# taz.de -- Ausstellung über eine andere Welt: Die Lust an der Apokalypse | |
> Eine Ausstellung in Oldenburg widmet sich Vorstellungen von einer anderen | |
> Welt. Wenn das Wohl der Menschen nicht der Grund für Umwälzungen ist, | |
> wartet der Untergang | |
Bild: Auf mystische Weise überhöht: Videoarbeit „Seeds. Visual Scapes from … | |
Oldenburg taz | Es gibt verschiedene Vorstellungen einer anderen Welt. | |
Oftmals stellt man sie sich als positives Gegenkonzept zur | |
bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft vor. Der Mensch steht dabei im | |
Mittelpunkt. Im Edith-Russ-Haus, dem Museum für Medienkunst im | |
niedersächsischen Oldenburg, kann man jetzt in der Ausstellung „Denn hinter | |
dem Horizont liegt ein weiterer Horizont“ sehen, wie das Verlangen nach | |
einer wie auch immer gearteten anderen Welt in eine ganz andere Richtung | |
umschlagen kann. Vornehmlich dann, wenn das Wohl des Menschen nicht der | |
erste Grund für Umwälzungen ist. | |
In vielen der Arbeiten der internationalen Künstlerinnen und Künstler, die | |
die Kuratorin Joanna Sokołowska für die Ausstellung ausgewählt hat, | |
erscheint Umsturz als ein notwendiger, automatischer Prozess – ganz ohne | |
Bewusstsein und Perspektive. | |
Der Umsturz ist hier meist ein Untergang. Nicht, dass der Mensch unter den | |
bestehenden Verhältnissen nicht ebenfalls unter die Räder geriete. Aber | |
darum scheint es hier in der Oldenburger Ausstellung, wenn überhaupt, nur | |
vordergründig zu gehen. Ganz so, als würde die Lust an der Apokalypse durch | |
eine berechtigte Kritik am Bestehenden nachträglich gedeckelt werden. Das | |
ist nicht das Programm einer jeder ausgestellten Arbeit, aber eine | |
Grundtendenz in der Haltung. | |
Titelgebend für die Schau ist eine Zeile aus einem Gedicht, das der 1962 in | |
Simbabwe geborene Autor Chirikure Chirikure verfasst hat und die lautet: | |
„Denn hinter jedem Horizont liegt ein anderer Horizont“. Dieses Gedicht ist | |
Teil einer Filmarbeit des Künstlerduos Mona Vătămanu und Florin Tudor, die | |
in der Ausstellung zu sehen ist. | |
Der 2013 fertiggestellte Film „The Order of Things“ spielt in einer | |
arabischen Bäckerei in Berlin-Kreuzberg. Die Geschichte beginnt mit der | |
alltäglichen Verrichtung des Backens von Brot. In einem schummrigen Raum | |
sieht man Händen dabei zu, wie sie Teig zu Kugeln formen. Vătămanu und | |
Tudor wechseln schon bald zum Großen, Übergeordneten. | |
Plötzlich taucht ein Globus auf, der wie eine Frucht mit einem Messer | |
zuerst halbiert und dann geviertelt und dann in Streifen gerissen wird. Aus | |
den Landkartenschnipseln wird eine Pyramide geformt, die schließlich mit | |
Benzin übergossen und in Brand gesetzt wird. Weiter sieht man das Feuer | |
dann im Holzofen, wo es die Brote backen lässt. Es ist eine merkwürdige | |
Symbolik, die Vernichtung als schöpferisches Moment feiert. | |
Man denkt an das Gleichnis vom Vogel, das der vor wenigen Jahren | |
verstorbene Filmkünstler Harun Farocki so gerne benutzte: dass man nämlich | |
vom Vogel über das Fliegen nichts lernen wird, wenn man ihn frisst. Der | |
Horizont gerät in Bewegung, indem man die Erde befährt, sein Modell, den | |
Globus dreht. Bei einem aufgeschnittenen Globus fällt der Horizont an den | |
Rand, von jeder Stelle aus blickt man in immer denselben Abgrund, ein | |
verbrannter Globus hat keinen Horizont. Die andere Welt ist keine mehr. | |
Eine ähnlich dumpfe Form archaischer Fantasie finden wir in der Arbeit der | |
Künstlerinnen Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčová. „Things in Our Hands�… | |
aus dem Jahre 2014 ist eine Gruppe silberner Metallplastiken, die Abdrücke | |
von Händen aufweisen. Ganz so, als hätte jemand das harte Material in der | |
Faust geformt. | |
Chişa und Tkáčová spielen in ihrem Werk oft mit der Transformation von | |
Stoffen. In der Vergangenheit produzierten sie etwa Bücher, deren Seiten in | |
LSD getränkt waren oder filterten mithilfe des eigenen Verdauungsapparats | |
psychoaktive Substanzen aus Pilzen. Aus ihrem Urin stellten sie mithilfe | |
von Gelatine halluzinogene Bonbons her. Im Falle der „Things in Our Hands“ | |
waren es Euromünzen, die sie einschmolzen und zu jenen Klumpen | |
verarbeiteten, die sie nun im Oldenburger Russ-Haus als Relikte einer | |
vergangenen Zeit auf schwarzen Schaumstoffsäulen präsentieren. | |
Dass Geld als Wertträger unserer Wirtschaft einmal als rätselhafter Rest im | |
Museum landet, ist eigentlich eine schöne Vorstellung. Mit der hier | |
gewählten Form der Verarbeitung aber verweisen die beiden Künstlerinnen | |
nicht in eine Zeit, die nach dem Kapitalismus liegt, sondern davor. Es | |
handelt sich gewissermaßen um eine negative Form der Auflösung des | |
Kapitalismus. Jedes Zurück ist regressiv und entbehrt jedweden utopischen | |
Gehalts. | |
Momente der Vergangenheit finden sich auch in der Videoarbeit des | |
Kollektivs Sin Abeza Productions. Sie finden sich dort nicht bloß, sondern | |
werden in geradezu mythischer Weise überhöht. „Seeds . Visual Scapes from | |
the Future“ ist der Titel der im Jahr 2013 entstandenen | |
4-Kanal-Videoarbeit. Man sieht junge Frauen in durchsichtigen Badekostümen | |
und bemalten Gesichtern sich durch Korridore schieben und eine Treppe auf | |
und ab laufen. Das Szenario erinnert an einen Techno-Club, vielleicht auch | |
an eine Strip-Bar. Was äußerst angenehm ist – es scheint so, als täten sie | |
all das, was sie tun, ausschließlich für sich. | |
Die Videoinstallation ist die lauteste Arbeit der Ausstellung. Sie füllt | |
mit ihren zwei hintereinander gehangenen Monitoren und der | |
Parallelprojektion einen großen Raum vollständig aus. Gleichzeitig ist sie | |
farbig und schrill und es gibt seltsame Szenen zu sehen. Vieles von dem, | |
was geschieht, ist sehr körperlich, lustvoll und obszön. | |
In Nahaufnahme sieht man nackte Füße, die erst Erde, dann eine kleine | |
Pflanze in einen Blumentopf stecken. Wiederum eine Nahaufnahme zeigt die | |
große Zunge eines Hundes über die Wange einer Frau schlecken. Irgendwann | |
berühren sich ihre Zungen sogar. Drei andere Frauen ringen halbnackt | |
miteinander auf einem Dach und wälzen sich in hartgekochten Eiern, die dann | |
an ihren Körpern kleben bleiben. Jede dieser Szenen ist für sich genommen | |
eklig, anarchisch und schön. Als programmatischer Rückgriff auf Natur als | |
das „Echte“, zu dem es zurückzukehren gilt, sind sie nicht schön, sondern | |
falsch. | |
Ausstellung: „Denn hinter diesem Horizont liegt ein weiterer Horizont“, | |
Edith-Russ-Haus, Oldenburg. Bis 14. Januar 2018. | |
Der Autor ist Betreiber der Galerie K´ in Bremen. | |
8 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Radek Krolczyk | |
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