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# taz.de -- Roman über Konrad Lorenz: Durch „Aggressionstrieb“ berühmt
> Star der Verhaltensbiologie, Nobelpreisträger, Nationalsozialist. Ilona
> Jergers Roman erzählt über Konrad Lorenz – kritisch und spannend.
Bild: „Gänse sind auch nur Menschen“: Lorenz unterwegs mit Artgenossen
Kein Untertitel. Keine Erläuterung. Nur Lorenz. Am linken Rand des
Umschlagbildes geht eine Person in Gummistiefeln. Sechs Gänse folgen ihr.
Klar: „Der Lorenz“ ist gemeint, der 1973 den Nobelpreis erhielt. Damals
sagte „Lorenz“ alles. Er war die Ikone der Biologie in den 1970er und
1980er Jahren. Wie vergänglich ist doch der Ruhm! Selbst Studierende der
Biologie kennen gegenwärtig kaum noch etwas von Konrad Lorenz. Mit seinem
Tode am 27. Februar 1989 verblasste seine Wissenschaft, das vergleichende
Studium des Tierverhaltens.
Sie verkroch sich in modernere, wissenschaftlicher klingende Nischen
experimentell physiologischer und neurologischer Forschung. Die
Max-Planck-Gesellschaft wickelte die von ihr geförderte Verhaltensforschung
ab. Sie formte Teile davon um in hochmoderne Institutionen, wie die
Evolutionäre Anthropologie in Leipzig und das Max-Planck-Institut für
Ornithologie. Kleine und feine Nachfolgeinstitutionen etablierte Österreich
für den nach seiner Pensionierung heimgekehrten Nobelpreisträger.
Viel wurde über Konrad Lorenz geschrieben. Viel Huldigendes, solange er
lebte, etwa das Buch „Zum Sehen geboren“ seines Schülers Antal Festetics.
Kritiker schlugen umso heftiger zu. Lorenz hatte deren viele. Sie
durchsuchten, was sich im Schatten der Lichtgestalt verbarg. Lorenz gab
genug Anlässe zu massiver Kritik.Vor allem mit dreien seiner Bücher: „Das
sogenannte Böse“, „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“ und
„Der Abbau des Menschlichen“.
## Heftig kritisiert
Mehr als seine eigentliche Verhaltensforschung an Gänsen und Dohlen, am
Hund und vielen anderen Tieren charakterisieren diese seine Denkweise, auch
sein Engagement als Naturschützer und Gesellschaftskritiker. „Das
sogenannte Böse“ wurde nach Erscheinen (1963) sogleich heftig verrissen,
geriet aber schon vor Lorenz’ Tod in Vergessenheit. Gegenwärtig wird „Die
Rückseite des Spiegels“ als sein bekanntestes Werk in Informationen für den
Schulunterricht aufgeführt. Und betont, dass Lorenz entlarvt worden sei,
überzeugter Nationalsozialist gewesen zu sein.
Mit „Lorenz“ ging Ilona Jerger das Wagnis ein, sich mit Zeitzeugen
anzulegen, die ihn erlebt oder mit ihm noch zusammengearbeitet haben. Als
ein solcher las ich in steter Widerspruchsbereitschaft, hatte mich der
Nobelpreisträger doch tief beeindruckt, als wir in den 1970er Jahren in der
„Gruppe Ökologie“ zusammen aktiv waren, und auch später bei Gesprächen v…
seinem Riesenaquarium in Altenberg an der Donau, dem Familiensitz.
Als sich sein Ruhm in den 1960er und 1970er Jahren aufbaute, bekamen wir
von seiner Jugendzeit nicht mehr mit als aus seinen Bestsellern „Er redete
mit dem [1][Vieh, den Vögeln und den Fischen]“ und „So kam der Mensch auf
den Hund“ herauszulesen war. Höchst reizvolle Tiergeschichten sind dies.
Sprüche wie „Gänse sind auch nur Menschen“ oder „Putzgespräche“ als
Ausdruck für belangloses Plaudern machten bei uns die Runde.
## Aggression als angeborener Naturtrieb
Dank des [2][„sogenannten Bösen“] wussten wir, dass die Aggression
angeborenermaßen im Menschen steckt. Um Schlimmes zu verhindern, muss sie
immer wieder umgelenkt werden auf tolerable Bahnen, „um Dampf abzulassen“,
wie es der Meister ausdrückte. Wie das geht, sehen wir bei Fußballspielen
und anderen Sportereignissen im Fernsehen, so als wollten Hooligans die
Lorenz’sche Sicht bestätigen.
Mit wachsender Spannung las und las ich „Lorenz“, hin- und hergerissen von
der Frage, was Ilona Jerger erfunden hatte und was den biografischen Fakten
entspricht. Den Verlauf seiner Kriegsgefangenschaft verwies ich in die
Sphäre des Romans, weil sie mir zu geschönt schien. Manches aus der Zeit
davor wirkte wie Ausbrüche seiner jugendlichen Sturm-und-Drang-Jahre im
Schatten des Vaters, der als höchst angesehener Mediziner selbst
nobelpreisverdächtig war. Und die in Amerika und England entwickelte
„Eugenik“, die Rassenhygiene, vehement vertrat.
Das heimatliche Österreich litt unter seiner Schrumpfung zum Zwergstaat
nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, den es ausgelöst hatte. Viele sahen
nun im Österreicher, der in Deutschland an die Macht gekommen war, das neue
Heil. Der junge Konrad frönte indes seiner Motorradleidenschaft. Er nahm
damit seine späteren Deutungen des provozierenden Verhaltens junger Männer
vorweg. Imponiergehabe nannte er es.
Sein enger Mitarbeiter Irenäus Eibl-Eibesfeldt dokumentierte dieses und
anderes Verhalten von Menschen in vielen Filmen. Er veröffentlichte
Verhaltensforschung am Menschen in einem großen, auch ins Englische
übersetzten Lehrbuch. Andere seines Kreises taten sich hervor mit
publikumswirksamen Büchern wie Thomas Schulze-Westrum mit „Die Biologie des
Friedens“ und Wolfgang Wickler mit „Die Biologie der zehn Gebote“. Mit und
an Lorenz kristallisierte sich ab den 1960er Jahren eine neue, biologisch
orientierte Forschung am Menschen.
## Schleppte Altlast mit sich
Alles hätte so wunderbar weiterlaufen können. Doch Lorenz schleppte eine
Altlast mit sich. Dokumentiert ist sie in seinen am 28. Juni 1938
gestellten Antrag zur Aufnahme in die NSDAP: „Ich war als Deutschdenkender
und Naturwissenschaftler selbstverständlich immer Nationalsozialist und aus
weltanschaulichen Gründen erbitterter Feind des schwarzen Regimes … und
hatte wegen dieser … Schwierigkeiten mit der Erlangung der Dozentur.“
Eine solche bekam er, und was für eine! Den Lehrstuhl Kants in Königsberg.
Konrad Lorenz nutzte die Gunst der Zeit, in der sehr viele Wissenschaftler
Positionen erlangten, die Vertreibung und Flucht vakant gemacht hatten.
Ilona Jerger: „Zu behaupten, dass Lorenz nur wegen seiner Linientreue
dieses besondere Ordinariat bekommen hat, wäre falsch. Wahr ist, dass
Lorenz den Lehrstuhl ohne seine ideologischen Vorleistungen nicht bekommen
hätte.“ Sie urteilt und verurteilt.
Doch wie alle Sichtweisen ist ihre in romanhafter Verkleidung ausgebreitete
Lorenz-Biografie dem Zeitgeist unterworfen. Was manches Urteil verständlich
macht. Etwa bei der Kritik des Aggressionstriebs. Zu ihrem Verdikt zieht
sie das Sevilla Statement on Violence heran, das 20 Wissenschaftler
unterschiedlicher Fachrichtungen 1986 proklamiert hatten: Es gibt keinen
Aggressionstrieb. Kein angeborenes Böses.
Doch ist so ein Streit um Begriffe nicht Verkennung von Naturwissenschaft,
in der nicht nach Mehrheiten entschieden wird? Worum handelt es sich dann
bei der Aggression? Fällt sie vom Himmel? Wie sollen wir sie benennen? Man
denke an den Geschlechtstrieb. Gibt es diesen auch nicht? Welch bessere
Erklärung der Aggression liegt vor? Das bleibt offen.
Die Menschheit hielt sich ohnehin nicht an das Manifest von Sevilla. Zwar
ging das „Gleichgewicht des Schreckens“ zu Ende, denn die wirtschaftliche
Dominanz des Westens hatte die Sowjetunion in den Ruin und China auf
Reformkurs getrieben. Alles schien sich nun zum Guten zu wenden, als in
jenem legendären Jahr 1990 in Deutschland zusammenkam, was zusammengehörte.
Das „sogenannte Böse“ mochte auf dem Abfallhaufen der Geschichte landen.
## Aggression wieder auf dem Vormarsch
Doch alsbald feierte die Aggression grimmig Urständ. Krieg folgte auf
Krieg. Auf dem Balkan, im Vorderen Orient, in Afrika, in Osteuropa. Ein
dritter Weltkrieg droht. Woher das Böse? Alles nur Werk weniger schlimmer
Menschen? Welche Quelle nährt es? Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht,
Aggression steckt im Menschen. Und die Bereitschaft dazu, sich parteiisch
für eine Seite zu engagieren. Ohne Wenn und Aber, ohne zu differenzieren.
Besser weiß man es erst hinterher, falls jemals. Denn über die Sichtweise
entscheiden die Sieger.
Wie wird in weiteren 50 Jahren über unsere heutige Zeit geurteilt werden?
Wissen wir alles wieder mal besser? Im Naturschutz wird ein Vokabular wie
im Nationalsozialismus verwendet. Böse sind „die Fremden“ (Arten/Rassen),
die eindringen, infiltrieren, metastasieren wie Krebsgeschwüre, die
Heimisches unterwandern und verfremden. Überall sollte ausgemerzt,
zumindest mit allen Mitteln bekämpft werden. Warum findet all dies so
automatisch emotionale Zustimmung?
Anders als in ihrem Erfolgsroman „Und Marx stand still in Darwins Garten“
(2018), in dem das Treffen der Ikonen von [3][Evolutionsbiologie] und
Sozialismus rein fiktiv verläuft und ihr damit die Möglichkeit bietet,
zentrale Ideen herauszuarbeiten und in den Zeitbezug zu stellen, bleibt in
„Lorenz“ das Romanhafte Beiwerk. Die kritische Sicht dominiert. Damit liegt
das Buch voll im Trend unserer Zeit der „Aufarbeitung der Geschichte“.
Konrad Lorenz’ Wiener Vorläufer und noch fast Kollege Sigmund Freud hätte
diese Neigung als Äußerung des „Todestriebs“ gewertet.
Der Naturschützer Lorenz würde die Bedrohung durch den Klimawandel als
Bestätigung seiner „Acht Todsünden“ empfinden. Zeitmuster wiederholen sic…
Die Pendel schwingen stets von Extrem zu Extrem. Die Mitte lässt sich nicht
halten. Wer wird beim Urteilen wem wirklich gerecht? Kann man auf „die
Biologie“ beim Ringen um Lösungen für ein friedlicheres Miteinander
verzichten? „Lorenz“ regt an, auch über unsere Zeit nach- und darüber
hinaus zu denken. Lösungen bietet das Buch nicht. Aber eine ergreifende
Lektüre.
11 Mar 2024
## LINKS
[1] /Ausstellung-ueber-Schoenes-aus-der-Natur/!5971864
[2] /Nature-Writing-von-Mary-Hunter-Austin/!5918072
[3] /Kinder-fragen-die-taz-antwortet/!5984136
## AUTOREN
Josef Reichholf
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