# taz.de -- Jamel in Mecklenburg-Vorpommern: Ein nationalsozialistisches Muster… | |
> In der Nacht auf Donnerstag ist die Scheune der Lohmeyers abgebrannt – | |
> der letzten Familie, die in dem braunen Ort gegen Nazis kämpft. | |
Bild: Die Scheune der Lohmeyers | |
HAMBURG taz | Für die Angreifer war der Anschlag ein Erfolg: In der Nacht | |
zum Donnerstag brannte die Scheune des alten Forsthauses in Jamel | |
vollständig nieder. Sie gehört Birgit und Horst Lohmeyer, einem | |
Künstlerehepaar, das seit Jahren in der kleinen mecklenburg-vorpommernschen | |
Gemeinde gegen Rechtsextremismus kämpft. Sie sind die Letzten, die dort | |
diesen Kampf wagen. | |
„Wir hatten Glück“, sagt Birgit Lohmeyer der taz. Wäre der Wind stärker | |
gewesen, hätten Funken das knapp sechs Meter entfernte Wohnhaus erreicht. | |
Birgit Lohmeyer ist sicher: „Der Brand hat einen rechtsextremen | |
Hintergrund.“ Ein Urlaubsgast der Lohmeyers will kurz vor dem Feuer eine | |
unbekannte Person auf dem Anwesen bemerkt haben. Auch die Polizei glaubt an | |
Brandstiftung, der Staatsschutz ermittelt. Denn es ist nicht der erste | |
Angriff auf die Lohmeyers. Sie wurden angepöbelt, bedroht, verfolgt. „Der | |
Brand“, sagt Birgit Lohmeyer, „ist aber etwas Neues. Dieses Mal ging es um | |
Leib und Leben.“ | |
Jamel liegt zwischen Wismar und Grevesmühlen und wird von Rechtsextremen um | |
den ehemaligen NPD-Kader Sven Krüger dominiert. In der Ortsmitte stand bis | |
2011 ein Finkelstein mit der Aufschrift „Dorfgemeinschaft Jamel – frei – | |
sozial – national“, ein Wegweiser schilderte den Weg nach Braunau aus, der | |
Geburtsstadt Hitlers. Fast alle Häuser reihen sich entlang einer einzigen | |
Straße, am Ende das der Lohmeyers. Es steht auf einem 7.500 Quadratmeter | |
großen Parkgrundstück mit alten Bäumen und Obstwiesen. | |
Schon bei der Anfahrt über die schmale Dorfstraße konnte die Feuerwehr die | |
Flammen sehen, die von der Fachwerkscheune aufstiegen. Das Wohnhaus kühlte | |
sie mit Wasser ab, Fenster zerbrachen. „Die ganze Nacht waren wir wach. Zum | |
Nachdenken sind wir noch nicht gekommen“, sagt Birgit Lohmeyer mit fester | |
Stimme. Sie wirkt gefasst. „Der Schock kommt wohl später.“ | |
## Rechtsextreme in sieben von zehn Häusern | |
2004 zog das Ehepaar – sie Autorin, er Musiker – nach Jamel. Sie wussten, | |
worauf sie sich einließen, dass von den zehn Häusern im Ort sieben von | |
Rechtsextremen bewohnt waren. | |
Seit 2007 richten sie jedes Jahr ein Open-Air-Festival aus: „Rock den | |
Förster“. 2010 drangen Rechtsextreme auf das Gelände, verletzten einen | |
Besucher. „Wir haben hier das Glück, sozusagen, dieses | |
nationalsozialistische Musterdorf vor der Haustür zu haben, was wir den | |
Menschen zeigen können und sagen können: Da geht es hin, wenn wir nicht | |
aufpassen.“ | |
Der Weg zum „nationalsozialistischen Musterdorf“ begann vor rund 25 Jahren. | |
Ostern 1992 feierten über 120 Rechte im Haus von Sven Krüger Hitlers | |
Geburtstag. „Heute räuchern wir euch aus“, drohten sie Nachbarn. Deren | |
Hühner wurden auf dem Gartenzaun aufgespießt. Der damalige Bürgermeister | |
der Gemeinde Gägelow, Fritz Kalf (SPD), musste sein Haus mit zwei Bekannten | |
und einer Schrotflinte schützen, als die Rechtsextremen es angriffen und | |
Fenster, Türen und ein Auto zerstörten. Die Familie zog weg. | |
1996 brannte ein Haus, 2003 ein anderes. Vor Ort soll Krüger, der auch | |
wegen schwerer Körperverletzung verurteilt wurde, mehrere Häuser für | |
Kameraden gekauft haben. In Jamel startete er seine Karriere als | |
Abrissunternehmer. Das Logo seiner Firma ziert der Spruch: „Jungs fürs | |
Grobe“. Ein Mann mit einem Hammer zerschlägt etwas, das einem Davidstern | |
gleicht. In Grevesmühlen kaufte er ein weiteres Gebäude für rechtsextreme | |
Gruppen. Die NPD hat dort ein Bürgerbüro. | |
## Ausgezeichnet für Zivilcourage | |
2011 verurteilte das Landgericht Schwerin Krüger wegen gewerbsmäßiger | |
Hehlerei und illegalem Waffenbesitz zu vier Jahren und drei Monaten Haft. | |
Vor der Verurteilung gab er sein Amt im NPD-Landesvorstand und sein Mandat | |
im Kreistag Nordwestmecklenburg ab. Die Szene blieb ihm treu. 2012 erschien | |
eine Soli-CD für ihn und seine Familie: „Jamel scheißt auf den Förster“. | |
Die Lohmeyers haben viele Preise erhalten. Jedes Mal folgten Drohungen. Vor | |
Kurzem wurde bekannt, dass sie wieder ausgezeichnet werden sollen, mit dem | |
mit 10.000 Euro dotierten Georg-Leber-Preis für Zivilcourage. Horst | |
Lohmeyer glaubt, dass das der Grund für den neuen Brand ist. Beim nächsten | |
„Rock den Förster“ am 28. und 29. August soll der Preis übergeben werden. | |
Die Lohmeyers freuen sich darauf. | |
13 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Brandanschlag | |
Nazis | |
Jamel | |
Mecklenburg-Vorpommern | |
Schwerpunkt Neonazis | |
Jamel | |
Rechtsrock | |
Jamel | |
Rechtsextremismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Jamel | |
Rechtsextremismus | |
NPD | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Festival „Jamel rockt den Förster“: 48 Stunden Gegenwind | |
Jamel wurde von Rechtsextremen unterwandert. Seit 15 Jahren wollen | |
Künstler:innen ihnen mit einem jährlichen Festival etwas entgegensetzen. | |
Mit Erfolg? | |
Nazi-Dorf Jamel: Anti-Rechts-Konzert in Gefahr | |
Ein Ehepaar macht sich seit Jahren stark gegen Rechts – auch mit dem | |
Festival im Sommer. Jetzt wurde die Wiese dafür verpachtet – an Rechte. | |
Stadt macht Rechten Platz: Fragwürdige Veranstalter | |
In Grevesmühlen steigt am Wochenende ein Open Air auf kommunalem Grund. Die | |
Veranstalter fallen bisher vor allem durch rechte Gesinnung auf. | |
Anti-Rechts-Aktivisten in Jamel: Unsensible Ermittlungen | |
Nach dem Brandanschlag überprüft die Polizei das Umfeld des Ehepaars | |
Lohmeyer. Die Befragungen bringen das Paar in Misskredit. | |
Anti-Rechts Festival in Jamel: Die Toten Hosen und ein Preis | |
Seit 2007 setzt ein Künstlerpaar in Jamel mit einem Festival ein Zeichen | |
für Toleranz. Dafür wurde das Paar jetzt ausgezeichnet. Und die Toten Hosen | |
traten auf. | |
Essay Rechtsextremismus in Deutschland: Der Terror ist schon da | |
Es hagelt Ausschreitungen mit Ansage: Die rechte Szene setzt wieder auf | |
eine Politik der Gewalt. Die ist weder neu noch war sie unvorhersehbar. | |
Rechtsextremistischer Übergriff in Berlin: Auf Kinder in S-Bahn uriniert | |
Zwei Männer haben in einer Berliner S-Bahn rassistische Parolen gegrölt. | |
Dann pinkelte einer von ihnen auf zwei Kinder. Augenzeugen riefen die | |
Polizei. | |
Nach Anschlag in Jamel: Brandbeschleuniger gefunden | |
Stecken Rechtsextreme hinter dem Feuer auf dem Hof der Lohmeyers? Noch sind | |
die Hintergründe unklar, es gibt aber erste Spuren. | |
Rechtsextremismus in Deutschland: Zschäpe war gestern | |
Während der NSU-Komplex genau untersucht wird, sind Nazis etabliert wie | |
nie. Sie fallen wenig auf, übernehmen zunehmend öffentliche Ämter. | |
Ökonazis im Wendland: Jung, naturverbunden, rechts | |
Viele Neonazis verwirklichen ihre Aussteigerfantasien im Wendland und | |
engagieren sich für Naturschutz. Einige Nachbarn stört das, aber längst | |
nicht alle. | |
Neonazi-Netzwerk um „Hammerskins“: Hetzjagd auf der Bühne | |
Ein interner Bericht des Bundeskriminalamts durchleuchtet die im Geheimen | |
operierenden „Hammerskins“. Und ihre guten Kontakte zur NPD. | |
Neonazi-Wahlkampf: Der nette Herr Pastörs von der NPD | |
Als NPD-Hochburg im Norden galt immer Ostvorpommern. Aber auch zwischen | |
Hamburg und Schwerin haben die Rechtsradikalen sich etabliert - und treten | |
öffentlich wie eine bürgerliche Partei auf. | |
Tour gegen Rechtsextremismus: Wolfgang im Naziland | |
Bundestagsvize Wolfgang Thierse besucht rechtsextreme Hochburgen in | |
Mecklenburg-Vorpommern. Er will den Gegnern der Neonazis Mut machen. Ein | |
Ortstermin. |