# taz.de -- Ökonazis im Wendland: Jung, naturverbunden, rechts | |
> Viele Neonazis verwirklichen ihre Aussteigerfantasien im Wendland und | |
> engagieren sich für Naturschutz. Einige Nachbarn stört das, aber längst | |
> nicht alle. | |
Bild: Nicht mehr gefeit vor Neonazis: das grüne Wendland. | |
WIBBESE taz | Im Wendland scheint es ruhig geworden zu sein. Noch zeugen | |
die gelb gestrichenen Anti-Castor-Kreuze und Transparente an fast jedem | |
zweiten Haus vom Widerstand im Hinterland. Doch die [1][wilden Zeiten der | |
Proteste gegen das Atommüllendlager] sind vorerst vorbei. Die | |
Ökoaktivist_innen haben es sich in renovierten Bauernstuben gemütlich | |
gemacht, genießen die Frischluft der Biosphärenreservate und schicken ihre | |
Kinder in Waldorfschulen. Sie glauben, mit dem Kampf für den Umweltschutz | |
die linke Utopie vom guten Leben im Hier und Jetzt zu verwirklichen. Doch | |
die Realität sieht anders aus, nicht nur sie interessieren sich für | |
Naturschutz und nicht alle alternativen Aussteiger sind automatisch links. | |
So auch Timo L. Er erschien anfangs als harmloser Ökobauer, legte eine | |
Streuobstwiese an, hielt Schweine und Schafe. Ein angehender | |
Selbstversorger. Doch irgendwann fielen den Nachbar_innen seine | |
Tätowierungen auf. Keltische Runen, NS-Symbole, ein Reichsadler. Dann der | |
Stahlhelm bei den Motorradfahrten im Dorf. Schließlich der Besuch. Junge | |
Männer, die ähnliche Tätowierungen zeigten, Hammerskin-T-Shirts trugen und | |
ihre Kampfhunde frei über sein ungesichertes Gelände laufen ließen. Mit | |
ihnen hörte er schon zum Frühstück „Deutschland, Deutschland über alles“ | |
auf seiner Wiese. Langsam dämmerte es manchen Bewohner_innen von Wibbese: | |
Ihr Dorf, eine Kirche, zwei Straßen, ein Ponyhof, war jetzt Wohnort von | |
Nazis. | |
„Bei einer Internetrecherche habe ich entdeckt, dass er im ,Nationalen | |
Widerstand Ostfriesland‘ aktiv war“, sagt seine Nachbarin Barbara Karsten. | |
„Er wurde in Foren von Antifas als vorbestraft und gewalttätig | |
beschrieben“, sagt sie. Der Nationale Widerstand ist eine Eigenbezeichnung | |
Rechtsextremer und steht für einen losen Zusammenhang von | |
Nazi-Aktivisten_innen. | |
Die kleine Frau mit den grauen Haaren wohnt mit ihrem Partner Knut Jahn | |
unmittelbar neben Timo L. Die Grafikerin und der pensionierte Pädagoge | |
leben seit sechs Jahren in ihrem Häuschen am Rand von Wibbese. Timo L. zog | |
2010 in den Ort, der keine zehn Kilometer entfernt vom berühmt-berüchtigten | |
Castor-Verladebahnhof Dannenberg liegt. „Der hatte von Anfang an eine | |
Anti-Atom-Fahne an seinem Haus hängen“, erinnert sich Jahn. Dem Enkel der | |
Pensionäre gefielen die Tiere und so kam man ins Gespräch. Alte Tierrassen | |
seien es, erklärte der Nachbar Knut Jahn, kam dann aber auch auf | |
Menschenrassen zu sprechen und hier wurde der alte Mann zum ersten Mal | |
hellhörig. | |
Als Timo L. ein Grundstück direkt neben den alten Leuten erwerben wollte, | |
versuchten sie den Kauf zu verhindern, informierten den Besitzer und auch | |
die Maklerin über die politische Einstellung des Interessenten. Doch | |
letztendlich gelang es L. die Immobilie durch die Mutter seiner Frau zu | |
bekommen. „Die war vermutlich seine Strohfrau“, so Jahn. | |
Jetzt waren sie nur noch durch einen Maschendrahtzaun von dem Nazi | |
getrennt, sein Haus in ein paar Metern Entfernung, die zugehörigen Wiesen | |
umschließen ihr eigenes Grundstück an zwei Seiten. Sie fühlen sich | |
umzingelt. Die Freunde_innen des Nachbarn halfen an Wochenenden beim | |
Renovieren seines Hauses. „Es kam hier zur Nazi-Hordenbildung“, so Karsten. | |
Bis zu zwanzig Besucher_innen aus Nord- und Ostdeutschland waren dort. Sie | |
feierten auf seiner Wiese Feste, tranken und hörten lautstark | |
Rechtsrockmusik. | |
## Überdimensionierter Stinkefinger | |
Timo L. selbst will sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Seine politische | |
Einstellung sei seine Privatsache, auch der Konflikt mit den Nachbar_innen | |
sei privat. Er sei in den Ort gezogen, weil es hier ruhig sei und er in | |
Frieden wohnen wolle. Auf den ersten Blick wirkt sein Grundstück auch | |
friedlich: Zottelige schwarze Schafe weiden auf der Wiese, das Haus mit | |
Holzverkleidung ist unscheinbar. Nur wenn man den Blick zum Obergeschoss | |
hebt, fällt ein selbst gemaltes Bild auf, das ein ganzes Fenster ausfüllt. | |
Es zeigt einen überdimensionierten Stinkefinger, der in Richtung von | |
Karstens und Jahns Zuhause weist. | |
Die beiden versuchten erfolglos, mit dem Nachbarn über seine politische | |
Einstellung zu diskutieren. Bei einem Gespräch mit ihm und seinen Eltern | |
erklärte er, er sei in der rechten Szene nicht mehr aktiv, wolle sich als | |
Selbstversorger versuchen und eine Familie gründen. Dabei hielt der | |
Ökobauer sonst mit seiner politischen Einstellung nicht hinterm Berg: Als | |
Gäste des alten Paares den angetrunkenen Ökobauern über den Gartenzaun | |
hinweg darauf ansprachen, erklärte er mit stolzgeschwellter Brust, er sei | |
Nationalsozialist. Karsten und Jahn drohte er, sie sollten abhauen, solange | |
es noch ginge, für sie würden noch dunkle Tage kommen. | |
Anfang 2014 bekam Timo L. dauerhafte Verstärkung: Ein Pärchen aus | |
Mecklenburg-Vorpommern zog in den Ort, nur wenige Häuser von dem Nachbarn | |
entfernt. Sie waren schon vorher als Gäste von L. aufgefallen, jetzt | |
wollten sie anscheinend für länger bleiben. Die neu Zugezogenen waren | |
aktive Mitglieder der extrem rechten Szene in Mecklenburg-Vorpommern: Er | |
pflegte gute Kontakte zu den Freien Kameradschaften, sie wurde als | |
Frontbannerträgerin bei rechten Demonstrationen in Demmin und Wittenberge | |
gesehen. „Dass Frauen in der ersten Reihe stehen, ist außergewöhnlich, denn | |
die NPD Mecklenburg-Vorpommern ist eine Männerangelegenheit“, erklärt Olaf | |
Meyer von der Antifa Uelzen/Lüneburg. | |
Auch andere Nachbar_innen störten sich an der politischen Einstellung des | |
Ökobauern und seiner Besucher_innen. Nach dem unliebsamen Neuzugang aus | |
Mecklenburg-Vorpommern im Dorf befürchteten sie, dass weitere Rechtsextreme | |
in die übrigen leerstehenden Häuser einziehen und zur Übermacht im Dorf | |
werden könnten. Hier wohnen nur rund 80 Leute, einige Wochenendhäuser | |
verteilen sich zwischen den drei Straßen des Ortes, sonst gibt es nur | |
matschige Äcker bis zum Horizont. | |
## Protest der Dörfer | |
Laut der Amadeu Antonio Stiftung gibt es in der rechten Szene eine Tendenz | |
dazu, auf’s Land zu ziehen, um dort ungestörter das Ideal der „deutschen | |
Volksgemeinschaft“ zu verwirklichen. „Sie etablieren sich als achtsame | |
Ökobauern, geschickte Kunsthandwerker/innen und hilfsbereite Neuzugänge der | |
Dorfgemeinschaft, um dann politische Überzeugungsarbeit zu leisten“, heißt | |
es in einer Broschüre über die völkischen Siedler_innen. Das Phänomen ist | |
bundesweit verbreitet, in Jamel, einem Dorf im Nordwesten Mecklenburgs, | |
sind die Rechtsextremen bereits in der Überzahl. | |
Einige Anwohner_innen in Wibbese organisierten Anfang 2014 gemeinsam mit | |
dem Bündnis gegen rechts im Wendland eine öffentliche | |
Diskussionsveranstaltung zu dem Problem. An dem Abend waren nicht nur | |
Interessierte aus den umliegenden Dörfern gekommen, auch der örtliche | |
Diakon, ein Vertreter der Polizei und der Ortsvorsteher von Wibbese, Günter | |
Grunzke, waren anwesend. „Ihr wohnt doch da gar nicht, ihr wisst doch gar | |
nicht, was bei uns abgeht“, habe er den vielen Auswärtigen, die damals zur | |
Diskussion kamen, entgegengehalten. | |
Andere meinten, man solle gute Nachbarschaft halten, die politische | |
Einstellung von Timo L. sei seine Privatsache. Es ging hoch her, die | |
Stimmen wurden laut und nach Ende der Veranstaltung grüßten sich so einige | |
Dorfbewohner_innen nicht mehr. Die Debatte über die rechtsextremen Nachbarn | |
hat das Dorf gespalten. | |
Es sei etwas zu Bruch gegangen, sagt Jochen Neumann vom Bündnis gegen | |
rechts. Das Dorf habe sich in vier Fraktionen aufgeteilt: die | |
Widerständigen, die Verharmloser, die Ignorant_innen und die | |
Sympathisant_innen der Rechten. Sie lassen sich nicht davon abhalten, mit | |
dem rechten Ökobauern Sonntags am Kaffeetisch zu sitzen oder ein Bier zu | |
trinken. „Dumme Kuh, riefen mir manche Nachbarinnen nach“, berichtet | |
Karsten mit einem bitteren Zug um den Mund. „Frau Karsten und Herr Jahn | |
sind doch nur Zugezogene, die das Dorf aufbringen wollten und die Sache | |
hochgeschaukelt haben“, so Grunzke. Er wolle Ruhe im Dorf haben und weiter | |
nichts. | |
## Braune Punkte | |
Seine Nachbar_innen trauten dieser Form von Ruhe nicht und organisierten | |
weitere Aktionen: Bei der Kulturellen Landpartie, einer Kunst- und | |
Handwerksausstellung, die sich vor über zwanzig Jahren aus dem | |
Atommüllwiderstand entwickelte, wurden Plakate mit der Aufschrift „Schöner | |
leben ohne Nazis“ an rund hundert Veranstaltungsorte verteilt, die die | |
jährlichen 40.000 Besucher_innen auf die Problematik aufmerksam machen | |
sollten. | |
Neben dieser Aktion informierte das Bündnis aber auch die Arbeitgeber_innen | |
der mecklenburgischen Nachbarin über ihre politische Einstellung, und nach | |
internen Diskussionen musste sie ihre Anstellung in einem regionalen | |
Gesundheitszentrum aufgeben. Sie nahm danach einen Job in einem Reiterhof | |
in der Nähe von Wibbese an, doch auch hier wurde ihr gekündigt, nachdem | |
ihre rechtsextremen Aktivitäten bekannt wurden. Wenig später zog sie mit | |
ihrem Mann wieder aus Wibbese weg. | |
Doch damit sind die Probleme längst nicht gelöst. „In den Landkreisen | |
Uelzen und Harburg wohnen ganze Familienverbände völkischer Siedler“, sagt | |
Meyer. Diese seien alteingesessen, gut untereinander vernetzt und träfen | |
sich regelmäßig. Einer der völkischen Siedler sei als Lehrer in einer | |
Schule in Clenze, knapp fünfzehn Kilometer entfernt von Wibbese, | |
beschäftigt. | |
## Kein Grund einzugreifen? | |
Während das Bündnis gegen rechts und die Nachbar_innen des Ökonazis auf | |
ideelle und finanzielle Unterstützung für ihre Situation hoffen, findet der | |
Landrat des Landkreises Lüchow-Dannenberg, Jürgen Schulz, es „sehr schwer | |
einzuschätzen, was eigentlich in Wibbese geschieht“. Seiner Ansicht nach | |
gibt es nicht genug Beweise, die die Problematik der Situation bestätigen | |
und ein Eingreifen rechtfertigen. | |
Bis zur Kulturellen Landpartie wollen Barbara Karsten und Knut Jahn einen | |
Schuppen auf ihrem Grundstück zu einem Infopunkt ausbauen, der unter dem | |
Motto „Kunst und Kultur für Demokratie“ über die Situation in Wibbese | |
informieren soll. Sie planen außerdem, einen „Atlas der braunen Punkte im | |
Wendland“ zu erstellen. Timo L. habe gehöhnt, dass das alte Paar es nicht | |
mehr lange machen werde, und gedroht, dann ihr Haus zu übernehmen, erzählt | |
Jahn. „Aber das wird er niemals schaffen, eher machen wir hier ein | |
Flüchtlingsheim draus“, sagt er. | |
13 May 2015 | |
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## AUTOREN | |
Zoé Sona | |
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