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# taz.de -- Bremens koloniales Erbe: Blinder Fleck der Wirtschaft
> Bei einer Diskussion in der Kunsthalle wollen die Teilnehmer lieber nicht
> über die koloniale Verantwortung der hiesigen Wirtschaft sprechen.
Bild: Von einem unbekannten Kameruner Künstler geschnitzt: Bremer Kaufmann.
Bremen taz | Ein Kilo Kaffee kostet in Deutschland rund 10 Euro. Davon
bekommt der Landwirt in Westafrika im Schnitt 50 Cent: dass Europa
afrikanische Ressourcen nutzt, dafür jedoch kaum Gewinne für die Menschen
vor Ort bleiben, ist allgemein bekannt.
Mit der wirtschaftlichen Entwicklung afrikanischer Staaten und Bremens
Beitrag dazu sollte sich auch die Podiumsdiskussion „Der Marshallplan mit
Afrika“ in der Kunsthalle auseinandersetzen. Organisiert hatte sie das
Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung im Rahmen der
Ausstellung „Der blinde Fleck“.
Dieser „Marshallplan“ ist ein knapp 40 seitiges Dokument, erstellt vom
Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU), auch der Titel stammt wohl von
ihm: ein historisch fragwürdiger Vergleich. Denn der ursprüngliche
Marshallplan diente dem Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach dem 2.
Weltkrieg, Namensgeber war der US-Außenminister George Marshall.
Nun haben afrikanische Länder aber weder einen Krieg verloren noch werden
sie auch nur ansatzweise so stark unterstützt wie Nachkriegsdeutschland:
Während die USA 1948 für das Programm 12,4 Milliarden Dollar
bereitstellten, sind für den ganzen afrikanischen Kontinent gerade einmal
300 Millionen Euro vorgesehen.
Inhaltlich setzt der Plan auf Investitionen europäischer Unternehmen, und
zwar in Landwirtschaft, Industrie und Energieerzeugung. „Wir brauchen einen
neuen Zukunftsvertrag mit Afrika“, heißt es darin. Vieles, was in dem
Programm aufgelistet wird, gehört seit Langem zum Repertoire deutscher
Entwicklungszusammenarbeit wie etwa höhere Umwelt- und Sozialstandards,
mehr Unterstützung für Kleinbauern sowie bessere Ausbildungschancen. Mit
den sogenannten Reformpartnerschaften sollen nun die afrikanischen Länder
besonders unterstützt werden, die einen Willen zur Rechtsstaatlichkeit und
Bekämpfung von Korruption zeigen.
In der Agenda 2063 hatten sich die Mitglieder der Afrikanischen Union zu
genau solchen Reformen bekannt. „Wir nehmen Afrika beim Wort“, heißt es mit
Bezug hierauf im Programm. Aber offenbar nur in dieser Frage: „Die
afrikanischen Länder wurden bei der Ausarbeitung des Plans nicht befragt“,
sagt Virginie Kamche auf dem Kunsthallenpodium. Ursprünglich sollte das
Programm sogar „Marshallplan für Afrika“ heißen. Nur sehr kurzfristig wur…
es in das weniger paternalistische „mit Afrika“ geändert.
Kamche, die in dem ausschließlich männlich besetzten Podium wenig zu Wort
kommt, kritisiert die geringe Differenzierung der Entwicklungsmaßnahmen:
„Für den Niger, ein Land in dem Analphabetismus weit verbreitet ist,
brauche ich andere Konzepte von Entwicklung als in einem weiter
entwickelten Land wie Südafrika“, so die Diplom-Informatikerin, die beim
Bremer entwicklungspolitischen Netzwerk als Promotorin für Migration,
Diaspora und Entwicklung arbeitet. Die oft schwierigen wirtschaftlichen
Bedingungen seien im „kolonialen Erbe“ der Staaten begründet „mit dem wir
uns bis heute auseinandersetzen müssen“, so Kamche.
Das fällt den anderen Diskutanten offenbar schwer, sowohl dem Volkswirt
Robert Koppler als auch Handelskammer-Geschäftsführer Volkmar Herr. Sie
tauschen sich lieber über die Chancen privater Investitionen aus. So sieht
Herr die Lösung für die Entwicklung der afrikanischen Wirtschaft vor allem
in der Investition deutscher Unternehmen. Diese seien im Handel mit ihren
afrikanischen Partner*innen indes noch sehr zurückhaltend.
Auch in Bremen: „Das Land handelt mit allen afrikanischen Staaten zusammen
so viel wie mit Österreich“, sagt Herr. Trotzdem sieht er ein „steigendes
Interesse an Afrika“. Auch Robert Kappler erkennt Potenzial in der privaten
Wirtschaft schränkt jedoch ein, dass es nur „wenige lohnende Märkte“ gebe
und „die Zölle innerhalb Afrikas sehr hoch“ seien.
Die Veranstaltung war als Rahmenprogramm der Ausstellung „Der blinde Fleck“
gedacht. In der setzt sich Kuratorin Julia Binter mit bürgerlichem
Mäzenatentum und Raubkunstproblemen der Kolonialzeit auseinander:
Kolonialismus hat Bremen reich gemacht, und viele Werke der Kunsthalle
wurden während der Kolonialzeit erworben. Die Sammlung der Kunsthalle hat
somit Anteil an kolonialer Ausbeutung.
Bei der Auseinandersetzung damit scheint das Museum den Vertretern der
Wirtschaft weit voraus. Zu einer kritischen Auseinandersetzung über
Kolonialismus oder gar der Schuld an bestehenden wirtschaftlichen
Verhältnissen kommt es während der Podiumsdiskussion nicht. Die Nachfrage
aus dem zahlreichen Publikum, ob das Müller-Programm statt afrikanischen
Staaten europäischen Unternehmen Vorteile verschafft, bleibt unbeantwortet.
3 Nov 2017
## AUTOREN
Paula Högermeyer
## TAGS
Kolonialismus
Marshallplan
Kunsthalle Bremen
Podiumsdiskussion
Deutscher Kolonialismus
Wirtschaft
Oldenburg
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