# taz.de -- NS-Raubkunst in Flensburg: Die Beute der Väter | |
> In der Ausstellung „Wem gehört die Kunst?“ zeigt der Flensburger | |
> Museumsberg erste Ergebnisse seiner Provenienzforschung. | |
Bild: Unter Zwang versteigert : Die Silbersammlung des jüdischen Kaufmanns Leo… | |
FLENSBURG taz | Als der jüdische Kaufmann Leopold Teppich 1923 starb, war | |
in der Stadt Flensburg die Anteilnahme groß: Ein ehrenwerter Wohltäter sei | |
er gewesen, war in der örtlichen Presse zu lesen; ein Mäzen auch, der nicht | |
zuletzt dank großzügiger Spenden geholfen habe, das Flensburger | |
Stadttheater zu begründen. | |
Teppich hinterließ seiner Witwe damals eine umfangreiche Sammlung an | |
Silberstücken, vom einzelnen silbernen Knopf über Broschen bis zum | |
Nähwerkzeug. 5.000 Exponate hatte er am Ende gesammelt; vieles hatte er den | |
örtlichen Bauern abgekauft, die sich vom Erlös bei Teppich in dessen | |
Bekleidungsgeschäft in der Flensburger Innenstadt neu einkleideten. | |
An dieser Sammlung war Fritz Fuglsang, von 1927 bis 1961 Direktor des | |
damaligen Flensburger Grenzlandmuseums, das heute das Museum „Museumsberg“ | |
ist, sehr interessiert. Gleich nach dem Tod des Sammlers nahm er Kontakt zu | |
dessen Witwe auf, bedrängte sie, ihm die Sammlung schon mal zu | |
überschreiben oder ihm wenigstens im Falle ihres Todes ein Vorkaufsrecht | |
einzuräumen. Doch Helene Schönfeld, wie die Witwe nun wieder mit so | |
genanntem Mädchennamen hieß, reagierte kühl – und hielt den Museumsdirektor | |
auf Abstand. | |
Als im Zuge der sogenannten Nürnberger Rassegesetze zwölf Jahre später ihr | |
Leben bedroht wurde, sie emigrieren musste und der Familienbesitz unter | |
entsprechendem Zwang versteigert wurde, sah Fuglsang seine Chance gekommen, | |
und er nutzte sie: 1940 kaufte er 800 Exponate der Sammlung und bezahlte | |
lediglich zweieinhalb Reichspfennig an Materialwert pro Gramm Silber, | |
sodass er am Ende ganze 560 Reichsmark ausgeben muss. Geschätzt wurde der | |
Gesamtwert der Sammlung damals auf 12.000 Reichsmark. Auch das Hamburger | |
Museum für Kunst und Gewerbe schlug damals zu und bediente sich an der | |
Sammlung. | |
Die Vitrine mit der Geschichte der Silbersammlung der Familie Teppich ist | |
eines der zentralen Beispiele, mit denen die aktuelle Ausstellung des | |
Flensburger Museumsberges unter dem Titel „Wem gehört die Kunst?“ von ihrer | |
bisherigen Provenienzforschung berichtet. Die Frage ist ganz wörtlich zu | |
nehmen: Es geht um die Herkunft von Werken und Exponaten, die zwischen 1933 | |
und 1945 ins Haus gekommen sind. Und es geht um Restitution. | |
Museumsleiter Michael Fuhr sagt: „Wenn wir feststellen, dass uns ein | |
Exponat nicht gehört, dann haben wir es zurückzugeben oder wir müssen mit | |
möglichen Erben eine gemeinsame Lösung finden, was mit dem Werk nun | |
passiert.“ | |
Deshalb wird in der Ausstellung auch erzählt, wie man damals in den | |
1950er-Jahren agierte, als Nachfahren der Familie Teppich beziehungsweise | |
nun Schönfeld nach 1945 in Flensburg anklopften und Wiedergutmachung | |
verlangten: Fuglsang und ein mit ihm befreundeter Kunsthistoriker boten der | |
zuständigen Wiedergutmachungsstelle nach ihren Berechnungen 6.317 D-Mark an | |
– und die Erben begnügten sich mit dem immer noch viel zu niedrigen Betrag. | |
Eine unabhängige Überprüfung der Wertverhältnisse gab es damals nicht und | |
wurde auch nicht eingefordert. | |
## Antisemitischer Museumsdirektor | |
Dabei geht es – und das zeigt die bemerkenswert komprimierte Ausstellung | |
sehr anschaulich – bei den Fragen zur Provenienz keinesfalls nur um die | |
Klärung des letzten Besitzers oder der Besitzerin. Es geht vielmehr um eine | |
grundsätzliche und lückenlose Feststellung der Besitzerfolge: Raubkunst | |
kann schließlich verschenkt und dann weiter verschenkt werden – und bleibt | |
Raubkunst. | |
Dass man hier in Flensburg mit viel Verve und Energie Provenienzforschung | |
betreibt, hat nicht zuletzt mit dem seinerzeitigen Leiter des Museums zu | |
tun: Denn Fuglsang blieb über die Nazizeit hinaus bis 1961 Direktor des | |
Hauses. Und Madeleine Städtler, Provenzienzforscherin, aber auch Kuratorin | |
der Ausstellung, die so ihre Forschungsergebnisse publikumsöffentlich | |
macht, statt diese lediglich in den dafür zuständigen Datenbanken im | |
Internet einzustellen, zitiert mit Blick auf die Sammlung Teppich aus einem | |
Zeitungsartikel, in dem sich damals Fuglsang zu seiner Neuerwerbung wie | |
folgt äußerte: „Ich habe jetzt eine Silbersammlung, die damals der böse | |
Jude Leopold Teppich in seiner hebräischen Manier der Landbevölkerung | |
abgeschnackt hat.“ | |
Andere zu erzählende Fälle auf dem Museumsberg sind weitaus komplizierter – | |
wenn es denn überhaupt „Fälle“ werden oder bleiben. Denn die Zahl, die im | |
Raume steht, ist erst einmal gewaltig: 4.000 Inventarnummern sind für die | |
Jahre zwischen 1933 und 1945 für die Sammlung verbucht worden. Heißt: 4.000 | |
Objekte, vom wuchtigen Ölschinken über die Bauernvitrine bis zum | |
Silberlöffel wären zu untersuchen – theoretisch. | |
## Mühsamer Prozess | |
Denn um den mühsamen und teilweise jahrelang andauernden Prozess der | |
Provenienzforschung erfolgreich zu betreiben, braucht es ein Minimum an | |
Anhaltspunkten, an Hinweisen – oder an konkreten Namen. Wie den des | |
Münchner Kunsthändlers Adolf Weinmüller, der auf einigen Inventarkarten aus | |
jenen Jahren auftaucht, etwa für das Bild „Winterlandschaft“ des damals | |
populären Malers Hans Olde. | |
Olde war ein Vertreter des deutschen Impressionismus, das Bild ist in etwa | |
auf das Jahr 1917 datiert und wird sehr exponiert mit Vorder- und Rückseite | |
in der Ausstellung präsentiert. Hier fanden sich auf der dazugehörigen | |
Inventarkarte sowie eben auf der Rückseite des Gemäldes Hinweise auf die | |
Namen Heinrich Glosemeyer und Adolf Weinmüller. | |
Glosemeyer, ein Sammler, war an Geschäften mit Kunstwerken beteiligt, mit | |
denen das geplante Führermuseum in Linz bestückt werden sollte. „Weinmüller | |
wiederum war damals ein Top-Profiteur des Kunsthandels“, sagt Städtler. | |
Anders formuliert: Taucht irgendwo in Dokumenten und Schriftstücken der | |
Name Weinmüller auf, dann wird eine wie Madeleine Städtler sehr hellhörig. | |
## Erleichterung durch Digitalisierung | |
Im Fall Weinmüller ist dessen Nachfolger, das Münchner Auktionshaus | |
Neumeister, glücklicherweise von Anfang an der Provenienzforschung | |
gegenüber mehr als offen, hat daher vieles, was es an Schriftgut von und zu | |
Weinmüller hat, digitalisiert – was die Forschung sehr erleichtert. Nicht | |
alle Kunsthandlungen und Auktionshäuser agieren so. Trotzdem ist derzeit | |
noch ungeklärt, ob das Flensburger Olde-Bild rechtmäßig erworben wurde – | |
oder nicht. Die Forschung ist noch nicht abgeschlossen. | |
Daher passt es, dass zu Ausstellungsbeginn der so engagierte Museumsberg | |
eine gute Nachricht erhielt: Er erhält weitere Finanzmittel, um seine | |
Provenienzforschung fortzusetzen. Dabei soll es künftig auch um die Jahre | |
nach 1945 gehen, denn auch nach Kriegsende und dem Ende des NS-Regimes | |
könnte manches unrechtmäßig ins Haus gekommen sein. | |
„Man weiß von Fuglsangs Gesinnung, und es ist sehr wahrscheinlich, dass er | |
weiterhin belastete Kunst eingekauft hat“, sagt Städtler. Man darf auch | |
gespannt sein, ob es gelingt, die Rolle von Fuglsangs Nachfolgerin Ellen | |
Redlefsen näher zu beleuchten. Von ihr ist bisher nur bekannt, dass sie | |
während des Krieges in Prag tätig war. Nun wird es darum gehen, ihren | |
Nachlass, den der Museumsberg mittlerweile besitzt, systematisch | |
auszuwerten. Museumsdirektor Fuhr stellt nüchtern fest: „Meine | |
Amtsvorgänger haben nicht so genau hingeschaut, wie es nötig gewesen wäre.“ | |
Er hat am Ende noch eine Geschichte zu erzählen, die gleichfalls davon | |
berichtet, wie wichtig es ist, über die Herkunft eines Exponates genau | |
Bescheid zu wissen und die auch illustriert, welche verschlungenen Wege | |
zuweilen gegangen wurden: „Ich selbst habe vor ein paar Jahren einen Stuhl | |
gekauft, der einst der Flensburger Familie Wolf gehörte: Die hatte auf dem | |
Gut Jägerlust eine Kibbuz-Schule, bevor sie von den Nazis vertrieben | |
wurde.“ | |
Der Besitz der Familie wurde damals eingelagert; doch der Spediteur, der | |
das vornahm, war ein Logenbruder des Herrn Wolf. „Er hat ihm alles wieder | |
übergeben, ohne auch nur einen Pfennig für die Lagerung zu berechnen, als | |
Wolf nach dem Krieg aus den USA zurückkam, um nach seinem Besitz zu | |
schauen“, so Fuhr. Als Dankeschön habe er ihm den Stuhl geschenkt, den Fuhr | |
später von der Tochter des Spediteurs erwarb. | |
Damit ist zum einen geklärt, dass dieser Stuhl, einst im Besitz eines | |
jüdischen Flensburgers, absolut rechtmäßig ins Museum kam. Zum anderen | |
wirft dieses Beispiel noch mal ein Licht auf die damalige Zeit: „Es gab | |
auch ein paar Anständige, aber leider waren sie nicht die Regel.“ | |
2 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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