# taz.de -- Ausstellung zur Fahrt der „Exodus“: Mythos und Kampagne zugleich | |
> Zum Gründungsmythos des Staates Israel gehört das Auswandererschiff | |
> „Exodus“. Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Rendsburg zeigt Brüche in | |
> den Heldengeschichen. | |
Bild: Fotos als museales Material: Blick in die Ausstellung „Die Exodus-Affä… | |
HAMBURG taz | Man hätte es sich ganz einfach machen können. Und die | |
Geschichte der „Exodus“ als eine moralisch strahlende Abenteuerfahrt | |
erzählen können, an deren Ende die Gründung des Staates Israel steht. | |
Als die Reise eines nur bedingt seetüchtigen Schiffes, das einst ein | |
Vergnügungsdampfer war, vorgesehen für 500 Passagiere, das schließlich | |
4.500 Passagiere mit sich führte, darunter mehrere Hundert Kinder. Die alle | |
nichts anderes wollten als ein Land zu finden, in dem sie von nun in | |
Sicherheit leben könnten: in Palästina, noch britisches Mandatsgebiet. | |
Kurz vor dem Ziel werden sie gewaltsam von der britischen Marine | |
aufgebracht, was drei Passagieren und einem britischen Soldaten das Leben | |
kostete. Und was zugleich als Beweis dafür galt, dass die Verfolgung und | |
die Odyssee der Juden Europas nicht mit der militärischen Niederlage des | |
Nationalsozialismus endete. | |
Denn wie verdorben und auch wie offensichtlich ist das denn: Da verlassen | |
jüdische Überlebende im Juli 1947 auf verschlungenen Wege das deutsche | |
Schreckensreich wie auch Regionen in Osteuropa, in der ein latenter | |
Antisemitismus immer wieder gewaltsam ausbricht. Sie wagen von | |
Südfrankreich aus eine entbehrliche Fahrt, und sie werden am Ende an Bord | |
von drei britischen Gefängnisschiffen im September 1947 wieder | |
zurückverschifft – ins Land der Täter. | |
Sie landen über den Hamburger Hafen schließlich nahe Lübeck im ehemaligen | |
Zwangsarbeiterlager „Am Stau“ sowie im einstigen Wehrmachtsentlassungslager | |
Pöppendorf, abgetrennt und hinter Stacheldraht. Bis schließlich die UN der | |
Gründung Israels zustimmt und die blau-weiße Fahne mit dem Davidstern, die | |
auch auf der „Exodus“ bald nach der Ausfahrt gehisst wurde, Staatsfahne | |
wird. | |
## Medienkritischer Blick | |
Aber so einfach ist es eben nicht. „Die Ausstellung wirft einen | |
medienkritischen Blick auf den Mythos der ‚Exodus‘“, sagt Claudia Kuhn vom | |
Museumsteam. Sie fügt hinzu: „Mythen sind identitätsstiftend, und sie sind | |
so, wie sie erzählt werden, immer von einer subjektiven Wahrnehmung und | |
Intention geprägt.“ | |
„Nicht wenige Besucher sagen auch: ‚Das ist ja wie heute!‘“, erzählt s… | |
noch. Und deutet an, dass es nicht ganz so einfach sei. Klar: ein mehr als | |
angeschlagen wirkendes Schiff voller Flüchtlinge, die an Bord kaum Platz | |
haben sich zu rühren und die einer ungewissen Zukunft entgegenfahren, wem | |
wollten da trotz besseren Wissens nicht die aktuellen Bilder aus dem | |
Mittelmeer einfallen? | |
Doch die AusstellungsmacherInnen wollten es sich nicht ganz so einfach | |
machen. „Die Exodus-Affäre“ ist im Gegenteil eine Ausstellung, die einläd… | |
Brüche wahrzunehmen und einer allzu glatten Erzählung von Heldentum und | |
Widerstand immer auch zu misstrauen. | |
## Eines von circa 140 Flüchtlingsschiffen | |
Denn um es einmal grob und vereinfachend zu sagen: Die Fahrt der „Exodus“ | |
als quasi ausgewähltem unter circa 140 Flüchtlingsschiffen, die damals | |
unterwegs waren, war immer zugleich auch eine gut geplante und gut | |
durchdachte Kampagne, um die Idee eines eigenständigen und unabhängigen | |
jüdischen Staates umzusetzen. | |
Claudia Kuhn sagt: „Es gibt Besucher, die sich an dieser Sichtweise | |
stören.“ Sie selbst sagt: „Die Menschen der ‚Exodus‘ haben sich wieder | |
Handlungsmacht angeeignet, und sie gehen dabei strategisch vor – ich finde | |
das überhaupt nicht verwerflich.“ | |
Kuhn ergänzt, dass es gerade für ein jüdisches Museum wenig hilfreich und | |
passend ist, die Geschichte der „Exodus“ noch einmal wie gewohnt zu | |
erzählen: aus Opfern, die sich aufmachen, die Hoheit über ihr Leben | |
wiederzugewinnen, werden wieder Opfer. Und so wird das Bild vom Juden als | |
quasi ewigen Opfer eine nächste Runde weitergetragen. | |
## Ein vermeintliches Dokumentarfoto | |
Aber von vorn: Betritt man die Ausstellungsräume, schaut man auf ein | |
wandfüllendes Schwarz-Weiß-Foto, dass alle Kriterien des aufrechten | |
Dokumentarfotos zu erfüllen scheint: eine Dampflok, auf der überall | |
Menschen sitzen, an der sich überall die Menschen festhalten. „Wenn da mal | |
niemand herunterfällt und unter die Räder kommt …“, scheint das Bild zu | |
sagen. | |
Doch davon unbenommen dürfte es sich tatsächlich um ein inszeniertes Foto | |
handeln, das die damals massenhaften Wanderungen durch Europa symbolisieren | |
soll, wie bei näherem Blick deutlich wird: Die Menschen wirken seltsam | |
entspannt, wie sie sich da auf abenteuerliche Weise an das Gefährt | |
klammern; auch scheint kein Haar im Fahrtwind zu wehen. Wahrscheinlich | |
fährt die Lok im Moment der Aufnahme gar nicht. | |
Dass Fotos in der Rendsburger Ausstellung überhaupt eine große Rolle | |
spielen, hat mindestens zwei Gründe. Erstens: Die Fahrt der „Exodus“ wurde | |
von Beginn an von seinen Organisatoren der Selbstschutzorganisation der | |
Haganah, aus der sich später die israelische Armee bildete, fotografisch | |
intensiv begleitet. | |
## Massendemonstrationen in New York | |
Jede Reisephase und auch jede Eskalationsstufe wurde sozusagen bildlich | |
eingebettet. Besonders die Aufnahmen des von britischen Kriegsschiffen | |
gerammten und dabei stark beschädigten Schiffes sorgten dafür, dass die | |
Fahrt des Schiffes weltweit wahrgenommen wurde. Massendemonstrationen, | |
vornehmlich in New York, forderten sehr öffentlichkeitswirksam die | |
Unabhängigkeit Israels. | |
Und zweitens gibt es neben den nachträglich eingefangenen | |
Zeitzeugenberichten, denen man via Hörstationen folgen kann, kein | |
unmittelbares Material, das museumsmäßig etwas über das Leben an Bord | |
beziehungsweise später im Lübecker Lager erzählen könnte. Nur ein | |
gusseiserner, heute fast malerisch wirkender rostiger Ofen aus dem Lager | |
wird in einem der hinteren Räume präsentiert und dazu verleitet, zwischen | |
der Assoziation wärmender Behaglichkeit und der Vorstellung eines beengten | |
Lageralltags zu springen. | |
Spannend sind die Dokumente über das sogenannte Lagerleben, das vom 8. | |
September bis zum 6. Oktober 1947 dauerte und bald von den Internierten | |
selbst verwaltet wurde: „Es gab Hochzeiten, es gab Beerdigungen, es gab | |
Hebräisch-Unterricht und man hat seinen Protest organisiert“, erzählt | |
Claudia Kuhn. | |
Übrigens wurde die vorhandene Umzäunung des Lagers auf Wunsch der | |
„Exodus“-Passagiere verstärkt, die aus verständlichen Gründen Angst vor … | |
deutschen Bevölkerung hatte und diese auf Abstand wissen wollte. Und so | |
lassen sich die Bilder von Scheinwerfern, Draht und patrouillierenden | |
Soldaten noch einmal anders lesen. | |
Ähnliches gilt für die vergitterten Waggons, mit denen zuvor die ehemaligen | |
Schiffspassagiere von Hamburg nach Lübeck gebracht wurden: Auch hier lohnt | |
ein genauer Blick und man erkennt, dass die Gitter in der Regel lose in die | |
Fenster eingefasst sind. | |
Wie propagandistisch man selbst einfache kulturelle Aktivitäten zu | |
verwerten suchte, davon erzählen schließlich zwei ausgestellte | |
Zeitungsberichte vom September 1947, die sich je auf das dasselbe Foto | |
stützen, dass im Kreis tanzende Lagerbewohner vor einer Nissenhütte zeigt. | |
Für die loyale britische Zeitschrift Illustrated London News führen die | |
Menschen unter der Herbstsonne ausgelassen einen nationalen Tanz vor, für | |
die amerikanische Life versuchen dieselben Menschen, ihrem Frust und ihrer | |
Wut über ihre Internierung tanzend Ausdruck zu verleihen. Vielleicht hätte | |
man die Tanzenden zuvor fragen sollen, was sie bewegt hat. | |
19 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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