# taz.de -- Ausstellung auf Augenhöhe: Dialog mit dem Ende der Welt | |
> Eine Ausstellung in Lübeck zeigt, wie sich Indigene in Chile und | |
> Argentinien an Veränderungen angepasst haben. Entstanden ist gemeinsam | |
> mit den Communitys. | |
Bild: Werden auch mit dubiosen Theorien erklärt: Steinstatuen in Ahu Akivi, Ra… | |
Von den [1][Moai auf Rapa Nui], der Osterinsel, hat fast jede:r schon mal | |
ein Foto gesehen. Über 880 der kolossalen Steinstatuen verteilen sich in | |
Gruppen über die 160 Quadratmeter große Vulkaninsel im Südostpazifik, mehr | |
als 1.000 sollen es mal gewesen sein. | |
Wann genau und wozu sie errichtet wurden, ist unklar. Nicht mehr als 1.500 | |
Jahre alt sollen sie sein, stellten wohl Häuptlinge dar und dienten der | |
Ahnenverehrung. Aber auch Fake News und Verschwörungstheorien ranken sich | |
bis heute um sie: Der Schweizer [2][Pseudowissenschaftler Erich von | |
Däniken] etwa ist davon überzeugt, dass Außerirdische sie mit Lasern aus | |
dem Vulkanstein geschnitten haben. Solche „Erklärungen“ trauen den | |
Indigenen nicht zu, die Statuen hergestellt zu haben. | |
Noch ein Mythos rankt sich um die Osterinsel: Die dort lebende Gesellschaft | |
habe sich selbst zerstört, heißt es, durch Raubbau an der Natur. Als der | |
Niederländer Jacob Roggeveen 1722 als erster Europäer dort an Land ging, | |
fand er eine im Gegensatz zur Zahl der Steinstatuen auffällig geringe | |
Bevölkerung vor: maximal 3.000 Menschen. Dass neue Forschungsergebnisse, | |
aber auch Menschen von der Osterinsel, aus Patagonien und Feuerland eine | |
andere Geschichte erzählen, zeigt die Ausstellung „[3][Hoffnung am Ende der | |
Welt – Von Feuerland zur Osterinsel]“ der [4][Lübecker Völkerkundesammlun… | |
im dortigen [5][Museum für Natur und Umwelt]: Die indigene Bevölkerung hat | |
sich demnach auf eine bemerkenswerte Weise an die ökologischen | |
Veränderungen anpassen können, etwa indem sie Steinmulche gegen die | |
Bodenerosion angelegt hat. | |
## Den Anstoß gab ein Schädel | |
So konnten sich die Rapanui nach der Kolonisation durch das rund 3.500 | |
Kilometer entfernte Chile auch eine eigenständige Kultur bewahren, erzählt | |
Lars Frühsorge, der die Ausstellung kuratiert hat. Anders erging es | |
Indigenen in Patagonien und Feuerland wie den Selk’nam: Als sich Ende des | |
19. Jahrhunderts europäische Siedler dort niederließen, ermordeten sie die | |
meisten. Lange nahm man an, dass keine Nachfahren der nomadischen | |
Ureinwohner:innen mehr leben. | |
Frühsorge ist seit 2018 Leiter der Völkerkundesammlung. Entwickelt hat er | |
die Ausstellung in Zusammenarbeit mit [6][Andreas Mieth von der Kieler | |
Universität]. Mieth gilt als weltweit führender Ökosystemforscher für die | |
Osterinsel. Vor allem aber ist die Ausstellung im Dialog auf Augenhöhe mit | |
den Menschen entstanden, von deren Kultur sie erzählt. | |
Da sei der Fund eines Schädels gewesen, erzählt Frühsorge: 2016 wurde die | |
Lübecker Sammlung mit ihren rund 30.000 Objekten erfasst. In einer Kiste | |
mit der Aufschrift „Feuerland“ befand sich jener etwa 100 Jahre alte | |
Schädel. „Das war für mich der Ausgangspunkt zu recherchieren und zu | |
fragen: Wie kommt so ein Schädel in ein deutsches Museum?“ | |
Als das Team feststellte, dass es, anders als die Forschungsliteratur | |
behauptet, noch Menschen gibt, die sich der indigenen Kultur Patagoniens | |
und Feuerlands zugehörig fühlen, reiste Frühsorge im vergangenen Jahr | |
spontan nach Chile, um mit den Nachfahren Kontakt aufzunehmen und darüber | |
zu sprechen, wie europäische Museen künftig angemessen mit solchen | |
Beständen umgehen können. | |
„Ich habe ihnen offenbart, dass es diesen Schädel gibt und dass wir in | |
Deutschland in einem Prozess sind, uns kritisch mit der Kolonialgeschichte | |
zu beschäftigen, und eine Ausstellung machen möchten, in die sie komplett | |
eingebunden sind“, erzählt er. Deren Erfahrung sei bislang gewesen, zur | |
Schau gestellt zu werden. „In der ersten Videokonferenz haben sie deutlich | |
gesagt: ‚Die Zeit der Völkerschauen ist vorbei!‘“ | |
Dass daraus ein gemeinsames Ausstellungsprojekt entstanden ist, macht | |
Frühsorge stolz. Denn dem Ethnologen geht es darum, Objekte seiner Sammlung | |
nicht ohne Bezug zur Gegenwart auszustellen oder politische Fragen | |
auszuklammern, sondern ein dynamisches Bild zu zeichnen. „Wir können keine | |
reinen Objektausstellungen machen. Eine historische Sammlung kann immer nur | |
der Ausgangspunkt für einen Dialog sein, in dem man gemeinsam mit der | |
Community herausfindet: Was sind eure Bedürfnisse, was wollt ihr, was ist | |
euch wichtig?“ | |
Rund 100 Exponate zeigt die Ausstellung nun, etwa Holzskulpturen von der | |
heute baumlosen Osterinsel, von denen ein Paar erst jetzt wieder | |
zusammengefunden hat – ein Teil war nach 1945 von Lübeck nach Hamburg | |
gelangt. | |
Es geht um Fragen des Klimawandels, um Kolonisation und kulturelle | |
Aneignung, um den angemessenen Umgang mit historischen Objekten. Und | |
letztlich um die Hoffnung und die gemeinsame Verantwortung für | |
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Besonders stolz ist Frühsorge | |
deshalb, dass er auch noch zeitgenössische Kunst zeigen kann – ein Impuls, | |
der aus der Community kam. | |
4 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Moai-auf-der-Osterinsel/!5014223 | |
[2] /Die-Wahrheit/!5025088 | |
[3] https://vks.die-luebecker-museen.de/hoffnung-am-ende-der-welt--von-feuerlan… | |
[4] https://vks.die-luebecker-museen.de/startseite | |
[5] https://museum-fuer-natur-und-umwelt.de/ | |
[6] https://www.ecosystems.uni-kiel.de/de/personen-am-institut/team_oeko_polar/… | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
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