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# taz.de -- Kolonialismus und Restitution in Afrika: Die Museen der Zukunft
> Die Auftaktrede von Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts,
> zu der in Namibia stattfindenden Tagung „Museum Conversations 2019“.
Bild: In Windhoek erinnert ein Denkmal an den Völkermord. Der wird auch in Mus…
Der südafrikanische Maler Ernest Mancoba, 2002 verstorben, sagte in einem
Gespräch, „Trotz unserer Wissenschaft, mit allem, was wir glauben zu
wissen, kennen wir die Zukunft nicht, kennen wir nicht das Morgen. Doch
Künstler und Poeten, diese Leute, die nicht nur mathematisch denken,
könnten uns die Zukunft näherbringen.“ Wir glauben an die Kraft der Kultur,
den Austausch über Ländergrenzen und Sprachbarrieren hinweg. An die
Vielzahl der Perspektiven, von Blick und Gegenblick. Wir wissen aber auch,
Kultur ist nicht per se friedensstiftend, sondern sie muss sich öffnen,
eine gegenseitige Wertschätzung besitzen und Verständigung anstreben.
Museen sind geeignet, den [1][kulturellen Dialog] in und mit der
Gesellschaft zu ermöglichen, Vergangenheit und Zukunft zu verbinden, als
Bildungs- und Lernorte zu wirken und generationenübergreifend zu
vermitteln. Ihre Prägung sollte jedoch immer auch das gesellschaftliche und
historische Umfeld berücksichtigen. Und sie müssen unabhängig in ihrer
inhaltlichen Arbeit sein. Nur dann sind sie Teil der Gesellschaft und
glaubwürdig.
Das [2][Goethe-Institut] hat schon sehr früh mit seinen Partnern in der
Welt große Projekte zu Fragen des Museums der Zukunft und seiner Rolle in
der Gesellschaft durchgeführt. In Lateinamerika mit „Museale Episoden“, in
Südostasien und dem Pazifik mit „Transitioning Museums in South East Asia“
und in Indien mit „Museum of the Future“. Afrika gehört in diesen großen
Kontext. Außerdem organisierte das Institut internationale Konferenzen in
Deutschland, die die Rolle der Museen auch im Zusammenhang mit der
[3][Restitution] aufgrund der Kolonialgeschichte thematisierten. Die
Aktivitäten waren von der Perspektive geprägt, Vergangenheit nicht als
abgeschlossenes Kapitel zu behandeln, sondern als historische Verpflichtung
für die Zukunft. Das betrifft auch die politischen und ökonomischen
Asymmetrien und Ungerechtigkeiten, die aus der Kolonialzeit fortwirken.
Zukunftsentwürfe für Afrika müssen in Afrika entstehen. Mit insgesamt 47
Staaten, mehr als 650 Millionen Einwohnern und mehr als 1.000 Sprachen ist
Subsahara-Afrika eine stark heterogene, aber in seiner Vielfalt eine
kulturell reiche Region. Das Goethe-Institut verfügt auch hier über ein
intensives Netz, arbeitet aktuell in elf Instituten sowie weiteren
Präsenzformen in diesen Ländern. So war es möglich, im Vorfeld unserer
jetzigen Schlusskonferenz „Museumsgespräche 2019“ an sieben Standorten
lokale und regionale Treffen zu veranstalten: in Kigali, Windhoek,
Ouagadougou, Kinshasa, Accra, Daressalam und Lagos.
## Bevorstehender Wendepunkt
Diese standen ganz im Zeichen der Stimmen Afrikas, auch im Kontext globaler
Fragen und dem übergreifenden konzeptionellen Diskurs über Museumsarbeit.
Auch wenn es in der Vergangenheit bereits einen Meinungsaustausch über
Ländergrenzen hinweg zu Museumsfragen im Zusammenhang mit Panafrikanismus,
Négritude und vorkolonialer Realität gab, bilaterale Beziehungen zwischen
afrikanischen und europäischen Museen aufgebaut wurden, so hat dieses
Projekt einen besonderen Ansatz und Ertrag. Die Vernetzung der
afrikanischen und europäischen Diskussion zu Fragen der Restitution und der
Bedeutung des kulturellen Erbes erlaubt es, den aktuellen Stand der
Debatten zu bündeln und damit auch Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
Die afrikanische kulturelle Infrastruktur steht vor einem Wendepunkt. Das
gilt besonders für die Museen:
Eine Reihe der bestehenden Museen in Afrika sind europäische Schöpfungen
aus ethnologischer Sicht. Die Kolonialmächte etablierten beispielsweise
zwischen 1825 und 1892 sechs Museen in Südafrika, es folgten in den Jahren
1900 und 1901 zwei Museen in Simbabwe, je eins in Uganda 1908, in Kenia
1909 und Mosambik 1913. Generationenübergreifend setzen sich Experten, aber
besonders auch Kuratoren und eine junge Bildungselite inzwischen kritisch
mit den vorhandenen Sammlungen und ihrer Präsentation in ihren Ländern
auseinander. Zu Recht! Sie waren Ausdruck der vorherrschenden Ideologie,
die die ungerechten und ungleichen Beziehungen in Zeiten des Kolonialismus
wissenschaftlich legitimieren sollten. Sie dienten der europäischen
Vorherrschaft. Geschichte geschieht nicht, sie wird gemacht. Deshalb geht
es um einen grundlegenden Bedeutungswandel des Museums in Afrika, der die
Rückgewinnung der afrikanischen Geschichte ermöglicht.
Eine zweite Gruppe von Museen wurde im Zusammenhang mit dem Ende der
Kolonialzeit unmittelbar mit der Unabhängigkeit der Staaten gegründet.
Dabei spielten häufig nationale Narrative zur Bildung von Identitäten eine
Rolle. Sowohl die erste als auch die zweite Kategorie vermitteln ein
abgeschlossenes Thema und agieren nicht mit den gesellschaftlichen
Entwicklungen der heutigen Zeit, sie sind fixiert auf Vergangenheit. Um die
Museen mit den Fragen unserer Zeit zu positionieren, bedarf es eher eines
mobilen, flexiblen und dialogfähigen Typus.
Zurzeit entstehen große Museumsprojekte in Äthiopien, Nigeria, Kongo oder
sind fertiggestellt, wie in Ruanda, im Tschad oder in Tansania. Einige der
Museen werden mit der Unterstützung ausländischer Staaten gegründet, wie
beispielsweise das Zivilisationsmuseum in Dakar. Auch dort, wo der
Museumsbau fremdfinanziert wird, arbeiten die Museen beeindruckend
unabhängig. Der intellektuelle Kolonialismus hat hier ein Ende gefunden.
Das muss die Herangehensweise in der Gegenwart sein, die zentrale Stellung
der afrikanischen Experten bei der Erforschung und Präsentation ihrer
eigenen Kultur.
Und weil die Museumsarbeit in afrikanischen Ländern aktuell stark durch die
Diskussion um die Rückgabe von Kulturgütern bestimmt wird, müssen die
kolonialen und postkolonialen Fragen zwischen den ehemaligen
Kolonialmächten und den Ursprungsländern der Objekte gemeinsam verhandelt
werden. Erklärtes Ziel muss die Dekolonisierung des Denkens sein. Raubkunst
bleibt Raubkunst und muss entsprechend deklariert werden. Argumente gegen
berechtigte Rückgaben wegen unzulänglicher Ausstattung der Institutionen
sollten eher dazu führen, die afrikanischen Museen zu stärken, als das
eurozentrische Weltbild zu zementieren.
Schließlich geht es um die Herausforderungen der Globalisierung, der
Modernisierung und Digitalisierung. Die Museen sind Teil der
Zivilgesellschaften, sie sollten sich nicht abschließen. Ihre Sammlungen
sollten die Gesellschaften abbilden und diskursfähiger machen und die
Möglichkeiten einer gleichberechtigten kulturellen Teilhabe verschiedener
Gruppen forcieren.
## Offensive Ideengeber
Unsere Kolleginnen und Kollegen aus Afrika werden darauf Antworten für sich
und im globalen Kontext finden, ein offensiver Ideengeber sein. Sie werden
die Zukunft maßgeblich gestalten. Ich sehe in der jetzigen Situation
Chancen für einen wirkungsvollen Neubeginn in der Museumsplanung in Afrika,
zum einen in der Neugestaltung bestehender Museen, zum anderen in der
Neudefinition von Museumsstrukturen und -aufgaben. Während das europäische
Museum stark durch die Aufklärung geprägt war, als ein Tempel der Kunst,
auch als ein Mausoleum, kann das afrikanische Museum ein Kind der
Emanzipation sein.
Ein Ort des Dialogs, der Aktion und der Lebendigkeit, ein Museum ohne
Mauern, das die Straße und ihre Menschen mit ihren Fragen, ihren
Erfahrungen und ihren Erlebnissen einbezieht – ein sozialer Raum, der die
spezifischen Kulturtechniken aufnimmt und zum Klingen bringt. So kann das
Museum nicht nur ein integraler Teil der Gesellschaft werden, sondern
zugleich auch befruchtend sein für die Debatten in Afrika und darüber
hinaus. Es lohnt sich, den Kanon neu zu überdenken.
Das Goethe-Institut bringt sich in diesen gemeinsamen Erkenntnis- und
Planungsprozess ein. Es kann insbesondere die derzeit auch in Deutschland
intensiv geführte Diskussion über die künftige Rolle der Museen in der
Gesellschaft mit der Meinungsbildung in den afrikanischen Staaten
verbinden.
Es gibt eine direkte Verbindung zwischen dem kolonialen Geschehen und den
aktuellen Themen. Deshalb ist und bleibt Restitution auch bei den hier
behandelten strukturellen Themen eine zentrale Frage. Deshalb hat für das
Goethe-Institut in diesen Kontext die Förderung der Provenienzforschung,
das Öffnen der Archive, der Austausch von Experten, die Anerkennung des
Unrechts und eine gemeinsame Verantwortung eine wichtige Bedeutung. Bisher
wurde die Debatte um das koloniale Erbe vorwiegend unter Intellektuellen,
Politikern und Aktivisten mit europäischem Bildungshintergrund geführt. Es
kommt aber darauf an, die Stimmen derer zu hören, deren Erfahrung, Wissen
und Selbstverständnis in den Ursprungsländern geprägt wurden.
18 Sep 2019
## LINKS
[1] /Austauschprojekt-im-Namen-Goethes/!5577743
[2] /Goethe-Institute/!5197568
[3] /Delegationsreise-nach-Namibia/!5577096
## AUTOREN
Klaus-Dieter Lehmann
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