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# taz.de -- NS-Besatzungsherrschaft in Polen: Wie viele Retter, wie viele Zusch…
> In Polen wird über Denkmäler gestritten, die Helfer verfolgter Juden
> ehren sollen. Das dominiert auch eine Historikerkonferenz.
Bild: Denkmal für den Warschauer Aufstand am Krasinski Platz.
Es geht um Steine. Zwei geplante Denkmäler sollen 70 Jahre nach dem Ende
der Nazi-Besatzungsherrschaft und des Holocaust diejenigen Polen ehren, die
den bedrängten Juden in ihrer Not halfen. Eine etwas späte, aber
unstrittige Erinnerung, so könnte man meinen. Doch beide Denkmalprojekte
führen in der polnischen Hauptstadt zu hitzigen Diskussionen – unter
Interessierten, unter Historikern, aber auch unter den wenigen heute noch
lebenden Rettern und ihren Geretteten.
Denn hier geht es um zwei konkurrierende historische Narrative, über die
sich die Nation bis heute nicht hat einig werden können. Sind sehr viele
Polen während der Besatzungszeit ihren Nachbarn zu Hilfe geeilt, haben sie
diese versteckt und ihnen so das Leben gerettet, wie es besonders
konservative Stimmen und der Klerus behaupten? Oder ist das Gegenteil
richtig, nämlich dass man die Juden ihrem von der SS besiegelten Schicksal
überlassen hat, ja, dass viele Polen die Nazis bei ihrem Mordwerk gar
unterstützt haben und sich am Eigentum der Getöteten bereicherten?
Die zweite These ist die ungleich schmerzhaftere für ein Volk, das selbst
hunderttausende Opfer des Nationalsozialismus zu beklagen hat. Sie stellt
die Grundvorstellung von der unterdrückten, aber moralisch sauberen Nation
infrage. Sie macht – bösartig verkürzt dargestellt – aus Opfern zugleich
Täter und rüttelt damit am Selbstverständnis der Nation.
So war es kein Wunder, dass die in der letzten Woche abgehaltene Warschauer
internationale Historikerkonferenz mit dem Titel „Hilfe für Juden im
besetzten Europa“ auch von dieser Kontroverse geprägt war. Mutig setzten
die Organisatoren gleich zu Beginn eine Podiumsdiskussion über die
Denkmalfrage, und selten hat man Geschichtswissenschaftler so
leidenschaftlich diskutieren hören wie dort.
## Narrativ vom unbefleckten Volk
Denn es ist nun einmal so: Etwa 6.500 Polen sind in den letzten Jahrzehnten
von der israelischen Gedenkstätte Jad Vaschem als „Gerechte unter den
Völkern“ ausgezeichnet worden. Diese Menschen haben uneigennützig den
Verfolgten beigestanden und manche von ihnen haben dafür selbst mit ihrem
Leben bezahlt. Polen stellt damit die größte Gruppe unter den „Gerechten“…
die Zahl der so geehrten Deutschen beträgt zum Vergleich nur etwa 550. Als
sicher gilt, dass keineswegs alle Helfer von Jad Vaschem erfasst werden
konnten. Aber wie viele es denn gewesen waren, darüber bestand überhaupt
kein Konsens.
Manchen polnischen Historikern wie etwa Jan Zaryn sind die 6.500 viel zu
wenig. Sie sind davon überzeugt, dass hunderttausende Polen für die Juden
ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. Sie plädieren für den Bau eines
Denkmals, das nahe einer Kirche entstehen soll, in deren Krypta der
Priester Marceli Godlewski jüdische Kinder versteckt hielt. Sie wollen so
das traditionelle Narrativ vom unbefleckten Volk retten – und setzen sich
damit, so die gegnerische Fraktion, dem Verdacht aus, das Volk vom Makel,
dass es ihm in Wahrheit an Hilfsbereitschaft fehlte, reinwaschen zu wollen.
## Retter und Antisemit
Dass Geschichte komplizierter ist, als manche es mögen, zeigt der Priester
Godlewski selbst, rettete er doch einerseits tatsächlich jüdische Kinder,
gehörte aber zugleich der nationalistisch-antisemitischen Organisation
Endecja an, denen zu viele Juden an den Universitäten ein Graus war. Zu den
Kritikern dieses Denkmals zählt etwa der Historiker Jan Grabowski, der von
einer „großen Propaganda“ in dieser Sache spricht. Er plädiert dafür, er…
einmal ausführlich zu diskutieren und so lange die Denkmalpläne ruhen zu
lassen.
Auch an dem zweiten geplanten Denkmal für die Retter hegt Grabowski
Zweifel, obwohl es die geretteten Juden und ihre Nachfahren sind, die es
auf dem Gelände des früheren Ghettos errichten wollen. Es müsse deutlich
werden, dass die große Mehrheit der Bevölkerung passiv geblieben sei,
ansonsten ehre man auch diejenigen, die das nicht verdient hätten,
argumentierte er. Eine Mehrheit für die Inschrift „Die meisten taten
nichts“ werde es aber nicht geben, weiß Grabowski.
Und um die Sache kompliziert zu machen: Hier sind es wiederum betagte
Retter wie Witold Lisowski, die sehr deutlich machen, dass sie sich ein
solches Denkmal wünschen. Als Offizier der polnische Armee eckte er zu
sozialistischen Zeiten mehrfach bei Vorgesetzten an, weil er Kontakte zu
Israelis pflegte. Er sagte: „40 Jahre des Schweigens sind genug. 6.200 der
Gerechten unter den Völkern sind schon gestorben.“
## Keine einfachen Antworten
Ein Ortsname ist zum Symbol dafür geworden, dass eben keinesfalls alle
Polen ihren jahrzehntelang gehegten christlichen Antisemitismus in der
NS-Zeit überwanden: Jedwabne. In diesem Ort ermordeten Polen die jüdische
Bevölkerung, die Nazis sahen zu, taten aber nichts. Und es existiert eine
andere Stadt, die für den fortgesetzten Judenhass unter den katholisch
geprägten Polen steht: Kielce. Dort wurden 1946, also rund ein Jahr nach
Kriegsende, mehr als 40 überlebende Juden Opfer eines Pogroms.
Und doch, das wurde auf der Konferenz deutlich, können Historiker keine
einfachen Antworten wie „gut“ und „böse“ geben. Schließlich existierte
ebenso mit Zegota ein Komitee zur Unterstützung der Juden, das mit der
Londoner Exilregierung verbunden war. Schließlich retteten beispielsweise
rund 300 Nonnen jüdische Kinder (von denen so manche zwangsgetauft wurden).
Und hat nicht Irena Sendlerowa mit wenigen Helfern 2.500 jüdische Kinder
aus dem Warschauer Ghetto geschmuggelt und so gerettet? Sind nicht
insgesamt etwa 5.000 jüdische Kinder dank der Hilfen christlicher Polen dem
Holocaust entronnen?
## Teil der polnischen Geschichte
Die fragwürdige Vorstellung moralischer Reinheit eines ganzen Volkes gerät
ins Wanken, wenn man bedenkt, unter welchem Terror auch die Polen im
NS-Regime zu leiden hatten. Die Lebensmittelrationen reichten nur knapp zum
Überleben, jedweder Widerstand wurde brutal gebrochen. Auch auf die Hilfe
für Juden stand im „Generalgouvernement“ die Todesstrafe. Von
entscheidender Bedeutung dafür, dass Polen und Juden sich nicht als
Schicksalsgemeinschaft empfanden, war zudem, dass die Juden in Ghettos
räumlich getrennt worden waren, bevor man sie ermordete.
Ja, der Holocaust auf dem von den Deutschen besetzten Land zählt auch zur
Geschichte Polens – darüber bestand am Ende der Fachtagung Konsens, nicht
aber über die Konsequenzen daraus. Aber das ist vielleicht in einer offenen
Demokratie nicht das Schlechteste.
Und doch verweisen die Zeugnisse überlebender Juden darauf, dass sie die
christlichen Polen weit mehr als Bedrohung denn als Hilfe betrachteten. Im
eng besetzten und überhitzten Raum des Warschauer Jüdischen Historischen
Instituts, dort, wo einmal die Große Synagoge gestanden hat, bis sie von
der SS in Brand gesetzt worden war, meldete sich am Eröffnungsabend ein
sehr alter Herr, der sich als Geretteter vorstellte.
Er sagte: „Die größte Angst damals betraf die polnischen Nachbarn, von
denen heute gesagt wird, sie hätten den Juden geholfen.“ Und zum Streit
über das Erinnern erklärte er: „Denkmäler sind Symbole. Es gibt einen
Konflikt zwischen der historischen Wahrheit und dem Wunsch, Polen zu
ehren.“
17 Nov 2014
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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