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# taz.de -- Ausstellung über Shoah-Überlebende: Neuanfang im Land der Täter
> Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Rendsburg zeigt Schicksale von
> Shoah-Überlebenden, die in der Nachkriegszeit in Deutschland blieben.
Bild: April 1945: junge Zionist*innen in Blankenese kurz vor ihrer Abreise nach…
Passanten zwischen Trümmern der zerstörten Kieler Innenstadt, bezopfte
Mädchen in der Schule, Frauen, die neben Flüchtlingsbaracken Wäsche
aufhängen – es geht trotz aller Probleme aufwärts.
Diese Botschaft wollte die Schleswig-Holsteinische Landesregierung Anfang
der 1950er- Jahre mit dem Mutmach-Film „Wo ein Wille ist“ verbreiten. Bei
so viel Aufbruchstimmung störten diejenigen nur, die über Krieg,
Gräueltaten und Verbrechen sprechen wollten. Darunter waren die
Überlebenden der Shoah, die aus KZ, Verstecken oder dem Ausland kamen.
Diese Menschen waren „Gerettet, aber nicht befreit“: So ist die aktuelle
Sonderausstellung im Jüdischen Museum in Rendsburg betitelt.
„Das Besondere ist, dass wir Biografien vorstellen, die noch nirgendwo
erzählt worden sind“, sagt Museumsleiter Jonas Kuhn. Die Idee entstand nach
einer Ausstellung über die Reise des Flüchtlingsschiffs „Exodus“, das im
Juli 1947 nach Palästina aufbrach. „Es gab großes Interesse an der
Nachkriegszeit, und mich hat selbst überrascht, wie viele Aspekte noch
nicht erforscht sind“, sagt Kuhn, der für die Ausstellung im Heidelberger
Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland
Hunderte von Akten sichtete.
Die Quellenlage sei aber generell schlecht – vor allem, weil die Akten nur
die trockenen Tatsachen referierten. Häufiges Thema waren Versuche von
Jüd*innen, vom deutschen Staat Wiedergutmachung zu erhalten – wobei sie
gezwungen waren, Nazi-Begriffe wie „Mischling“ oder ihre Zwangsnamen zu
verwenden. „Aber das sind formalisierte Schreiben, und wir versuchen
herauszukriegen, wie es den Leuten ging“, sagt Kuhn.
In einigen Fällen gelang das durch Tagebücher, Biografien oder
Medienberichte, in denen die Überlebenden zu Wort kommen. Ihre Erinnerungen
stehen im Mittelpunkt der Ausstellung. Erzählt werden Geschichten vom
Willen, im Land der Täter*innen wieder heimisch zu werden, so wie
Valeska Gert, die als Tänzerin im Berlin der 1920er-Jahre für Furore
sorgte. Während der NS-Zeit lebte sie im Ausland und kehrte 1946 nach
Deutschland zurück, fühlte sich in Berlin aber nicht mehr wohl. Sie zog
nach Sylt, eröffnete in Kampen das Lokal „Ziegenstall“ und richtete es mit
Stroh und Melkschemeln ein.
„Gäste sind wie Ziegen“, stand an der Wand ihrer Kneipe, „sie werden
gemolken und meckern.“ Zurückhaltung war Gerts Sache nicht: Sie verlangte,
gesehen zu werden: „Ich will leben, auch wenn ich tot bin.“
Auch präsentiert die Ausstellung Geschichten von Menschen wie Rudolf Katz,
der die Nachkriegsgesellschaft mitgestalten und nach vorn blicken wollte.
Katz, Jurist, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, wurde vom NS-Regime als Jude
und SPD-Politiker verfolgt, also emigrierte er. 1947 erhielt er die
deutsche Staatsbürgerschaft zurück und war bis 1950 Justizminister in
Schleswig-Holstein. Er schrieb an der Landesverfassung und am Grundgesetz
mit und gehörte zu den ersten Mitgliedern des neuen
Bundesverfassungsgerichts. Um den Staat schnell wieder funktionsfähig zu
machen, erlaubte Katz auch vielen NS-Jurist*innen die Rückkehr in die
Behörden.
Auffallen oder sich anpassen? Gehen oder bleiben? Diese Fragen stellten
sich für diejenigen, die während der NS-Zeit aufgrund ihres Jüdischseins
diffamiert worden waren. In Schleswig-Holstein hatte es seit dem 16.
Jahrhundert jüdische Gemeinden gegeben, einige Orte erlaubten später als
„Toleranzstädte“ die Ansiedlung jüdischer Familien. Rendsburg, die dänis…
Garnisonsstadt, gehörte dazu. Doch schon vor 1933 waren viele Gemeinden
praktisch aufgelöst, viele Jüd*innen in größere Städte gezogen.
Daher waren viele Shoah-Überlebende, die das Kriegsende in
Schleswig-Holstein erlebten, „Fremdarbeiter“ oder Vertriebene. Viele
träumten von der Ausreise nach Palästina. Auch um den Täter*innen zu
entgehen. Das Zitat eines Überlebenden skizziert die damalige Lage sehr
treffend: „Als ich mich bei der Polizei anmelde, sitzt derselbe Beamte
hinter dem Pult, der mir damals die Schlüssel abgenommen hat.“
Einer, der blieb, war Gyula Trebitsch. Der ungarische Filmproduzent wurde
aus dem KZ Wöbbelin befreit, kam ins Krankenhaus in Itzehoe und eröffnete
dort, kaum gesundet, zwei Kinos. Kurz darauf zog er nach Hamburg, wo er das
Studio Hamburg mitgründete und mehr als 100 Spielfilme produzierte.
Noch in Itzehoe hatte er ein Mahnmal für die NS-Opfer initiiert. Die im
September 1946 eingeweihte Backsteinstele zählt zu den ersten
Nachkriegs-Gedenkstätten in Deutschland. Das Mahnmal erscheint wie ein
Spiegel für das Schicksal der Jüd*innen: Bereits 1947 gab es einen Anschlag
auf die Stele, 1957 wurde sie in einen entfernten Winkel des Itzehoer
Stadtparks versetzt – quasi unsichtbar gemacht. In den 1960er-Jahren dann
schlossen die letzte jüdische Gemeinde in Schleswig-Holstein und das von
Heinz und Ilse Salomon in Kiel geführte Büro der Jüdischen
Wohlfahrtspflege.
Erst in den 1990er-Jahren entstanden, belebt durch Zuzug aus der ehemaligen
Sowjetunion, neue Gemeinden im Land. Gleichzeitig wurde auch das Itzehoer
Mahnmal neu entdeckt – und wieder im Zentrum aufgestellt.
30 May 2021
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Shoa
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