# taz.de -- Ein einfacher Bürger: Der Gerechte aus Rendsburg | |
> Israel zeichnet mit Erich Mahrt erstmals einen Schleswig-Holsteiner als | |
> Gerechten unter den Völkern aus: Der Arbeitersohn rettete seine jüdische | |
> Verlobte vor den Nazis. | |
Bild: Familie Mahrt im Jahre 1947 in Berlin | |
RENDSBURG taz| Er, der Arbeitersohn. Sie, das Mädchen aus gutem Hause. Es | |
war im Deutschland der 1930er-Jahre nicht sehr wahrscheinlich, dass Erich | |
Mahrt und Wally Gortatowski einander kennenlernten, obwohl beide in der | |
Kleinstadt Rendsburg lebten. Dass der junge Elektriker und die Tochter | |
eines jüdischen Textilwarenhändlers ein Paar wurden, rettete Wally das | |
Leben. Denn Erich versteckte seine Verlobte während der NS-Zeit. Dafür | |
erhielt er posthum von der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als erster | |
Schleswig-Holsteiner den Titel „Gerechter unter den Völkern“. | |
Das Jüdische Museum Rendsburg erinnert mit einer Veranstaltung am 9. | |
November an das Schicksal des Paares. Erich Mahrt und seine Freundin | |
erkannten das Unheil der NS-Zeit früh. Als Mitglied der Kommunistischen | |
Partei kam Erich kurze Zeit in Haft, auch die Familie Gortatowski fühlte | |
bald Repressalien. 1938 zog Wally nach Berlin, wo bereits | |
Familienmitglieder lebten. „Sie erhofften sich von der Anonymität der | |
Großstadt besseren Schutz“, sagt Frauke Dettmer. | |
Die Historikerin und langjährige Leiterin des Jüdischen Museums Rendsburg | |
erforschte die Geschichte Erich Mahrts und beantragte 2006 seine | |
Anerkennung als „Gerechter unter den Völkern“. Mit dem Titel ehrt der Staat | |
Israel Menschen, die sich während der NS-Zeit unter Lebensgefahr für die | |
Rettung von Juden einsetzten. Weltweit gibt es etwa 26.000 „Gerechte“, | |
bundesweit tragen rund 600 Menschen den Titel. | |
Der Umzug des Paares nach Berlin erwies sich nur teilweise als richtig: | |
Anfang der 1940er-Jahre rollten fast täglich Transporte in die | |
Vernichtungslager. Erich, der Wally nachgezogen war und in einem | |
Siemens-Werk arbeitete, mietete im Juli 1942 eine Hütte in einer | |
Laubenkolonie an. Im Dezember bekam die damals 32-jährige Wally die | |
Aufforderung, sich für die Deportation zu melden – nach Auschwitz. In der | |
gleichen Nacht zog sie ins Versteck. | |
Zweieinhalb Jahre lebte die junge Frau in der beengten Hütte. Kälte im | |
Winter, stickige Luft im Sommer. Nie ein Geräusch machen, bei jedem Schritt | |
vor dem Gartenzaun zittern. „Ich habe in ständiger Angst gelebt“, schrieb | |
Wally Gortatowski nach Kriegsende. | |
Furcht, Langeweile und Hunger bestimmten ihren Alltag. Denn als die | |
Lebensmittel knapp wurden, musste Erich seine Freundin von seiner Ration | |
mitversorgen. Hilfe gab es von den kommunistischen Genossen in Rendsburg. | |
„Das Risiko für Erich war gewaltig“, sagt Dettmer. | |
„Jeder Einkauf konnte ihn verraten.“ So las die junge Frau viel. „Was, we… | |
jemand gefragt hätte, warum ein Elektriker ,Frauenliteratur’ kauft oder | |
leiht?“ Für die Versteckte hätte Erichs Enttarnung den Tod bedeutet – sie | |
hatte eine Pistole, damit sie den Schergen nicht lebendig in die Hände | |
fiel. „Für die meisten untergetauchten Juden gab es einen ganzen | |
Unterstützerkreis“, berichtet Dettmer. „Hier war es nur eine Person.“ | |
Wally Gortatowski gehörte zu den etwa 1.000 von rund 6.000 versteckten | |
Juden in Berlin, die den Zweiten Weltkrieg überlebten. Das Paar heiratete | |
nach Kriegsende und bekam einen Sohn. Die Familie zog nach Argentinien, wo | |
bereits ein Bruder Wallys lebte – der Rest der Familie war gestorben. | |
1976 kehrte das Paar nach Rendsburg zurück. Drei Jahre später nahm Wally | |
sich das Leben. „Für Erich ein harter Schlag, schließlich hat er sie | |
zeitlebens beschützen wollen“, sagt Frauke Dettmer. 1988 starb Erich Mahrt | |
mit 78 Jahren. | |
„Er hat sich nie mit seiner Tat gebrüstet, im Gegenteil – er sprach wenig | |
darüber“, sagt die Historikerin Dettmer. Neben der Gedenkveranstaltung am | |
Donnerstag, den 9. November, finden im November Lesungen, Filmvorführungen | |
und Konzerte statt. Eine Ausstellung im Museum erinnert an das | |
Auswandererschiff „Exodus 1947“. | |
7 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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