| # taz.de -- Rückgabe von NS-Raubgut: Gewissen wird belohnt | |
| > Die Staats- und Universität Bibliothek Hamburg wollte NS-Raubgut | |
| > zurückgeben – und erhielt stattdessen einen wertvollen Fontane-Band von | |
| > der Enkelin. | |
| Bild: Zeigte sich sehr großzügig: Ingrid Mertens | |
| Hamburg taz | Lang und laut war der Applaus für Ingrid Mertens in der | |
| Staats- und Universitätsbibliothek (SUB). In einem feierlichen Akt schenkte | |
| die Enkelin des Buchsammlers Hans Sternheim der Bibliothek nicht alleine | |
| die von Nationalsozialisten geraubten Bücher ihrer Familie, sie überließ | |
| der Einrichtung zudem einen Gedichtband von Theodor Fontane mit Widmung. | |
| „Ein sehr zerfledderter Gedichtband“, sagt die Frau mit kurzen grauen | |
| Haaren und einnehmendem Lächeln, fast ein wenig entschuldigend. | |
| Seit 2006 sucht die SUB systematisch in ihren Beständen nach Raubgut und | |
| [1][bemüht sich um die Restitution]. Über 500 Bücher konnten bisher den | |
| Erben übergeben werden. Manchmal kam es vor, dass sie nach Rücksprache als | |
| Dauerleihgabe im Bestand bleiben durften. | |
| Doch dass die Bibliothek dabei auch noch wertvolle Geschenke bekäme, das | |
| sei selten, betonte SUB-Direktor Robert Zepf in seiner Dankesrede, in der | |
| er auch sein Mitgefühl für die Familien, ihr Leid, und die Veränderung | |
| ihres Lebensweges ausdrückte. | |
| [2][Diesen Lebensweg] skizzierte die Leiterin der „Arbeitsstelle | |
| Provenienzforschung – NS-Raub“, Anneke de Rudder, unterstützt durch Bilder | |
| und Dokumente. Hans Sternheim wurde 1880 in eine Berliner Bankiersfamilie | |
| geboren, die vom Judentum zum Protestantismus übergetreten war. | |
| Die Büchersammlung muss verkauft werden | |
| Sternheim war das Patenkind von Theodor Fontane, mit dem seine Eltern und | |
| vor allem seine Mutter eng befreundet waren. Er selbst wurde Buchdrucker | |
| und sammelte Bücher. Bis 1934 – nach der Machtergreifung der Nazis entließ | |
| man ihn als Geschäftsführer der Druckerei, für die er fast vierzig Jahre | |
| gearbeitet hatte. | |
| Es folgte eine Zeit der Verarmung: Ab 1936 musste die Familie immer wieder | |
| umziehen, in immer kleinere Wohnungen. Ab 1938 verkaufte er seine Bücher; | |
| ein Verkauf, der „als NS-verfolgungsbedingter Entzug“ bewertet werden | |
| müsse, so de Rudder. Als Hans Sternheim und seine Ehefrau Ida Marie | |
| Sternheim am 4. November 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden, war | |
| das Ehepaar mittellos. 1944 starben beide in Auschwitz. | |
| Die Bibliothek in Hamburg hatte im Mai 1938 insgesamt 78 Bücher auf einer | |
| Auktion erworben. Fünf davon brachten mit den Eintragungen „St. in Berlin“ | |
| und „nicht-arischer Besitz“ de Rudder langsam auf die Spur von Hans | |
| Sternheim. Nach langer Suche fand sie heraus, dass Tochter Käthe und die | |
| Enkelin überlebt hatten. | |
| Käthe Mertens, die von einem nichtjüdischen Berufsoffizier geschieden | |
| lebte, musste Zwangsarbeit leisten. Ihre Tochter Ingrid, 1929 geboren, kam | |
| zunächst mit einer Kinderlandverschickung aufs Land. Als die Gesetze erneut | |
| verschärft wurden, konnten Mutter und Tochter in der Oberlausitz | |
| untertauchen. | |
| ## „In herzlicher Freundschaft“ | |
| Im Sommer 2019 schließlich kontaktierte de Rudde die mittlerweile | |
| 90-jährige Mertens in Berlin. Fünf Bücher aus dem Bestand ihres Großvaters | |
| fanden sich in der Bibliothek. Doch Mertens entschied sich dafür, die | |
| Bücher in der SUB zu lassen – und übergab ihr gleich weitere | |
| Familiendokumente. | |
| Sie überreichte auch einen Fontane-Gedichtband mit Widmung des Dichters für | |
| ihre Urgroßmutter Ida: „in herzlicher Freundschaft“. Die | |
| [3][antisemitischen Ressentiments des Dichters] deutete de Rudder an. | |
| In der Bibliothek bat Mertens, ihre Rede ablesen zu dürfen: Es sei die | |
| erste öffentliche Rede ihres Lebens. Durch eine randlose Brille schauend | |
| las sie vor. Sie fühle sich durch die Mühe der SUB geehrt. Vieles aus der | |
| Familiengeschichte habe sie erst jetzt erfahren. Keine Bitternis hatte sie | |
| dabei im Ton – aber sie sagte auch, dass sie nicht erwartet habe, einen | |
| neuen Antisemitismus in Deutschland erleben zu müssen. | |
| 25 Oct 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Speit | |
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