# taz.de -- Gerechter unter den Völkern: „Einer der schönsten Tage“ | |
> Josef Königsberg musste 95 Jahre alt werden, um die Ehrung seines Retters | |
> Helmut Kleinicke zu erleben. Yad Vashem zeichnet den Mann jetzt aus. | |
Bild: Jutta Scheffzek nimmt die Auszeichnungen für ihren toten Vater in der Bo… | |
BERLIN taz | Dies sei „einer der schönsten Tage in meinem Leben“, sagt | |
Josef Königsberg. Der 95-Jährige steht am Dienstagnachmittag im | |
Empfangssaal der Residenz des israelischen Botschafters in Berlin. Wenige | |
Meter entfernt von ihm ist ein Foto aufgestellt. Das Schwarz-Weiß-Bild | |
zeigt einen Mann mit lichtem Haar und schwarzer Brille. Helmut Kleinicke | |
ist schon 1979 verstorben. Doch Königsberg ist ihm für immer dankbar. | |
Der damalige NSDAP-Parteigenosse hat ihm das Leben gerettet. 1942 war das, | |
und der 1907 geborene Kleinicke war als Kreisbaumeister von Chrzanów im | |
deutsch besetzten Polen eine Respektsperson, Königsberg aber nur ein | |
verfolgter Jude im Ghetto. | |
Für die Rettung erhält Kleinicke posthum die Auszeichnung als „Gerechter | |
der Völker“ durch die israelische Gedenkstätte Yad Vashem. Seine Tochter | |
Jutta Scheffzek nimmt die Auszeichnung, eine Medaille und eine Urkunde, | |
entgegen. Wer immer ein Menschenleben rettet, hat damit gleichsam eine | |
ganze Welt gerettet, steht dort geschrieben, ein Spruch aus dem Talmud. Es | |
ist die höchste Auszeichnung des Staates Israel für Nicht-Juden. | |
75 Jahre nach der Befreiung ist es sehr selten geworden, dass einer der | |
Geretteten selbst Zeugnis über das Geschehen abgeben kann. Königsberg hat | |
jahrelang gehofft, diesen Tag der Ehrung für seinen Retter noch erleben zu | |
dürfen. Denn die Prüfungen bei Yad Vashem sind sorgfältig und zeitintensiv. | |
Heute ist es endlich so weit. | |
## „Den nehmen Sie nicht mit“ | |
Es war Anfang 1942, als die SS den Juden des Ghettos befahl, sich auf dem | |
Marktplatz von Chrzanów zu versammeln und zwei Kolonnen zu bilden. Die | |
Deportation in KZ und Vernichtungslager stand dem 17-Jährigen Königsberg | |
bevor. Bis Helmut Kleinicke auftauchte, in dessen Haus er bis dahin hatte | |
putzen müssen. „Den nehmen Sie nicht mit, den nehme ich mit“, habe | |
Kleinicke einem SS-Mann gesagt und behauptet, dass Königsberg sein bester | |
Arbeiter sei. Die SS ließ ihn gehen, zurück in Kleinickes Obhut. | |
Es war beileibe nicht die einzige Rettungstat Kleinickes. Der Spiegel, das | |
ZDF und die israelische Fernsehjournalistin Antonia Yamin haben bei ihren | |
Recherchen zehn noch lebende frühere jüdische Bewohner von Chrzanów | |
gefunden, die ihr Leben dem Bauingenieur verdanken. Er versteckte sie im | |
Keller und in den Gewächshäusern einer Gärtnerei. Kleinicke verteilte | |
gefälschte Papiere und hat einige Verfolgte wohl bis in die Hohe Tatra | |
gebracht, um sie in Sicherheit zu bringen. Sie nannten ihn „einen Engel“. | |
Doch die Dankesbriefe, die Kleinicke nach dem Krieg von den Geretten | |
erhielt, beantwortete er nicht. Königsberg hat damals lange und vergeblich | |
nach seinem Retter gesucht. Ihr Vater sei „ein Mann der leisen Töne“ | |
gewesen, sagt die Tochter Jutta Scheffzek, der nicht im Mittelpunkt habe | |
stehen wollen und kein Aufheben um die Sache machte. | |
## Ungelöstes Rätsel | |
Warum verhielt sich Helmut Kleinicke menschlich? 1931 war er der NSDAP | |
beigetreten. Im folgenden Jahr verließ er die Hitler-Partei wieder, nur um | |
1933 erneut Mitglied zu werden. Sein Vater sei damals wohl ein Opportunist | |
gewesen, meint Jutta Scheffzek. Der Arbeitslose habe sich wohl durch den | |
Parteieintritt einen Job versprochen, den er dann auch tatsächlich erhalten | |
habe. | |
Was Kleinicke und manche andere Menschen in der NS-Zeit motiviert hat, | |
trotz hoher Risiken Juden zu retten, während die große Mehrzahl untätig | |
war, bleibt aber auch an diesem Abend in der Residenz des Botschafters ein | |
ungelöstes Rätsel. Historiker haben herausgefunden, dass die Hilfe aus | |
allen sozialen Schichten kam, von Frauen und Männern, von Alten und Jungen, | |
von Linken und Konservativen – und eben, höchst selten, auch von | |
Angehörigen der NSDAP. | |
Josef Königsberg wurde trotz der Hilfe Kleinickes später doch noch in | |
mehrere Konzentrationslager verschleppt. Er hat fast seine ganze Familie | |
verloren, aber überlebt. Kleinicke selbst wurde, seine Hilfen für Juden | |
waren wohl ruchbar geworden, 1943 zur Wehrmacht eingezogen und überstand | |
den Krieg mit einem Hörschaden. Danach lebte er in Braunschweig und Koblenz | |
und arbeitete wieder als Bauingenieur. | |
„Sein Name bedeutet, dass nicht alle Deutschen Mörder und Verbrecher | |
waren“, sagt Josef Königsberg am Dienstag über seinen Retter. Kleinicke war | |
eine seltene Ausnahme, aber ganz allein war er nicht: Yad Vashem hat bis | |
heute 27.362 Menschen als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. [1][627 von | |
ihnen] sind Deutsche. | |
15 Jan 2020 | |
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[1] /Israel-ehrt-Berliner/!5546410 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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