# taz.de -- Nazi-Symbol beim Wikinger-Fest: Mit Rüstung und Hakenkreuz | |
> Beim Wikinger-Fest in Schleswig kämpft ein Darsteller mit einem | |
> Hakenkreuz-Symbol. Die Unterwanderung durch Rechte sei ein Problem, so | |
> Forscher. | |
Bild: Sonnensymbol oder Hakenkreuz auf dem linken Schild? Schleswiger Wikingert… | |
HAMBURG taz | Wikingerstadt, Wikinger-Museum, Wikinger-Rollenspiele: Es ist | |
das eine Thema, mit dem man in der Stadt Schleswig und nahe der | |
historischen Wikinger-Siedlung Haithabu um Besucher und Touristen wirbt. | |
Bei all dem Marketing mahnen Wissenschaftler zu historischer Genauigkeit – | |
aber auch zu politischer Wachsamkeit. Die Geschichtsschreibung über die | |
Wikinger ist eng verknüpft mit einer Rezeption durch die | |
Nationalsozialisten – eine Mythosbildung, die bis heute eine starke | |
Anziehungskraft auch für Rechte entfaltet. | |
Ende Juli nun fanden in Schleswig die Wikingertage statt, ein Event mit | |
25.000 Zuschauern, samt Feuershows, Handwerkspräsentationen und | |
Show-Kämpfen. Unter anderem die Schleswiger Nachrichten berichteten mit | |
einem Foto auf der Titelseite: Rund ein Dutzend Männer sind darauf in einer | |
Reihe zu sehen, manche mit Helmen, in Lederrüstungen und runden Schilden. | |
Was auf den ersten Blick schnell zu übersehen ist: Auf einem der Schilde | |
prangt auf rot-weißem Grund ein achtgliedriges Hakenkreuz. | |
Dieses „Kolovrat“ ist heute als Symbol vor allem bei russischen Neonazis | |
beliebt, eine Suche im Netz führt schnell zu Seiten der extremen Rechten. | |
Eine unglückliche Wahl für ein Wikinger-Schild? Karl Banghard, Leiter des | |
[1][Archäologischen Freilichtmuseums Oerlinghausen], fällt ein hartes | |
Urteil. Banghard ist Experte für Ur- und Frühgeschichte, beschäftigt sich | |
seit einigen Jahren aber auch mit der Unterwanderung der sogenannten | |
Reenactment-Szene durch Neonazis. | |
Das Kolovrat-Symbol, sagt Banghard, tauche nur verschwindend gering in der | |
Vorgeschichte auf. „Es findet vor allem in der NS-Symbolik Verwendung“, | |
sagt er. Auf der Wewelsburg sei das Geschirr für die SS mit dem Kolovrat | |
verziert gewesen. „Wer so ein Wikinger-Schild baut, macht sich Gedanken“, | |
sagt Banghard. „Die Fernwirkung auf dem roten und weißen Grund ist | |
eindeutig die eines Hakenkreuzes.“ | |
Problematischer als das Schild ist für Banghard allerdings der Umstand, auf | |
den es verweise: Neonazis seien in der Reenactment- und | |
Living-History-Szene „sehr aktiv“. „Die extreme Rechte betreibt hier | |
unterschwellig Geschichtspolitik und führt einen Kulturkampf“, sagt er. | |
Etwa, wenn Wikinger immer in Verbindung mit Kampf dargestellt würden. | |
Es sei ihnen gerade in ihrer Frühphase eher um Handel gegangen. Von | |
Gräbern, in denen lange die Feinde der Wikinger vermutet wurden, sei | |
mittlerweile klar, dass es selbst die Wikinger waren, die dran glauben | |
mussten. „Unterernährt und keine Berserker-Kämpfer“, so Banghard. Auch die | |
Siedlung Haithabu gehörte zu den spektakulärsten Grabungserfolgen der | |
NS-Zeit. Die „nordgermanischen“ Wikinger sollten als welterobernde | |
Vorfahren für sich in Anspruch genommen werden. | |
Bezüglich der heutigen Inanspruchnahme hat das Archäologische | |
Freilichtmuseum in Oerlinghausen eigens eine Broschüre herausgegeben, die | |
nun in die zweite Auflage geht. Fotos darin zeigen TeilnehmerInnen des | |
Slawen- und Wikinger-Reenactment-Festivals im polnischen Wolin, das am | |
vergangene Wochenende wieder stattfand: Ein Event mit Tausenden Teilnehmern | |
– und laut Banghard auch ein Treffpunkt der „extremen Rechten“. | |
Diesen Vorwurf freilich will er den Wikingertagen in Schleswig nicht | |
machen. Die Unterwanderung mit rechter Symbolik sei „ein Suchspiel“, für | |
das er sich aber eine höhere Sensibilität wünsche. | |
Stephan Vollbehr, Veranstalter der Wikingertage, zeigte sich überrascht | |
über das Symbol auf dem Schild. „Ich kann es ganz deutlich sagen: Nicht nur | |
haben wir eine klare Distanz zur rechten Ideologie, sondern diese Menschen | |
haben bei uns nichts zu suchen“, so Vollbehr. Nach Rücksprache mit seinem | |
„Leiter der Kampftruppen“ sagte er, das Symbol sei „ein Sonnenzeichen“ … | |
es gebe „einen schmalen Grat, in welchem Zusammenhang alte mythologische | |
Symbole genutzt werden“. Diese würden teilweise missbraucht. | |
Das Problem sei ihm mehr als bewusst: „Gerade in früheren Jahren haben wir | |
immer mal wieder von Rechtsradikalen Besuch bekommen“, so Vollbehr. „Wir | |
haben darauf sehr deutlich unter anderem mit einer starken Polizeipräsenz | |
reagiert.“ Heute seien die Wikingertage eine der größten | |
Familienveranstaltungen der Region. „Durch die klare Positionierung ist das | |
Event für Rechtsradikale komplett uninteressant geworden“, so Vollbehr. | |
Alf Clasen, Redaktionsleiter der Schleswiger Nachrichten, sagte über das | |
Foto: „Uns ist es nicht aufgefallen. Sonst hätten wir das Bild nicht | |
veröffentlicht.“ Die Zeitung werde am Dienstag selbst kritisch über den | |
Vorfall berichten. | |
Broschüre „Nazis im Wolfspelz: Germanen und der Rechte Rand“ zu bestellen | |
über das Archäologisches Freilichtmuseum Oerlinghausen, | |
[email protected] | |
9 Aug 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.afm-oerlinghausen.de/ | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
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