglich als | |
Leihgabe überlassen wurden. In Bezug auf die Sammlung Franzius fällt auf, | |
dass im Jahre 1937 als Leihgaben eingetragene Stücke sich 1938 in Geschenke | |
wandeln. Eigentlich ist die Übernahme einer Leihgabe nichts Ungewöhnliches. | |
In Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus sollte sie aber aufmerken | |
lassen. | |
Im Archiv des Übersee-Museums und zweier Hamburger Museen konnten Schreiben | |
ausfindig gemacht werden, aus denen sich die Vorgänge um die Übernahme der | |
Sammlung rekonstruieren lassen: Im März 1937 sendet Alba Franzius ihre | |
indische Waffensammlung, die sie von ihrem Vater geerbt hat, „zur Ansicht“ | |
an das Museum. Ihr Eigentum hat sie mit gesiegelten Papp-Etiketten | |
versehen. Im Anschluss versucht der Kaufmann Max Specht im Auftrag von | |
Franzius erfolglos die Stücke zu verkaufen, indem er bei verschiedenen | |
Museen anfragt, ob Interesse bestehe. Unter dem Datum des 28. Juni 1938 | |
erfolgt schließlich – man beachte – auf Trauerpapier die Schenkung der | |
Sammlung. | |
Das Geschenk steht offensichtlich in Zusammenhang mit der „Verordnung über | |
die Anmeldung des Vermögens von Juden“. Im April 1938 mussten alle als | |
Juden Verfolgten mit einem Vermögen von mehr als 5.000 Reichsmark dies | |
anmelden – eine Verordnung, die wenige Monate später, hinsichtlich der | |
Reichspogromnacht vom 9. November 1938, große Bedeutung erlangte. | |
Die Vermögensmeldung hatte unter Strafandrohung bis zum 30. Juni 1938 zu | |
erfolgen. Hätte Alba Franzius ihre Waffensammlung angemeldet, wäre ein | |
anschließender Verkauf wahrscheinlich nur unter erschwerten Bedingungen | |
möglich gewesen. Der Zeitpunkt der Schenkung sowie die Umstände, unter | |
denen sie stattfand, machen es notwendig, hier von NS-verfolgungsbedingtem | |
Entzug zu sprechen. | |
Neben der Vermögensanmeldung im Jahre 1938, in deren Folge das Museum die | |
Sammlung erhält, wird Alba Franzius in den folgenden Jahren mehrfach | |
umziehen und schließlich keinen wirklichen Zugriff mehr auf ihr Vermögen | |
haben. So ist sie auch von der „Dritten Anordnung auf Grund der Verordnung | |
über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ vom 21. Februar 1939 betroffen, | |
die sie zwingt, Edelmetalle und Schmuck bei einer staatlichen Ankaufsstelle | |
abzuliefern. Belegt ist, dass Alba Franzius mindestens einen goldenen | |
indischen Armreifen dort abgab. | |
Im September 1939 zieht Franzius schließlich nach Hamburg. Zunächst kurz in | |
einer Pension untergekommen, wohnt sie im Anschluss in ihrem Eppendorfer | |
Haus. Vor allem die „Judenvermögensabgabe“, die im Zusammenhang mit der | |
Reichspogromnacht von den als Juden Verfolgten vorgeblich zur Beseitigung | |
der entstandenen Schäden erhoben wird, bringt Alba Franzius weiter in | |
massive finanzielle Bedrängnis. | |
Diese sogenannte Sühneabgabe bestand in der Summe von 1 Milliarde | |
Reichsmark, die gemeinschaftlich von jenen aufzubringen war, die man | |
bereits im April des Jahres erfasst hatte. Die Betroffenen mussten 20 | |
Prozent ihres Vermögens in Raten abführen. Alba Franzius sieht sich | |
letztlich gezwungen, ihr Haus zu verkaufen, um dadurch ihre Steuerschuld zu | |
begleichen. Sie verarmt in der Folgezeit vollständig. Reste ihres | |
Vermögens, auch Erlöse aus dem Hausverkauf, befinden sich, wie bei als | |
Juden Verfolgten damals üblich, auf einem Sperrkonto. | |
## Vollständige Verarmung | |
Im Oktober 1941 beginnen in Hamburg die als „Evakuierungen“ bezeichneten | |
Deportationen. So werden im November auch die Eheleute Burchard, bei denen | |
die 62-Jährige inzwischen als Untermieterin lebt, deportiert. Valentin | |
Burchard ist ein ehemaliger Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft. | |
Alba Franzius wird daraufhin vom Eigentümer der Wohnung gedrängt | |
auszuziehen, er droht ihr mit einer Räumungsklage. Kurze Zeit später | |
richtet Alba Franzius ein Schreiben an den Reichsstatthalter. Mit Hilfe von | |
Bekannten versucht sie ihre „Evakuierung“ abzuwenden. Sie führt unter | |
anderem aus: „Nachdem ich Jahrzehnte hindurch mit meinem verstorbenen | |
arischen Ehemann zusammen im Ausland für das Deutschtum gewirkt habe, […], | |
glaube ich, es als Ungerechtigkeit bezeichnen zu dürfen, wenn ich nunmehr, | |
nachdem mein Mann leider verstorben ist, als Volljüdin, die ich nach meiner | |
Überzeugung nicht bin, evakuiert und in ein Ghetto verbracht werden soll.“ | |
Dr. Ernst Kaufmann, später selbst ein Opfer des Holocaust, muss am 13. | |
Dezember 1941 als Alba Franzius’ Anwalt und Testamentsvollstrecker ihrer | |
Verwandtschaft in Wien berichten: „… Frau Franzius hat sich, […], das Leb… | |
genommen. Von dieser Absicht hatte sie in letzter Zeit mir und anderen | |
gegenüber viel gesprochen. Man hat alles versucht, um sie davon | |
zurückzuhalten, doch ist es leider nicht gelungen. Sie hat sich in ihrer | |
Wohnung mit Schlafmitteln vergiftet und ist gestern morgen im Krankenhaus | |
eingeschlafen. Das war für sie wohl das Beste, denn sie hat sich in letzter | |
Zeit unter dem Druck der Verhältnisse sehr unglücklich gefühlt.“ | |
Alba Franzius wählt den Freitod am fünften Todestag ihres Mannes. Erst am | |
14. April 1942 wird ihre Asche auf dem Bremer Friedhof Riensberg im Grab | |
ihres Mannes Albrecht beigesetzt. | |
In Hamburg-Eppendorf liegt seit 2018 ein Stolperstein für Alba Anna | |
Franzius, geborene Silbiger. Die Kenntnis von einem Entzug, wie er sich | |
hier im Zusammenhang mit dem Schicksal von Alba Franzius zeigt, verlangt | |
ein Handeln gemäß der internationalen Washingtoner Erklärung von 1998. Dies | |
bedeutet, die Suche nach Erben einzuleiten, um mit diesen über eine | |
mögliche Rückgabe der Sammlung oder über eine andere gerechte und faire | |
Lösung zu sprechen. | |
Dem Übersee-Museum ist es leider bisher, auch mit anwaltlicher Hilfe, nicht | |
gelungen, erbberechtigte Nachfahren von Alba Franzius ausfindig zu machen. | |
Die Geschichte, die mit der Sammlung Franzius verknüpft ist, wird in der | |
neuen [1][Dauerausstellung „Spurensuche“] aufgriffen. | |
3 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.uebersee-museum.de/ausstellungen/staendige-ausstellungen/spuren… | |
## AUTOREN | |
Bettina von Briskorn | |
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