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# taz.de -- Erinnern im Bunker: „Ich habe das Leiden transformiert“
> Im Bremer U-Boot-Bunker „Valentin“ soll an Nazi-Opfer gedacht werden. Ein
> Besuch mit dem Auschwitz-Überlebenden Maurice Cling.
Bild: Gigantomanie der Nazis: Der U-Boot-Bunker "Valentin" wurde von tausenden …
BREMEN taz | Ein Radio läuft. Irgendein Song, der nach Schlager klingt. Die
hohe Betondecke reflektiert den Schall, sodass er die riesige Halle
ausfüllt, obwohl das Radio doch nur in deren anderen Ende trällert.
Bauarbeiter-Gedudel. Maurice Cling steht in der mittleren Halle des
gigantischen Bunkers.
Cling ist aus Paris nach Bremen gereist. Als Kind war er im
Konzentrationslager Auschwitz. Am Abend wird er auf Einladung der
„Antifaschistischen Kulturinitiative“ über Erinnerungskultur in Deutschland
und Frankreich sprechen. Bei dem Bau des U-Boot-Bunkers in Bremen-Farge
kamen zwischen 1943 und 1945 mindestens 1.000 Zwangsarbeiter ums Leben.
Hendrik Schütt durchquert die Halle und bittet die Bauarbeiter, das Radio
auszuschalten. Er ist Mitarbeiter des „Denkort Bunker Valentin“ und die
Männer werkeln an einem Informationszentrum, in dem, beheizt und
klimatisiert, ab 2015 Besucher empfangen werden sollen.
Ein Raum im Raum wird hier gebaut, so hoch ist die Bunker-Halle. Menschen
wirken darin verloren. Der dicke Beton hält die November-Kälte im Inneren,
Cling schiebt die Hände tief in die Taschen seines Mantels. Sein Blick
wandert an den vermoosten Wänden zur Decke hinauf.
## Ein Klotz inmitten ländlicher Idylle
„C’est fou“, hatte Cling schon bei der Anfahrt gesagt, als der gigantische
Betonklotz nach der Autofahrt, vorbei an reetgedeckten Hofstellen, kleinen
Backstein-Häuschen und Vorgärten mit Deutschlandfahnen in seinem Blickfeld
auftauchte – „Das ist verrückt“. In den erdrückenden Ausmaßen des Klot…
etwa 420 Meter lang und fast 100 Meter breit, lebt die menschenfeindliche
Gigantomanie der Nationalsozialisten fort.
Ein kleiner Stichweg geht von der Farger Hauptstraße ab in Richtung Weser
und Bunker. Gegenüber liegt die „Lagerstraße“, deren Name noch heute das
Nebeneinander von ländlicher Idylle und nationalsozialistischem Terror
kennzeichnet, der hier nur durch Verdrängung nicht mehr alltäglich präsent
ist.
Tausenden von Zwangsarbeitern wurden ab 1943 aus den Außenlagern des KZ
Neuengamme über die Lagerstraße auf die Bunker-Baustelle getrieben. Dennoch
gab es Leute im Ort, die nach dem Sieg der Alliierten angaben, von den
Zwangsarbeitern nichts mitbekommen zu haben.
Cling hat vier Söhne. Nach dem Krieg hat er Englisch studiert, lehrte als
Professor für Anglistik in Paris. Ob es ein Leben gibt, das weitergegangen
ist und eines, das 1945 stehen geblieben ist? „Nein“, sagt er und kann mit
der Frage wenig anfangen.
„Ich habe das Leiden in Aktion transformiert.“ Das sei es, was ihn heute
auch lachen lässt: „Das muss man dialektisch sehen“, sagt er. Vor dem
Bunker möchte er nicht lachend fotografiert werden. „Es gibt solche
Momente, die sind für das Lachen, und solche, die für das Denken und Fühlen
bestimmt sind“, sagt Cling.
Mit zwei Mappen historischer Fotos unter dem Arm erklärt
Denkort-Mitarbeiter Schütt, wie akribisch die Nationalsozialisten den
Bunker ab 1943 geplant haben. Eine Werft für U-Boote sollte es werden,
bombensicher verpackt in meterdickem Stahlbeton.
Vom Fließband weg sollte alle zwei Tage ein neues Schiff über die Weser
direkt in den Kampf ziehen. Neben Düsenjägern und V2-Wunderwaffe sollten
die U-Boote den Nazis zum Sieg verhelfen. Cling schaut hinauf zur Decke, wo
in 20 Meter Höhe eine Aussparung gelassen wurde.
Dort sollte bei der Produktion das U-Boot-Periskop montiert werden. „Ich
wusste nicht, dass ein solches Gebäude existiert“, sagt Cling. Sein ganzes
Leben streitet er für die Erinnerung an die NS-Verbrechen.
## Hilfe von der Résistance
Cling stammt aus einer jüdischen Familie. Im Mai 1944 deportierten die
Nazis ihn als 15-Jährigen mit seiner Familie aus Paris. Seine Eltern und
sein Bruder werden in Auschwitz vergast. Anfang 1945 muss Cling auf einem
Todesmarsch ins Konzentrationslager Dachau.
Kinder seien eigentlich sofort vergast worden. Dass er überlebt hat, sei
nur möglich gewesen, weil er Hilfe von Erwachsenen bekam. „Vor allem aus
der Résistance“, sagt er. Im Mai 1945 wird Cling in Mittenwald von
amerikanischen Soldaten befreit.
Über 60 Jahre später ist Cling wieder in Mittenwald und demonstriert gegen
das Veteranentreffen der Gebirgsjäger, deren Einheiten im Zweiten Weltkrieg
Kriegsverbrechen in ganz Europa begingen. Von den Protesten gegen das
Treffen kennen sich Cling und die Aktivisten der „Antifaschistischen
Kulturinitiative“ aus Bremen.
Am Abend sitzt Cling vor etwa 200 Zuhörern im Bremer Kulturzentrum
Lagerhaus. Dass es weniger um ihn geht, sagt er ihnen. Er erklärt, warum es
auch auf die Begriffe ankommt. „Nach 1945 hatten wir kein Wort für das, was
geschehen war“.
„Shoah“ oder „Holocaust“ seien religiös konnotierte Bezeichnungen. Cli…
lehnt sie ab. „Es war kein religiöser Krieg“, sagt er. „Genozid“, dies…
Wort sei passend. Der Genozid der Nazis sei ohne Beispiel, Auschwitz dafür
das Symbol. Eine der größten Bedrohungen sei heute, dass man anfange,
dieses Verbrechen zu relativieren.
## Schuld waren Täter, nicht „der Krieg“
Am Bunker legt die Gruppe mit Cling Blumen an einem Denkmal nieder. Es
besteht aus zwei Betonquadern, zwischen denen Menschen zerrieben werden.
Einige Gedenktafeln sind zerkratzt, wohl von Neonazis. Drei Kränze sind
noch dort, die am Wochenende zuvor, am Volkstrauertag, niedergelegt wurden.
Am gleichen Tag war im Ort auch der gefallenen deutschen Soldaten gedacht
worden. Ein Gesteck ist vom Ortsamt Blumenthal. Cling lässt sich die
Aufschrift übersetzen: „In Gedenken an die Opfer von Terror und Krieg“. Das
ärgert ihn.
„Die Leute starben nicht am Krieg und Terror, sie starben durch die Nazis“,
sagt er. „Das ist eine Beleidigung ihres Gedenkens.“ Schuldige müssten
benannt werden und auch, wer vom Nationalsozialismus profitiert hat.
So unübersehbar der Bunker in Farge sein mag – die öffentliche Erinnerung
begann erst Anfang der 1980er-Jahre. Das Denkmal stammt von 1983 und musste
noch außerhalb des Geländes aufgestellt werden.
Denn seit 1962 nutzte die Bundeswehr den gesamten Komplex als
Materialdepot. Die Stacheldraht-Zäune, die Nebengebäude, das großes
Eisentor – all das stammt vom Militär. Anfang 2011 übernahm die
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA).
## Halb Gedenkort, halb Materialdepot
Nur langsam, Schritt für Schritt, bewegt sich Cling durch die Hallen des
Bunkers. An der Wand reihen sich meterhohe Kabeltrommeln, eine rotlackierte
Maschine, Paletten mit Isoliermaterial für das nahe Kraftwerk.
Die Gruppe muss zwischen haushohen Bretterkisten hindurch. Der
Erinnerungspfad, der ab 2015 die BesucherInnen durch den Denkort leiten
soll, führt mitten durch ein Materialdepot der BIMA.
Was hier lagert, wissen auch die Mitarbeiter des Denkortes nicht. Um am
Bunker überhaupt einen Erinnerungsort aufzubauen, hat das Land Bremen 2011
eine Vereinbarung mit der BIMA zur gemeinsamen Nutzung getroffen. Nur ein
Teil wird Gedenkort werden.
Weil die Instandhaltung des Bunkers mehrere Hunderttausend Euro pro Jahr
kostet, vermietet die BIMA die mittlere Halle als Lagerraum. „Unsere
Aufgabe ist, dass das Objekt keine roten Zahlen schreibt, damit der
Steuerzahler nicht zu sehr in Anspruch genommen wird“, so hatte es der
BIMA-Fachgebietsleiter Hans-Heinrich Schrievers erklärt.
Bei dem Gang über das Gelände erzählt Cling, dass er vor einiger Zeit
Auschwitz besuchte und die Ausstellung in den ehemaligen KZ-Gebäuden sah.
Die Besucher seien dort unbedarft durchgelaufen, hätten die Fotos
angeschaut und dort sogar gegessen. „In den Räumen haben Häftlinge
gelitten“, sagt Cling, „ich war auch in einem der Räume“.
## Nicht ohne die Stimmen der Opfer
Draußen vor dem Bunker zeigt Denkort-Mitarbeiter Schütt Cling eine
Ausgrabungsstelle, an der im Sommer Reste der ehemalige Betonmischanlage
freigelegt wurden. Zehn Zwangsarbeiter mussten je eine Trommel befüllen.
Schütt zeigt ein historisches Foto von den Bauarbeiten. „Ich habe etwas
gegen solche Fotos“, sagt Cling.
„Das ist der Blick der Nazis, wie sie uns gesehen haben. Es zeigt den
Terror nicht“, sagt er. Man müsse erklären, dass das Bild von Nazis
aufgenommen wurde. „Man identifiziert die Leute mit normalen Arbeitern“,
sagt Cling. Die Verbindung zu den Außenlagern von Neuengamme herzustellen,
zu denen, die hier gestorben sind, sei wichtig.
„Das ist eure Aufgabe“, sagt er. Cling erzählt von einem Film, den deutsche
Anwohner von KZ-Häftlingen in Dachau gedreht haben. So etwas wie Wachen
sieht man dort nicht. „Es hat ihnen nichts bedeutet“, sagt er. Auch bei
diesen Bildern sei es so gewesen: „Ich musste im Nachhinein erklären, dass
die Füße schmerzten, von der Kälte und den Männern, die mit
Maschinengewehren hinter uns standen.“
Auch für solche Diskussionen haben Schütt und die anderen Cling zum Bunker
eingeladen. Ihr Konzept sieht vor, die Bilder nur im Kontext zu zeigen und
ihnen Berichte der Opfer beizustellen.
Zu dem Bild von der Betonmischanlage liest eine Mitarbeiterin einen Bericht
vor: „Wie ein Menschenfresser, dessen Hunger nie gestillt ist, schluckt die
Betonmischmaschine dreihundert Sack in der Stunde. Trotz der Schreie und
Schläge der Aufpasser gelingt es uns nicht, die Maschine satt zu bekommen.
Ein Glück nur, dass uns die Sabotage, die auf einer großen Leiter getrieben
wird, zu Hilfe kommt.“
Mit solchen Texten, die die Bilder erklären, könne man es machen, sagt
Cling. Der Widerstand in den Konzentrationslagern sei es gewesen, mit dem
die Nazis eigentlich moralisch besiegt worden seien. Die Erinnerung daran,
an die politischen Gegner der Nationalsozialisten, ist Cling wichtig. Etwa
im KZ Dachau, das 1933 für politische Häftlinge errichtet worden war.
Auf dem Weg zurück läuft das Radio wieder. Irgendein Song, der nach
Schlager klingt.
24 Nov 2014
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Erinnerungskultur
Holocaustüberlebende
NS-Gedenken
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Bunker
Shoa
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Streitfrage
Polen
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