# taz.de -- Lübecker Völkerkundesammlung: Der Blick der Laien | |
> Lübeck soll wieder ein Museum für seine Völkerkundesammlung bekommen. Die | |
> Besonderheit der Sammlung: Es waren Laien, die gesammelt haben. | |
Bild: Wie kamen sie nach Lübeck? Teppiche der Navajo Indianer aus der Lübecke… | |
Bremen taz | Seit 2007 hat die alte, stolze Völkerkundesammlung der Stadt | |
Lübeck kein eigenes Museum mehr. Die Bürgerschaft hatte aus Geldnot | |
beschlossen, den Ausstellungsbetrieb einzustellen. Der ehemalige | |
Ausstellungsort, das Zeughaus, ein backsteinerne Renaissancebau am Fuße des | |
Lübecker Doms, ist jetzt nur noch Lager für die Sammlerstücke aus aller | |
Welt. 26.000 Objekte warten seitdem ordentlich verpackt darauf, wie es | |
weitergeht. | |
Vor einem Jahr kam Bewegung in die Sache. Die Bürgerschaft beschloss, dass | |
die Völkerkundesammlung wieder ein Museum bekommen soll. Inzwischen liegt | |
auch ein Konzept für das neue ethnologische Museum vor, nur die | |
Standortfrage ist noch nicht ganz geklärt. „Das ist jetzt aber nur noch | |
eine rein politische Entscheidung“, sagt Hans Wißkirchen, leitender | |
Direktor der Lübecker Museen. | |
Neuer Leiter der Völkerkundesammlung ist seit vergangenem Jahr der | |
39-jährige Lars Frühsorge. Er hat Altamerikanistik, Geschichte und | |
Lateinamerikastudien an der Universität Hamburg studiert und 2010 seinen | |
Doktor gemacht, nun bekommt er sogar eine volle Stelle, Geld ist also | |
wieder da. Bald kommt eine Doktorandin dazu, die mit Frühsorge zusammen der | |
Frage nach der Herkunft einiger Stücke nachgehen wird. | |
Frühsorge fühlt sich einer neuen Generation von Museumsleitern zugehörig, | |
die um Aufarbeitung bemüht ist. „Die ältere Generation wollte solche Fragen | |
immer eher deckeln.“ Ende Oktober erhielt die Lübecker Völkerkundesammlung | |
zusammen mit sechs weiteren Museen, darunter dem Bremer Überseemuseum und | |
dem Museum am Rothenbaum MARKK Hamburg, eine Förderung für | |
Provenienzforschungsprojekte. In Lübeck will man der Herkunftsfrage von | |
Objekten aus Zentralafrika nachgehen sowie Objekten, die im Zusammenhang | |
mit dem Genozid an den Herero im heutigen Namibia stehen. „An uns wurden, | |
im Gegensatz zu allen anderen Museen, bisher keine Rückgabeforderungen | |
gestellt“, sagt Frühsorge. „Der Vorteil ist also, dass wir proaktiv | |
forschen können.“ | |
Die Befürchtung, Raubgut im Haus zu haben, treibe viele Kuratoren um, meint | |
Frühsorge. Das öffentliche Interesse und die um Aufklärung bemühte | |
Herangehensweise junger Museumsleiter habe aber auch zur Folge, dass es | |
mehr Fördergelder gebe. „Das ist doch eine Chance.“ So könne man sich | |
ausgiebig mit den Stücken beschäftigen und endliche die Archive | |
durcharbeiten. Dass in dem Zusammenhang aufkommende Rückgabeforderungen per | |
se etwas Negatives seien, glaubt er nicht. „Viele Völker wollen gar nicht | |
unbedingt etwas zurückhaben. Sie freuen sich oft, dass etwas aus ihrer | |
Kultur in Europa ausgestellt wird.“ | |
Er verstehe jedoch, dass andere Museen Probleme bekommen könnten mit dem, | |
was die Provenienzforschung zutage fördert, sagt Frühsorge. Häuser wie zum | |
Beispiel das British Museum in London oder das Musée du Quai Branly in | |
Paris würden selbstverständlich viel mehr unter Rückgabeforderungen leiden. | |
Die Lübecker Sammlung bestehe zum Glück fast ausschließlich aus privaten | |
Sammlerstücken, sagt Frühsorge. Darum sei sie viel weniger problematisch | |
als beispielsweise die Berliner Sammlung. „Der Charme unserer Sammlung | |
besteht darin, dass es Laien waren, die gesammelt haben. Sie hatten nicht | |
den ‚Forscherblick‘, darum sagen die Objekte auch sehr viel über die | |
Sammler selbst aus.“ | |
Es gebe insgesamt eine Kehrtwende bei der Arbeit der Museen, sagt Hans | |
Wißkirchen. Es gehe nicht mehr nur um reine Wissensvermittlung von oben | |
herab. „Die Frage heute sollte eher lauten: Was hat das mit mir zu tun?“ | |
Der Besucher müsse mehr mit einbezogen werden. Interessanter als das reine | |
Objekt sei für eine Ausstellung heute die Frage: Wer hat was wann warum | |
hergebracht? Im neuen ethnologischen Museum sollen darum die Geschichten | |
der Sammler im Mittelpunkt stehen. | |
Wachsen wird die Sammlung bis auf Weiteres aber nicht. Sammelaufträge | |
würden gar nicht mehr vergeben, sagt Frühsorge. „Das war einmal.“ Heute | |
wäre einfach zu wenig Platz. Zusätzliche Objekte kämen wenn, dann nur durch | |
Schenkungen. „Wir lehnen weitaus mehr ab, als wir annehmen“, sagt der | |
Völkerkundeleiter. „Wir haben auch kein Interesse daran, uns nachträglich | |
Raubgut ins Haus zu holen.“ | |
Sei die Provenienz der Objekte geklärt, dann könne man darüber nachdenken, | |
Stücke anzunehmen. Bevor die Sammlung kein neues Zuhause habe, würden sie | |
aber keine Schenkungen mehr annehmen, sagt Frühsorge – aus Platzmangel. | |
Wann die Sammlung ihr neues Museum bekommt und an welchem Standort dies | |
geschehen soll, ist noch nicht geklärt. Ein Vorschlag der momentan zur | |
Debatte steht, ist das alte Bundesbankgebäude der Stadt, gelegen direkt am | |
Eingang der Stadt, neben dem Holstentor. Die Stadt möchte das Gebäude | |
kaufen. „Wenn der Ankauf der Bundesbank klappt, dann spricht vieles für | |
diesen Standort“, sagt Wolfgang Neskovic (Unabhängige), Vorsitzender des | |
Kulturausschusses. Auch der Lübecker Bürgermeister Jan Lindenau (SPD) hält | |
das Gebäude für eine gute Wahl. Er hält es für denkbar, zusätzlich noch das | |
Holstentormuseum zu nutzen. | |
18 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Mahé Crüsemann | |
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