# taz.de -- Die Moai auf der Osterinsel: Der Nabel der Welt | |
> Die winzige Insel mit den mystischen Steinfiguren fasziniert noch immer – | |
> Ostern vor 293 Jahren betrat der erste Europäer die Insel. | |
Bild: Steinstatuen - Moai - nahe des Vulkans Rano Ranaku auf der Osterinsel. | |
Rund 10.000 Meter über dem Pazifischen Ozean: Wir starren aus dem | |
Flugzeugfenster: Wasser, wohin das Auge reicht. Was, wenn der Pilot an dem | |
winzigen Eiland vorbeifliegt? Reicht der Treibstoff notfalls für den | |
Rückweg nach Santiago de Chile? | |
Als die Maschine zum Landen ansetzt, reißen die tief hängenden Wolken | |
endlich auf und geben den Blick frei auf ein Felsdreieck inmitten des | |
Südpazifiks. Der einsamste Ort der Welt, so wird die Osterinsel gern | |
bezeichnet. | |
Die Linienmaschine aus der chilenischen Hauptstadt braucht für den Flug vom | |
südamerikanischen Festland über das offene Meer fast fünf Stunden. Rapa | |
Nui, entferntes Land, so heißt die Osterinsel bei ihren Bewohnern. Oder Te | |
Pito O Te Henua – Bauchnabel der Welt. | |
Am nächsten Morgen treffen wir Uri Avaka Teao. Die Osterinsulanerin | |
entspricht ganz und gar dem Klischee einer Südseeschönheit: langes | |
schwarzes Haar, groß gewachsen, braune Augen und weiche Gesichtszüge. Rapa | |
Nui, so nennen die Insulaner sich und ihre Sprache, erklärt uns Uri. | |
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass es sich um einen polynesischen | |
Dialekt handelt. Heute wird er als Pflichtfach in der einzigen Schule der | |
Insel unterrichtet, obwohl Spanisch die offizielle Landessprache ist. Denn | |
die Osterinsel gehört politisch zu Chile, den Insulanern bleibt das | |
Privileg der eigenen Sprache. Englisch sprechen nur wenige Einheimische. | |
## So groß wie Wuppertal | |
163 Quadratkilometer misst die Osterinsel. Das entspricht in etwa der | |
Fläche von Washington D. C., dem Fürstentum Liechtenstein oder Wuppertal. | |
Mehrmals im Jahr läuft ein chilenisches Versorgungsschiff die Insel an und | |
bringt Treibstoff, den die Flugzeuge für ihren Rückflug ebenso brauchen wie | |
der Dieselgenerator, der die Insel mit Strom versorgt. Alle Dinge des | |
täglichen Lebens, sagt Uri, müsse man importieren: jede Limonadenflasche, | |
alle Arzneimittel und jeden Geländewagen. | |
Dabei waren noch bis vor einigen Jahren Pferde das bevorzugte | |
Fortbewegungsmittel auf der Osterinsel. Mittlerweile gibt es rund 1.000 | |
Autos, jede Menge Motorräder und Mopeds. Die wichtigsten Straßen sind | |
gepflastert, ansonsten bedeckt feiner roter Vulkanstaub die Wege. Aber die | |
Pferde gehören weiterhin zum Alltag. Man schätzt, dass 12.000 verstreut auf | |
der Insel grasen, man begegnet ihnen praktisch überall. Die Tiere sind | |
Statussymbole – vor allem für die wild aussehenden jungen Männer, die mit | |
langen Haaren auf ihren Rössern umherreiten. | |
Unser morgendlicher Ausflug beginnt in Hanga Roa, dem einzigen Ort der | |
Insel. In dem kleinen Dörfchen leben 4.000 Rapa Nui. Ihre Häuser stehen am | |
Ortsrand, die meisten aus Hohlblocksteinen gemauert oder zusammengenagelt | |
aus Pressspan und Wellblech. Dagegen sendet Radio Manukena aus einem | |
gemauerten Bungalow. Drei Personen arbeiten für den Lokalsender. Das Studio | |
wirkt improvisiert und schon etwas heruntergekommen. Dafür ist Radio | |
Manukena täglich von 8 bis 22 Uhr on air. Gesendet wird auf Spanisch und | |
Rapa Nui, erzählt uns Catalina Tuki. | |
## Die Stimme der Osterinsel | |
Die korpulente Endvierzigerin hat ihr langes schwarzes Haar hochgesteckt. | |
Catalina ist die Stimme der Osterinsel: Moderatorin, Redakteurin, Cutterin | |
und „Seelenbriefkasten“ in einer Person. Nachrichten und | |
Veranstaltungshinweise liest sie mit energischer Stimme, Grußbotschaften | |
schickt sie mit Temperament und Wärme in den Äther. Dazwischen läuft | |
traditionelle polynesische Musik. Fröhlicher Ukulelen-Sound. Musik ist | |
wichtiger als das Wort, sagt Catalina Tuki. | |
Mitten im Satz klingelt im Regieraum das Telefon. Ein junger Mann ist in | |
der Leitung und erzählt ihr, seine Mutter habe heute Geburtstag. Er möchte | |
sie grüßen und ihr gratulieren. Tuki notiert alles, dann geht sie auf | |
Sendung, und schon weiß jeder auf der Osterinsel, wo heute Abend eine Feier | |
stattfinden wird. Nachbarschaftsradio – unterstützt von der Unesco und | |
Radio Niederlande. | |
Völkerkundler und Archäologen haben nachgewiesen, dass die Osterinsel von | |
der polynesischen Inselwelt aus, also vom Westen her, besiedelt wurde. Der | |
Zeitpunkt ist umstritten, vermutlich im 8. Jahrhundert. Obwohl man damals | |
in Polynesien weder Kompass noch Schriftsprache oder Metallwerkzeuge | |
kannte, waren die Inselbewohner Meister der Navigation. Und der Seefahrt | |
mit ihren Kanus. Ungefähr um 1200 nach Christus hatten sich die Polynesier | |
in dem riesigen Ozeandreieck zwischen Hawaii, Neuseeland und der Osterinsel | |
auf jedem bewohnbaren Fleckchen Land niedergelassen. | |
Heute ist man sicher, dass auch die Besiedlung der Osterinsel sorgfältig | |
geplant war. Das zeigt auch die Ausbreitung vieler Nutzpflanzen und | |
Tierarten – von Bananen, Schweinen bis zu Hunden und Hühnern. Die Siedler | |
nahmen aus ihrer polynesischen Heimat jene Produkte mit, die ihnen für das | |
Überleben in der neuen Kolonie unentbehrlich erschienen. | |
## Süßwasser ist rar | |
Rötlich-schwarz glimmt das vulkanische Gestein, frisches Gras überzieht das | |
hügelige Eiland. Das Klima auf der Osterinsel ist mild. Doch es gibt nur | |
wenig Süßwasser, zwei Vulkanseen, kein einziges Bächlein fließt hier. Wenn | |
es mal regnet, versickert das Wasser schnell in dem porösen Vulkanboden. | |
Auch deswegen präsentiert sich das Eiland am Ende der Welt fast baum- und | |
strauchlos. Doch seit Jahrzehnten versucht man das zu ändern: | |
Vor knapp zehn Jahren hat die chilenische Forstbehörde Conaf damit | |
begonnen, den salzresistenten Aito-Baum auf der Osterinsel anzupflanzen, | |
erzählt Jorge Alejandro Edmunds, 35. | |
Gemeinsam mit seinen Kollegen untersucht der Wissenschaftler, warum auf der | |
Osterinsel kaum etwas anwächst – und ob es neben dem Aito-Baum noch andere | |
Baumarten gibt, die hier zur Wiederaufforstung geeignet sind. | |
„Die starken Winde tragen alles an Mineralien fort, die die Bäume zum | |
Überleben so dringend brauchen“, erklärt Edmunds. Die Sonne scheine hier | |
zwölf Stunden täglich. Hinzu käme die Gischt des Ozeans, die mit ihrem | |
salzigen Wasser die frischen Setzlinge bedecke, so der Biologe. Trotzdem: | |
70.000 Bäume haben bisher einen Platz in dem kargen Osterinselboden | |
gefunden. Aber über 200.000 sind nötig, um die voranschreitende Erosion | |
zumindest aufzuhalten. Eine Sisyphusarbeit: „Seit 2006 haben wir jetzt die | |
Bäume, die bereits fünf bis sechs Meter gewachsen sind. Überlegen Sie | |
einmal, fünf Meter! Der Boden der Osterinsel ist sehr mager, es gibt | |
keinerlei Mineralien. Wir brauchen also Dünger zum Wiederaufforsten.“ | |
## Kahlschlag auf der Insel | |
Wissenschafter haben nachgewiesen, dass die Insel bis zum 17. Jahrhundert | |
von Wäldern bedeckt war. Sie wurden von den Vorfahren der heutigen | |
Osterinsulaner abgeholzt, um die Moai, die steinernen Statuen, zu | |
transportieren, um Kanus und Häuser zu bauen und um die Toten zu | |
verbrennen. | |
Als im 18. Jahrhundert die Insel von den Europäern entdeckt wurde, war das | |
Eiland baumlos: „Meine Vorfahren waren davon besessen, diese Statuen zu | |
bauen“, ergänzt Uri Avaka Teao, „nur um den anderen Stämmen zu beweisen, | |
wie mächtig sie waren. Es war eine Katastrophe. Sie vergaßen darüber sogar, | |
für Nahrung zu sorgen, Fische zu fangen oder Gemüse anzubauen. Sie haben | |
sich nur auf ihre Statuen-Manie konzentriert.“ | |
Von einem Ökozid spricht der US-Geograf Jared Diamond in seinem Bestseller | |
„Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“. Und so hat s… | |
für Diamond der Untergang auf der Osterinsel abgespielt: Um 1600, so | |
Diamond, sei vermutlich der letzte Baum gefällt worden. Von da ab fehlte | |
nicht nur der wichtigste Rohstoff, um die Steinriesen aus dem Steinbruch zu | |
rollen; es gab kein Feuerholz mehr und keinen Werkstoff für die Kanus, um | |
auf das Meer zum Fischen zu fahren. Die küstennahen Gebiete wurden schnell | |
überfischt und die Vögel ausgerottet. Durch den Kahlschlag war der | |
Ackerboden dem Regen und den kräftigen Passatwinden schutzlos ausgesetzt. | |
## Nahrungsmittel gehen aus | |
Was folgte, waren zunehmende Bodenerosion und Nahrungsmittelknappheit. Um | |
die wenigen Ressourcen wurden Kriege geführt. Am Ende aßen die Insulaner | |
Menschenfleisch. | |
Heute gibt es wieder einige Waldgebiete, erklärt Biologe Edmunds, die | |
überwiegend aus Eukalyptusbäumen bestehen. Die ersten wurden um 1900 | |
gepflanzt und dann später in den 1970er Jahren. Der sei nicht gut für die | |
Insel, resümiert Edmunds, schließlich verbrauche er zu viel des kostbaren | |
Grundwassers. Außerdem stamme er aus Australien und passe so gar nicht zur | |
Osterinsel. Auch deshalb habe man seit 2006 begonnen, die südwestliche | |
Inselspitze mit dem Aito, dem Eisenbaum, aufzuforsten. | |
Aber Touristen kommen nicht wegen der Bäume, sondern wegen der Statuen aus | |
Stein, den Moai. Die riesigen Köpfe und Oberkörper ohne Unterleib | |
versetzten die Europäer in Verblüffung, seit Jacob Roggeveen 1722 das | |
Eiland entdeckte. Der niederländische Kapitän war im Auftrag der | |
westindischen Handelsgesellschaft mit drei großen Segelschiffen unterwegs, | |
als er am Ostersonntag des 5. April eine Insel sichtete. | |
Heute finden sich in dem einzigen Ort der Insel nur wenige Spuren der alten | |
polynesischen Kultur. Das Bild bestimmen zahllose Restaurants, Bars und | |
Cybercafés. Auf den Terrassen räkeln sich Urlauber in der Sonne, während | |
sie auf den nächsten organisierten Ausflug warten. Die unzähligen | |
Souvenirläden gehören ebenso zum Ortsbild wie der Supermarkt, das Postamt | |
und die katholische Kirche. | |
## Tanz und Musik | |
Abends dagegen schlagen Trommeln in rasendem Rhythmus. Köpfe wippen im | |
Federschmuck und unter Blütenkronen. Auf der von Schweiß überzogenen Haut | |
beginnt die Bemalung aus Erdfarben zu rinnen. 1998 wurde die Gruppe „Kari | |
Kari“ gegründet. Die Tänzer und Musiker spielen das ganze Jahr über in den | |
größeren Hotels für die Touristen. Sogar in Europa, Nord- und Südamerika | |
ist die vielköpfige Kompanie schon aufgetreten. | |
Ihre polynesische Abstammung sieht man ihnen auf den ersten Blick an. Sie | |
wirken wie Figuren aus den Tahiti-Gemälden des Malers Paul Gauguin. „Wir | |
wissen nicht mit Bestimmtheit, von welcher Insel wir kommen. Aber wir | |
stammen ganz sicher von einer der polynesischen Inseln“, erläutert Uri | |
Avaka Teaosie mit einem verschmitzten Lächeln. | |
„Wenn wir zum Beispiel in Europa sind, weit weg von zu Hause, und wenn wir | |
dort zufällig jemanden aus Polynesien treffen, auch wenn wir nicht wissen, | |
woher diese Person kommt, dann spüren wir sofort, dass sie von irgendeiner | |
Insel Polynesiens stammt. Wir wissen auch nicht, wie das funktioniert, aber | |
wir haben es einfach im Blut.“ | |
Die Tickets sind teuer, die Fluggesellschaft LAN besitzt ein Monopol auf | |
diesen Strecken und verbindet die Osterinsel mit dem Rest der Welt. Der | |
Flugplatz wurde einst mit US-amerikanischen Geldern ausgebaut und diente | |
den Spaceshuttles als Notfalllandebahn. | |
Knapp 50.000 Besucher kommen jährlich, vor allem aus den USA, Chile und | |
Großbritannien. Sie sind die einzige Verdienstquelle für die Rapa Nui. „Für | |
viele Reisende ist die Insel eine Art Traum. Die meisten haben schon als | |
Jugendliche von ihr gehört“, erzählt Giovanna Raineri. Die 45-jährige | |
Chilenin mit italienischen Vorfahren ist Managerin des einzigen | |
Öko-Luxushotels. | |
Erst vor einigen Jahren, so Rainieri, habe der chilenische Staat den auf | |
der Insel geborenen Rapa Nui ihr Land zurückgegeben. Seitdem darf das Land | |
nur an andere Rapa Nui verkauft werden. Ausländer und Festland-Chilenen | |
können auf der Osterinsel lediglich mieten. Das gilt auch für das Explora | |
Hotel. Rund 4 Millionen US-Dollar habe der chilenische Hotelier in den | |
modernen, umweltverträglichen Bau mit eigener Kläranlage und eigenem | |
Brunnen investiert. 20 Jahre lang dürfe er Haus und Land bewirtschaften, | |
dann gehört es wieder Mike Rapu, einem Rapa Nui. | |
## Bald nur eine Minderheit | |
Mittlerweile entdecken viele Chilenen die Osterinsel als steuerfreies | |
Paradies mit wenig Kriminalität, bilanziert Rainieri. Man gehe davon aus, | |
dass sich in den nächsten Jahren die Einwohnerzahl verdoppeln werde. Dann | |
werden die „Contis“, die zugewanderten Chilenen, wie die Rapa-Nui sie | |
nennen, in der Mehrheit sein. Aber wie viele Touristen, Zuzügler, | |
Geländewagen und vor allem wie viel Müll kann die Insel noch verkraften? | |
Kann das ökologische Gleichgewicht noch einmal kippen wie vor 400 Jahren? | |
Dabei ist das Leben auf der Osterinsel alles andere als günstig – die 3.800 | |
Kilometer Entfernung von Santiago de Chile prägen das | |
Preis-Leistungs-Verhältnis. Seit der US-amerikanische Regisseur und | |
Schauspieler Kevin Costner 1995 die Geschichte des verlorenen Paradieses | |
auf die Kinoleinwand bannte, habe sich vieles verändert, sagen die Rapa | |
Nui. | |
## Nur eine Statistenrolle | |
Viele Insulaner bekamen damals kurzfristig einen gut bezahlten Job, als der | |
Hollywoodstar auf der Insel drehte. Der Film ist nah an der Wirklichkeit, | |
findet Archäologe Claudio Christino, viele Insulaner seien stolz, daran | |
mitgewirkt zu haben, aber richtig gemocht habe das Epos um Liebe und Tod | |
hier niemand. Denn es waren neuseeländische Maoris, die in den Hauptrollen | |
spielten. Den Rapa Nui blieb wie so oft in der Inselgeschichte nur die | |
Statistenrolle. | |
Der Drogenkonsum habe mit dem expandierenden Tourismus zugenommen, das | |
größte Problem sei aber die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen, sagt uns | |
Uri Avaka Teao beim Abschied, auch wenn sich viele noch immer der | |
polynesischen Inselwelt zugehörig fühlen: „Für die Zukunft wünsche ich mi… | |
unseren Kindern zu lehren, wie man unsere polynesische Kultur am Leben | |
erhält“, so Uri. | |
„Wenn du noch jung bist, dann willst du nur weg. Du musst weggehen, damit | |
du dein Zuhause schätzen lernst, und dann willst du wieder zurückkommen.“ | |
4 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Michael Marek | |
Saskia Guntermann | |
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