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# taz.de -- Spitzweg-Bild wird versteigert: Justitia meistbietend zu haben
> Carl Spitzwegs Gemälde „Justitia“ kommt in München zur Auktion. Viele
> Jahre hing das verfolgungsbedingt entzogene Bild im Bundespräsidialamt.
Bild: Die „Justitia“ entstand in einem politischen wie gesellschaftlich rep…
Am 25. März kommt im Auktionshaus Neumeister in München Carl Spitzwegs
„Justitia“ zum Aufruf. Der Schätzpreis liegt bei 500.000 Euro. Man darf
aber davon ausgehen, dass das Bild am Ende zu einem weit höheren Preis
weggehen wird.
Schaut man sich das Gemälde genauer an, ist die „Justitia“ ein ziemlich
verlottertes Weib. Die Statue der Göttin der Gerechtigkeit, die Spitzweg
vor das Gerichtsgebäude platziert hat, weist im unteren Teil eine deutlich
erkennbare Bruchlinie aus. „Justitia“ ist also schon mal vom Sockel
gefallen.
Dadurch wurde wohl auch die Waagschale demoliert, die sie motivgerecht in
Händen hält. Jetzt fehlt die eine Schale, was das Abwägen der Argumente, um
den Punkt zu finden, zwischen Recht und Unrecht, eigentlich unmöglich
macht. Auch die obligatorische Augenbinde ist verrutscht, so dass sie unter
ihr hervorschielen und die Streitgegner durchaus sehen, aber nicht mehr
unparteiisch beurteilen kann.
Nur das Schwert, das die Schlagkraft des Rechts symbolisieren soll, aber
auch die Bestrafung selbst, scheint in Ordnung. Der Polizeidiener an der
Ecke des Gerichtsgebäude, ein Mitglied der Bürgerwehr, wie die Uniform
verrät, starrt denn auch den Betrachter sehr direkt und böse an.
## Kritik an der Verwahrlosung des Rechtswesens
Das Bild entstand 1857, neun Jahre nach der verlorenen Revolution von 1848,
in einem repressiven politischen wie gesellschaftlichen Klima mit Zügen
eines Polizeistaats. Spitzweg übte mit seiner etwas abgerissenen „Justitia“
also Kritik an der Verwahrlosung des Rechtswesens.
Keiner der Herren, der sie von 1961 bis 2007 in seinen Räumen beherbergte,
scheint das Gemälde aber jemals genauer angeschaut und über seine Aussage
nachgedacht zu haben. Denn sonst wären die Dinge wohl etwas anders
gelaufen. Schließlich war die „Justitia“ auf erkennbar problematischen
Wegen zu ihnen gelangt.
Konkret wurde das Gemälde aus dem im alliierten [1][Central Collecting
Point] in München zusammengetragenen Kunstbeständen des Führermuseums Linz
als „Bild unbekannter Herkunft“ 1949 an den deutsche Staat, genauer den
Bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard übergeben. 1961 forderte dann
das Bundespräsidialamt das Kunstwerk an, um die eigenen Amtsräume damit zu
schmücken.
Dort hing es, bis Bundespräsident Horst Köhler 2006 mit der
Rückgabeforderung der Erben von Leo Bendel konfrontiert wurde. Er hatte
zwei Spitzwegs besessen, das war die Überlieferung in der Verwandtschaft
des Berliner Kaufmanns. Sonst wussten sie nichts von ihm. Sie beauftragten
deshalb Monika Tatzkow, Expertin in Sachen offene Vermögensfragen und
speziell NS-Raubkunst, mit Nachforschungen.
## Die Spur führte nach Wien und dann nach Buchenwald
Tatzkow konnte die Spur von Leo Bendel und seiner Ehefrau Else aufnehmen,
die nach Wien führte, wo die beiden hofften Frieden vor den Repressionen
der Nationalsozialisten zu finden; wo Leo Bendel aber nach dem Anschluss
Österreichs als sogenannter Ostjude zu den ersten Deportierten gehörte und
im März 1940 im KZ Buchenwald starb. Seine Witwe, eine evangelische
Gastwirtstochter, starb 1957 völlig verarmt in Wien. Ihre Anträge auf
Wiedergutmachung in Österreich und Deutschland wurden abgelehnt respektive
bis zu ihrem Tod nicht entschieden.
Seine „Justitia“ hatte Leo Bendel zur Finanzierung der Flucht nach Wien für
16.000 Reichsmark an die Galerie Hermann in München verkauft, wo sie
Hitlers Kunstagentin Maria Almas-Dietrich zehn Monate später für 25.000
Reichsmark für das geplante Führermuseum erwarb. Mit den Belegen dieser
Transaktion konnte die Restitutionsforderung gestellt werden, auf die das
zuständige Bundesfinanzministeriums erst einmal nicht reagierte. Erst unter
dem Druck einer wachsen Medienberichterstattung stimmte [2][es 2007 der
Rückgabe zu.]
Warum wurde Spitzwegs „Justitia“ dann aber erst 2019 zurückgegeben? Warum
wurde das Bild noch 2017 nach Wien in eine Ausstellung ausgeliehen? Mit den
zynischen Bildangaben: Im Besitz der Bundesrepublik Deutschland,
möglicherweise verfolgungsbedingt entzogene NS-Raubkunst, wer mögliche
Erben kennt, bitte melden.
Um diesen Komplex zu diskutieren, hatte Katrin Stoll, die Geschäftsführerin
des Auktionshauses Neumeister und ausgewiesene Expertin für
Provenienzforschung im Kunsthandel, am Montagabend in die Berlinische
Galerie geladen. Dort moderierte Nikola Kuhn, Kunstredakeurin des
Tagesspiegels und Autorin einer Monografie zu Hildebrandt Gurlitt, eine
Diskussion zu Provenienzforschung und Restitution.
## Früher gingen die Behörden auf die Erben zu
Peter Raue, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Kunstrecht, erklärte dann, dass
die Rückgabe der Artefakte meist wegen der schwierigen Klärung der
Erbschaftsverhältnisse so lange dauere. Da war es dann interessant, vom
Leiter Provenienzforschung am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, Uwe
Hartmann, zu hören, dass die Behörden bei Entschädigungsverfahren in den
1950er Jahren noch proaktiv auf die Erben zugingen, nach ihren Erbscheinen
suchten und sie ihnen kostenlos zustellten.
Heute müssen sich die Erben auf eigene Kosten und ohne behördliche
Unterstützung um den Erbschein bemühen. Wer schon einmal einen Erbschein
brauchte, weiß, dass dies keine kleine Hürde ist. Eine weitere Hürde liegt
in der Verjährung, deren Sinnhaftigkeit Peter Raue zu belegen suchte.
Freilich stimmte er dem Einwand aus dem Publikum zu, dass mit einem
Verzicht auf die Einrede der Verjährung der Klage der Erben auch nach
Ablauf der Verjährung stattgegeben würde.
Wie kam es nun dazu, dass die Erbengemeinschaft das Bild zu Neumeister gab,
fragte Nikola Kuhn die Geschäftsführerin Katrin Stoll, sicher in der
Erwartung, dass Stoll darin eine Anerkennung ihres im Kunsthandel
ungewöhnlich vorbildlichen Umgangs mit NS-Raubkunst sieht. Doch diese
Antwort blieb aus. Stattdessen berichtete Monika Tatzkow, dass sich die
Erbengemeinschaft entschlossen hatte, mit der Bundesregierung zu
verhandeln. Sie sah den richtigen Ort der „Justitita“ im
Bundesverfassungsgericht.
Die Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika
Grütters, erkannte in dem Vorschlag dann eine große Ehre, meinte dann aber,
leider habe die Regierung nur Geld für Museumsneubauten, nein, falsch, habe
die Regierung kein Geld, aber geschenkt wäre der Spitzweg natürlich höchst
willkommen.
4 Mar 2020
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## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
NS-Raubkunst
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Provenienzforschung
Restitution
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