# taz.de -- Politikerin über „Arisierungsmahnmal“: „Gedenken muss konkre… | |
> In Bremen fehlt immer noch der richtige Platz für das Gedenken an die | |
> wirtschaftliche Vernichtung der Juden. Kai Wargalla erzählt warum. | |
Bild: Kundgebung am Firmensitz: Kühne und Nagel war Hauptprofiteur der „Aris… | |
taz: Frau Wargalla, warum wollen die Koalitionsfraktionen die Aufstellung | |
des „Arisierungsmahnmals“ noch einmal in die Länge ziehen? | |
Kai Wargalla: Wollen wir das? | |
Vor der Wahl war der Mahnmalstandort an den Wesertreppen geeint – nun soll | |
noch ein weiterer an den Arkaden geprüft werden … | |
Das Ganze zieht sich, das stimmt. Es sind viele kleine Schritte, die | |
dauern. Im Moment bemühe ich mich darum, dass wir mit der Prüfung des | |
Arkadenstandorts trotz haushaltsloser Zeit anfangen können, sonst müssten | |
wir noch bis Sommer warten. Der alternative Standort an den Arkaden an der | |
Wilhelm-Kaisen-Brücke wurde von der zivilgesellschaftlichen Initiative | |
vorgeschlagen und von der Künstler*in und der jüdischen Gemeinde | |
unterstützt. Ich finde, das Ziel muss ein würdiges Gedenken sein. | |
Was ist so schlecht an den Weserstufen? | |
Er bedeutet einen großen Einschnitt in die künstlerischen Aspekte des | |
Mahnmals. Der Schacht, durch den man von oben herabsieht, ist mehrere Meter | |
kürzer als vorgesehen – und damit eigentlich gar kein Schacht mehr. Die | |
Leere wird dort nicht so gezeigt, wie beabsichtigt. An den Stufen ist | |
außerdem immer viel los, dort ist vor Weihnachten der Schlachtezauber, es | |
wird getrunken und Party gemacht. Am Arkadenstandort ist es ruhiger. Man | |
kann sich dort gezielter auf das Mahnmal konzentrieren, statt dass man nur | |
zufällig bei einem Bier darauf sitzt. | |
Warum hat man sich den ganzen Ärger nicht gespart und das Mahnmal direkt | |
vor den Neubau von Kühne + Nagel gesetzt? | |
Das wäre [1][der richtige Ort] gewesen. Es gibt auch keinerlei fachliche | |
Argumente dagegen. Klar ist: Die Grünen waren für ein Mahnmal am Neubau, | |
bis zum Schluss. An uns lag es nicht. Insofern war es die SPD, die sich | |
dagegen gestellt hat, Kühne + Nagel so etwas zuzumuten. Ich möchte wirklich | |
keine neuen oder alten Gräben aufmachen, ich will nach vorne schauen. Aber | |
wenn ich nach dem Warum gefragt werde, gehört das zur Wahrheit dazu. | |
Vielleicht hatte die SPD Angst vor Konsequenzen? Bei der Grundsteinlegung | |
vom neuen Gebäude hat Klaus-Michael Kühne über die Auflagen der Stadt | |
gemeckert – und gesagt, dass er auch nach Hamburg hätte gehen können … | |
Man darf sich von Unternehmen nicht erpressen und dermaßen unter Druck | |
setzen lassen. Klar, Politik lebt von Kompromissen. Aber es gibt Themen, | |
bei denen muss man rote Linien ziehen, um die eigenen Ideale nicht zu | |
verraten. Ich habe als einzige dagegen gestimmt, als sich der | |
Koalitionsausschuss 2017 für den Stufenstandort an der Schlachte | |
entschieden hat, schön neutral ein paar Hundert Meter vom Unternehmen | |
entfernt. Das war nicht einfach, der Druck war groß, intern und öffentlich. | |
Aber die Frage ist doch: Wem gegenüber will man solidarisch sein – Kühne + | |
Nagel oder [2][unseren jüdischen Mitmenschen]? Ist einem in erster Linie | |
das würdige Gedenken wichtig oder das Wohlwollen eines reichen Mannes? | |
Was hebt den Konzern heraus? | |
Das Mahnmal ist eine Chance, etwas zu thematisieren, das sehr lange | |
verschwiegen wurde – die wirtschaftliche Dimension des Holocaust, die | |
Beraubung und Existenzvernichtung der Jüd*innen. Die Firma war Hauptakteur | |
und [3][Hauptprofiteur der „Aktion M“]: Die haben geraubte Möbel von | |
jüdischen Deportierten durch Europa nach Deutschland transportiert und mit | |
dieser sogenannten „Arisierung“ jüdischen Eigentums gut verdient. Die Firma | |
wurde mehrfach als „NS-Musterbetrieb“ ausgezeichnet. Der jüdische | |
Miteigentümer Adolf Maas musste 1933 die Firma verlassen. Aber bei ihrer | |
großen Jubiläumsfeier auf dem Marktplatz 2015 hat Kühne + Nagel die | |
Nazizeit aus ihrer Firmengeschichte einfach ausgelassen. | |
Und der Sinn des Denkmals ist es, die Schuld dieser Firma allen unter die | |
Nase zu reiben? | |
Ja [4][und nein]. Gedenken muss übergreifend, aber auch konkret sein. Als | |
Gesellschaft ist es unsere dringlichste Aufgabe, zu erinnern, damit so | |
etwas nie wieder passiert. Das mag total abgedroschen klingen. Aber das | |
darf es nicht, es sollte durch Mark und Bein gehen, wenn man es liest, wenn | |
man es hört und wenn man es sagt. Und dieses Mahnmal im Speziellen ist | |
wichtig, weil Kühne + Nagel, aber eben auch ganz Bremen eine besondere | |
Verantwortung für die massenhafte Beraubung der Jüd*innen tragen. | |
Inwiefern? | |
[5][Es wurde profitiert von allen], von der Stadt, den Unternehmen, von den | |
Menschen. Die Bremer*innen damals haben sich doch gefreut, so günstige | |
Möbel und andere Sachen zu ersteigern, die zuvor den Jüd*innen geraubt | |
wurden. Daran erinnern sich viele vielleicht nicht so gerne. Umso | |
bemerkenswerter finde ich, dass das Mahnmal aus zivilgesellschaftlichem | |
Engagement entstanden ist. Es wurde von unten eingefordert und nicht von | |
oben aufgestülpt. Das gibt auch mir den Rückhalt, in der Frage konsequent | |
zu bleiben. | |
Bei der Bürgerschaftswahl hatte die Partei Sie auf einen hinteren | |
Listenplatz gestellt: Hat man Ihnen Ihre Positionierung übelgenommen? | |
Die Partei hat sich [6][so entschieden], die Wähler*innen haben sich anders | |
entschieden und mich [7][ins Parlament gewählt], dafür bin ich von Herzen | |
dankbar. Es ist ein großes Privileg. Das Ding ist halt: Es geht in der | |
Frage des Mahnmals nicht um mich als Person. Das geht es ohnehin nicht. Ich | |
trage in meiner Rolle eine gesellschaftliche Verantwortung und der versuche | |
ich gerecht zu werden. Das zählt am Ende. Kein Ego und kein Listenplatz. | |
25 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/politik/neubau-kuehne-nagel-100.ht… | |
[2] https://library.fes.de/afs-online/afs/ausgaben-online/band-49/forschungsber… | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/M-Aktion | |
[4] /!5388223/ | |
[5] /!5312610/ | |
[6] https://gruene-bremen.de/buergerschaftswahl/unsere-kandidatinnen/ | |
[7] http://www.wahlen-bremen.de/Wahlen/2019_05_26/04011000/html5/Buergerschaft_… | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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