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# taz.de -- Nature Writing von Mary Hunter Austin: Brutalität und Schönheit
> Mary Hunter Austin schrieb neugierige Essays über den US-amerikanischen
> Westen. Endlich sind sie in deutscher Übersetzung zu entdecken.
Bild: Regen fällt hier tatsächlich nicht viel: Straße durch die Mojave-Wüst…
Im Südwesten der USA erstreckt sich ein Gebiet, das die US-amerikanischen
Ureinwohner mal als „Land der verlorenen Grenzen“, dann wieder als „Land
der verlorenen Flüsse“ und zuweilen auch als „Land der drei Jahreszeiten“
beschreiben.
Die US-amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin Mary Hunter Austin hat
fast ihr ganzes Leben im Westen der USA verbracht. Als sie 1903 ein Buch
über die Mojave-Wüste veröffentlichte, entschied sie sich für eine vierte,
ebenfalls indianische Bezeichnung. Sie sprach vom „Land of Little Rain“,
dem Land, „wo wenig Regen fällt“.
120 Jahre nach dem Erscheinen hat dieser nun endlich ins Deutsche
übersetzte [1][Nature-Writing-Klassiker] nichts von seiner Kraft und Poesie
verloren. Die darin versammelten Essays lassen majestätische Landschaften
vor dem inneren Auge entstehen, halten das existenzielle Kommen und Gehen
des Lebens fest und dokumentieren ethnografisch das Leben derjenigen, die
sich dieser Landschaft aussetzen.
Ein Wagnis, wie Hunter Austin auf den ersten Seiten deutlich macht. „Egal,
wie weit Sie es wagen, ins Herz eines einsamen Landes vorzudringen, Leben
und Tod werden stets vor Ihnen da sein.“
Mary Hunter Austin wurde am 9. September 1868 in Illinois geboren. Sie
studierte Psychologie und Botanik, zog 1888 mit ihrer Familie nach
Kalifornien und lernte dort ihren späteren Ehemann Wallace Austin kennen.
1892 erschien ihre erste Kurzgeschichte, die vom Schicksal mexikanischer
Wanderarbeiter handelt. In den folgenden Jahren erschienen weitere Texte
über das Leben im amerikanischen Westen. Sie bilden die Grundlage für ihr
Debüt „Land of Little Rain“, das bis heute das vibrierende Zentrum ihres
Werkes bildet.
## Das Plappern der Wasserläufe
Mehr als zehn Jahre hat Hunter Austin die Gebiete des amerikanischen
Westens erkundet. Neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin ist sie den
Wasserwegen des Ceriso gefolgt, hat den Tafellandpfad beschritten,
Bergstraßen und Ufersäume erforscht und die Siedlungen von Ureinwohnern und
Goldsuchern bereist.
In ihren lebendigen Texten fängt sie das Leben in diesen unwirtlichen
Gebieten ein, porträtiert die Kojoten („unser eigentlicher Wasserhexer“)
und Kaninchen („ein dummes Volk“), die Wachteln („die glücklichsten Nutz…
der Wasserwege“) und Raben („der am wenigsten abstoßende unter den
heimischen Aasfressern“).
Sie schreibt über das „Plappern der Wasserläufe“, den „Geruch des
Salzgraslandes“ und das blaue „Licht, das durch die Schneewände dringt“.
Dabei werden wir Zeuge der existenziellen Dramen im Weltenlauf und
begreifen mit jeder Zeile mehr von der grausamen Ökonomie der Natur.
Hunter Austin ging es nie darum, „dem eigentlichen, wirklichen Leben
näherzutreten“, wie es [2][Henry David Thoreau] in seinem Klassiker „Walden
oder Leben in den Wäldern“ formulierte. Sondern sie wollte ihrer
Faszination nachgehen und von jenen lernen, denen diese Landschaft und
Natur am vertrautesten ist. „Lebe lang genug mit einem Indianer und er wird
oder die Wildtiere werden dir zeigen, dass jedes Gewächs auf diesem Gebiet
einen Zweck erfüllt.“
## Über das Leben lernen
Wenn sie hier Hymnen auf die Künste von Medizinmann Winnenap’ oder der
Korbflechterin Seyavi singt, klingt ihr Engagement für die Rechte der
Ureinwohner an. Zugleich dokumentiert sie das traurige Schicksal der Clans,
„die einst über die Erde herrschten und nun zu bedauernswerten Anhängseln
verkommen sind“.
Dabei gäbe es von den alten Indianerfrauen so viel „über das Leben zu
lernen, das in keinen Büchern steht, Märchen, Geschichten über die
Hungersnot, über Liebe, langes Leid und Sehnsucht, aber ohne Wehklagen“.
Hunter Austin war keine zurückgezogene Eigenbrötlerin, sie bewegte sich im
Umfeld bedeutender Autor:innen ihrer Zeit, darunter Sinclair Lewis, Jack
London, Henry James, William Butler Yeats, George Bernard Shaw und Herbert
George Wells. Sie nahm an [3][Demonstrationen von Suffragetten] teil und
engagierte sich neben Aktivistinnen wie Emma Goldman für Umwelt und
Frauenrechte. Dieses Engagement, aber auch ihr Interesse für philosophische
und spirituelle Fragen prägen ihr Werk.
## Der moderne Mensch als Tölpel
Die in der großartigen Übersetzung von Alexander Pechmann ebenso poetische
wie mitreißende Prosa der Amerikanerin ist durchdrungen vom Willen, die
Welt in all ihrer Brutalität und Schönheit zu erfassen. Stellt sie gerade
noch nüchtern auf die Regeln der Natur ab, ist sie kurz darauf beseelt von
der göttlichen Kraft des Lebens.
Nur der moderne Mensch scheint für sie von alldem wenig zu verstehen. Als
„großer Tölpel“ macht er Lärm und Dreck, versteht nichts vom Leben im
Einklang mit der Natur.
Wohin diese Lebensart führt, hat Hunter Austin mit geradezu prophetischer
Genauigkeit vorausgesagt. „In einer Umwelt aus asphaltierten Straßen
züchten wir ein Volk heran, dessen Glaubensbekenntnis vor allem darin
besteht, die Lebensweise anderer Menschen einzuschränken“. Ebenso
hellsichtig wie barmherzig, ist dieses betörende Buch von Mary Hunter
Austin ein säkulares Gebet an das Mysterium der Welt.
27 Mar 2023
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## AUTOREN
Thomas Hummitzsch
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