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# taz.de -- Erinnerungskultur in der Kritik: Ein neuer Gedenkversuch
> Bremen gedenkt des Völkermords an den Herero und Nama. Die Debatte um den
> Umgang mit dem kolonialen Erbe ist noch in vollem Gange.
Bild: Gehandelt oder geraubt? Bestandsaufnahme im Bremer Überseemuseum
Bremen taz | Die Schlacht von Ohamakari am Waterberg und der Völkermord an
den Herero und Nama durch die deutsche Kolonialmacht wird zum zweiten Mal
in Bremen Anlass einer Gedenkveranstaltung. Sie findet am 11. August am
Antikolonialdenkmal und dem Herero-Mahnmal statt. Im vergangenen Jahr hatte
es Kritik an der Ausrichtung der Veranstaltung geben, dieses Jahr soll es
besser laufen.
Historiker gehen davon aus, dass der Völkermord an den Herero und Nama der
erste des 20. Jahrhunderts war. Er begann am 11. August 1904 mit der
Schlacht am Waterberg zwischen Deutschen und aufständischen Herero. Mit der
Niederlage der Herero begann das Grauen: Der Generalleutnant Lothar von
Trotha gab Vernichtungsbefehle gegen alle Herero und Nama aus. Daraufhin
kamen zwischen 1904 und 1908 rund 80.000 Menschen durch Gewalt, Hunger,
Durst und in Konzentrationslagern ums Leben.
Bremen spielte dabei eine besondere Rolle: Von hier aus begann der Kaufmann
Adolf Lüderitz 1883 mit der Kolonisierung Namibias. Er kaufte Land von den
Nama und legte in den Verhandlungen ohne deren Wissen keine englischen,
sondern die größeren deutschen Meilen zugrunde – erhob also Anspruch auf
ein deutlich größeres Gebiet als von den Nama angenommen. Sie fühlten sich
getäuscht, konnten ihre Ansprüche aber nicht gegen Lüderitz durchsetzen.
Daneben profitierte Bremen als Hafenstadt besonders von der Ausbeutung der
Kolonien.
Das Landesamt für politische Bildung, der Verein „Der Elefant!“, das
Afrika-Archiv und die grüne Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther
haben die Gedenkveranstaltung organisiert und hoffen, dass sie von nun an
jährlich stattfindet. Der als Redner eingeladene Herero-Aktivist Israel
Kaunatijke sagt: „Ich finde das unheimlich gut, dass man da offiziell
drüber spricht. Für uns ist wichtig, dass auch die Deutschen wissen, was
damals passierte.“
## Nur weiße Redner*innen
Doch das Gedenken lief im letzten Jahr nicht ohne Kritik ab: Ausschließlich
weiße Redner*innen standen auf der Liste. Kappert-Gonther erklärte später,
dass es unklar gewesen sei, ob Kaunatijke zusagen würde und sein Name
deswegen nicht auf der Liste gestanden habe. Trotzdem hätte man die Anfrage
erwähnen können.
Tatsächlich redet dieses Jahr neben dem Herero-Aktivisten noch Virginie
Kamche für das Afrika-Netzwerk. Die Weißen halten lediglich Grußworte. „Wir
achten darauf, dass alle Beteiligten gut repräsentiert sind und ich glaube,
dass uns das dieses Jahr auch besser gelungen ist. Auch wenn wir das schon
letztes Jahr auf dem Zettel hatten“, betont Kappert-Gonther.
Kaunatijke, der letztes Jahr später noch zugesagt hatte, aber aufgrund
eines Sturms nicht nach Bremen kommen konnte, war damals vor allem wegen
des Grußworts, das Carsten Sieling (SPD) ausrichten ließ, erbost. In
Klageverfahren solle man „keine Lösung des Problems“ suchen, hatte der
Bürgermeister gesagt – offenbar eine Anspielung auf die Klage auf
Reparationszahlungen von Herero-Aktivisten gegen Deutschland vor einem
Gericht in New York: „Ich fand das skandalös! Wir hoffen, dass die SPD in
der Dreierkoalition eine andere Meinung hat als damals“, sagt Kaunatijke.
Auf Anfrage der taz bestätigt allerdings die Kulturstaatsrätin Carmen
Emigholz (SPD), die auf der Gedenkveranstaltung ein Grußwort halten wird:
„Ich bin der Auffassung, dass in Klageverfahren keine Lösung des Problems
liegt.“ Die Landesregierung wolle aber dazu beitragen, dass die Gespräche
zwischen Deutschland und Namibia zu einem tragfähigen Konsens führen.
Die Klage der Herero vor dem US-Gericht scheiterte zwar, doch Kaunatijke
empfindet es als Triumph, dass das Thema „in die Weltpresse gelangt ist.“
Es gehe darum, gehört zu werden und seine Ansprüche auch auf dem Rechtsweg
zu verfolgen, sagte er damals.
Die Herero wollen, dass ihnen auf Augenhöhe begegnet wird. Durch die
namibische Regierung, die sich aus dem Volk der Ovambo zusammensetzt und
seit 2015 Verhandlungen mit der Bundesregierung führt, fühlen sie sich
nicht vertreten. Herero und Nama sind in Namibia eine Minderheit.
Kaunatijke fordert daher einen Platz für die Nachfahren der Opfer am
Verhandlungstisch mit Deutschland.
Fortschritte gab es in den letzten Jahren bei den Rückführungen: „Wir haben
schon über 50 Schädel überführt. Es gibt aber noch mehr, die wir auch
zurückfordern“, sagt Kaunatijke. Denn während der Kolonialzeit hatten die
Deutschen viele Leichen von Herero und Nama im Auftrag einer rassistischen
Pseudowissenschaft nach Deutschland gebracht.
## Entschuldigung verlangt
Auch die Rückgabe von Kulturgut ist den Herero wichtig. Kappert-Gonther
fordert, dass die Bundesregierung diese Gegenstände offiziell als Raubgut
deklariere und dass es Herkunftsländern allgemein leichter gemacht werde,
kulturelle Gegenstände und menschliche Überreste zurückzubekommen.
Das wichtigste Anliegen Kaunatijkes ist allerdings der Wunsch nach einer
offiziellen Entschuldigung von der Bundesregierung. „Ich bin der Meinung,
dass eine solche Entschuldigung aus dem Mund der Bundeskanzlerin oder des
Bundespräsidenten kommen muss“, sagt Kappert-Gonther, die sich im Bundestag
für die Erinnerungskultur einsetzt. Kaunatijke sieht das ähnlich: „Man kann
nicht einfach vergessen, das geht nicht. Ohne Entschuldigung gibt es keine
Versöhnung.“
5 Aug 2019
## AUTOREN
Lukas Scharfenberger
## TAGS
Deutscher Kolonialismus
Gedenken
Erinnerungskultur
Völkermord
Schwerpunkt Völkermord an den Herero und Nama
Kolonialismus
Deutschland
Namibia
Archäologie
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