# taz.de -- Ausstellung über Schönes aus der Natur: Die Kunst der Tiere | |
> Zugvögel, Ameisen und Biodaten sollen Kunst schaffen? Der Frankfurter | |
> Kunstverein zeigt Schönes aus der Natur, um ihrer Zerstörung | |
> entgegenzutreten. | |
Bild: Alexandra Daisy Ginsbergs „Pollinator Pathmaker: ARr77z-vQW8Bq8q6hgDHUm… | |
Regale voller Terrarien, die verbunden sind mit Glasrohren und gefüllt mit | |
Erdreich, Blättern, Ästen und Farnen. Man muss schon genau im Halbdunkel | |
hinsehen, um wahrzunehmen, dass hier überall Blattschneiderameisen | |
herumwieseln und an den Blättern nagen. Dass sie diese Blätter zu einer | |
breiigen Matschepampe zerkauen, die wiederum als Nährboden dient, auf dem | |
die Pilze wachsen, von denen sich die Ameisenkolonie ernährt. | |
Die Installation ist derzeit im Frankfurter Kunstverein zu sehen, aber sie | |
könnte auch in einem Zoo gezeigt werden. Bei genauer Betrachtung stellt | |
sich heraus: Die Installation kommt tatsächlich aus dem Frankfurter Zoo, | |
der bei der Organisation der Ausstellung „Bending the Curve – Wissen, | |
Handeln, [Für]Sorge für Biodiversität“ ebenso beteiligt war wie das | |
Frankfurter Senckenberg Naturmuseum. | |
## Zusammenarbeit zwischen Zoo und Kunstverein | |
Die ungewöhnliche Zusammenarbeit zwischen Franziska Nori vom Kunstverein | |
und Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und | |
Klima Forschungszentrums, zeigt aber keine – oft effekthascherische – „Bio | |
Art“. Die Ausstellung präsentiert bedacht ausgewählte Exponate aus | |
Naturwissenschaft und bildender Kunst unter einer prägnanten These: Um | |
Klimawandel, Verlust von Biodiversität und Umweltverschmutzung zu stoppen | |
und so die Ökosysteme zu schützen, bedürfe es „positiver Erzählungen“. | |
Und in der Tat haben alle gezeigten Exponate gemeinsam, dass sie von einer | |
alternativen, ressourcenschonenden Art im Umgang mit unserer Umwelt | |
handeln. Ob diese These richtig ist, sei einmal dahingestellt. Die | |
Ausstellung funktioniert aber auch dann wunderbar, wenn man ihr nicht | |
zustimmt, weil man die meisten Exponate auch ohne Überbau und Ökobezug | |
einfach als Kunst betrachten kann. | |
Was in den ausführlichen Wandtexten kaum Erwähnung findet, ist die | |
Tatsache, dass gerade viele der Ausstellungstücke aus der Naturwissenschaft | |
eine auffallende Nähe zu gut eingeführten Kunstpraktiken haben. Nehmen wir | |
die in der Ausstellung präsentierte „Movebank“ des Max-Planck-Instituts f�… | |
Verhaltensbiologie, in der die Bewegungsdaten von Wildtieren gespeichert | |
werden. | |
Sie ist im Kunstverein durch eine Videoinstallation repräsentiert, in der | |
die gespeicherten Informationen über die Routen von Zugvögeln und | |
Tierwanderungen per Geo-Mapping auf einen rotierenden Globus gelegt sind. | |
Die Liniennetze, die sich so ergeben, erinnern an den oft zitierten Satz | |
von Paul Klee: „Zeichnen ist die Kunst, Striche spazieren zu führen.“ So | |
[1][wie Klee aus vielen einfachen Strichen] komplexe Bildstrukturen | |
entstehen ließ, so zeichnen die Tierbewegungen vielgliedrige, globale | |
Muster auf den Planeten. | |
Formal und konzeptuell ähnlich werden Biodaten auch in der Video- und | |
Virtual-Reality-Installation „MYRIAD. Where we connect“ von Interactive | |
Media Foundation und Filmtank aus Italien in weiße Muster auf schwarzem | |
Hintergrund übersetzt, die an die Videoinstallationen von Christa Sommerer | |
und Laurent Mignonneau erinnern. | |
## Ameisenbauten wie Kleinskulpturen | |
Wenn man erst mal angefangen hat, die Exponate wie reine Kunstwerke zu | |
betrachten, kommen die erstaunlichsten Assoziationen. Da sind zum Beispiel | |
sechs Aluminiumabgüsse von unterirdischen Ameisenbauten des | |
US-amerikanischen Biologen Walter R. Tschinkel. Von der Decke hängend sehen | |
sie aus wie abstrakte Kleinskulpturen, die von Calder, Giacometti oder | |
[2][Brâncuși] inspiriert sein könnten. | |
Die Zeitrafferaufnahmen vom Pilzwachstum des italienischen Künstlers | |
[3][Maurizio Montalti] gemahnen an die Stoner-Videokunst voller visueller | |
Metamorphosen und Transformationen, wie Dan Sandin oder Ed Emshwiller sie | |
in den 70er Jahren mit der Hilfe von Videosynthesizern produzierten. | |
Und die Ameisen aus dem Frankfurter Zoo, die sich in ihrem | |
Terrarien-Habitat ihr eigenes Reich schaffen? Wenn das nicht eine „soziale | |
Skulptur“ im Sinne von Joseph Beuys ist, also ein Werk entstanden aus der | |
Kollaboration von vielen Akteuren! Jedes Tier ist ein Künstler. | |
Um die Installation so zu betrachten, muss man freilich akzeptieren, dass | |
auch Ameisen eine Gesellschaft sein können und ein genuines | |
Ameisen-Soziales haben. Und das ist letztlich das Ziel der Ausstellung: | |
eine Verschiebung der Blickrichtung von einem „anthropozentrischen“ | |
Standpunkt hin zu einer vollkommenen Betrachtungsweise, die auch die | |
Perspektive von Tieren und Pflanzen mit einbezieht. | |
15 Nov 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
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