| # taz.de -- Nationalsozialismus und Naturschutz: Braune Wurzeln | |
| > NS-Naturschützer begrünten die Autobahn, tarnten den Westwall, pflanzten | |
| > Bäume in Auschwitz. Sie schrieben auch an der „Grünen Charta“ mit. | |
| Bild: Die Reste eines Krematoriums von Auschwitz. Wer pflanze die Bäume, die i… | |
| Wie Grün soll Auschwitz sein? Welche Bäume eignen sich für die „Grüne | |
| Grenze“ zwischen Lager und Stadt? Und wie könnte die Bepflanzung rund um | |
| die Krematorien aussehen? Fragen, auf die 1942 Werner Bauch Antworten | |
| suchte. Für die Abteilung Landwirtschaft plante der Gartengestalter die | |
| Begrünung des größten deutschen Vernichtungslagers. Bauchs Pläne gefielen | |
| der Lagerleitung. Heinrich Himmler leitete nach einem Besuch von Auschwitz | |
| bereits im März 1941 die grüne Gestaltung des Lagers ein. Im Oktober 1942 | |
| verlangte Lagerkommandant Rudolf Höß: „Es sollte ein natürlicher Abschluss | |
| zum Lager hin erreicht werden.“ | |
| Werner Bauch ist nicht der einzige sogenannte „Landschaftsanwalt“, der sich | |
| im Nationalsozialismus verdient machte. „Aus dem Berufsfeld der | |
| Landschaftsplanung und des Naturschutzes wirkten viele Männer im | |
| Nationalsozialismus mit“, sagt Nils Franke. Der Historiker hat im Auftrag | |
| des rheinland-pfälzischen Umweltministeriums eine [1][Studie zur Rolle des | |
| Naturschutzes im Nationalsozialismus] erstellt und im Mai dieses Jahres | |
| vorgelegt. | |
| Er kommt zu einem klaren Urteil: „Die personellen Verstrickungen und | |
| ideologischen Verbindungen sind eine Erblast für den heutigen Naturschutz“, | |
| sagt Franke. Viele Naturschützer hätten ihre Karriere im | |
| Nationalsozialismus begonnen und dann nach dem Krieg fortgesetzt. Doch bis | |
| heute werde dieses Erbe kaum angenommen, sagt der Historiker, der seit | |
| Jahren zu der Thematik forscht und gerade an der Universität Leipzig seine | |
| Habilitation abschließt. | |
| Kritik kommt nicht nur von außerhalb: Auch innerhalb der Organisationen des | |
| Naturschutzes werde bis heute gestritten, wie mit der Verantwortung | |
| umgegangen werden müsse, sagt Eva-Maria Altena vom Bund für Umwelt und | |
| Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Rheinland-Pfalz. Bei | |
| Veranstaltungen würden Teilnehmer auch mal den Raum verlassen, wenn sie den | |
| Komplex Nationalsozialismus und Naturschutz aufgreife, sagt Altena, die | |
| auch das Projektbüro „Grüner Wall im Westen“ leitet. | |
| ## Grünen Träume für Auschwitz | |
| Das Gedankengut der Naturschützer und die nationalsozialistische Ideologie | |
| waren leicht vereinbar. Bauch, der Landschaftsplaner von Auschwitz, schrieb | |
| 1942 in der Zeitschrift Gartenkunst: „Jede echte Kultur wurzelt in der | |
| Kraft und dem geistigen Gefüge ihrer Landschaft.“ Völker aus der Steppe und | |
| der Wüste könnten keine tiefen Gedanken entwickeln, so Braun. Ihnen fehle | |
| die Verwurzelung im „Urgrund“. In der Ideologie von „Blut und Boden“ wi… | |
| der Naturschutz so zum Heimat- und Volksschutz gemacht. | |
| Der Blick auf den Naturschutz zeigt, dass Auschwitz von Beginn an nicht nur | |
| Ort der Vernichtung sein sollte, sondern Experimentierfeld für die | |
| nationalsozialistische Ideologie. Auschwitz, träumte Lagerleiter Höß, | |
| sollte die „landwirtschaftliche Versuchsstation für den Osten“ werden. Dort | |
| habe man Möglichkeiten, wie man sie in Deutschland bisher nicht gehabt | |
| habe. Das große Gebiet rund um das Lager Auschwitz-Birkenau und der Zugriff | |
| auf ein nicht endendes Reservoir an Arbeitskräften ließen Höß träumen. | |
| Zwei Männer sollten diese grünen Träume für Auschwitz umsetzen. Neben | |
| Werner Bauch half auch Heinrich Wiepking-Jürgensmann, als | |
| „Sonderbeauftragter des Reichsführers SS für Fragen der | |
| Landschaftsgestaltung in den eingegliederten Ostgebieten“. | |
| Wiepking-Jürgensmann prägte damals die universitäre Ausbildung der | |
| Landschaftsplaner, er vergab sogar eine Diplomarbeit mit dem Titel | |
| „Grünplanung und die Gestaltung der Stadt und des Raumes Auschwitz“. Beide | |
| Männer stehen für die Kontinuität des braunen Naturschutzes nach dem Krieg, | |
| und zwar in beiden deutschen Staaten. So wurde Heinrich | |
| Wiepking-Jürgensmann Professor für Gartenbau und Landeskultur der | |
| Technischen Hochschule Hannover. Werner Bauch prägte in der DDR den | |
| Naturschutz mit. | |
| ## Die Tarnung des Westwalls | |
| Mit ihrem Anteil am Projekt „Auschwitz“, in dem die SS über eine Million | |
| Menschen industriell ermordete, waren die Landschaftsplaner offensichtlich | |
| zufrieden. In einem Brief von 31. August 1942 schrieb Bauch: „In Auschwitz, | |
| wo nach der bevorstehenden Genehmigung unserer endgültigen | |
| Landschaftsplanung diese Dinge erst voll anlaufen werden, wird sich vieles | |
| in der gewünschten Richtung verwirklichen lassen.“ | |
| Der Brief von Bauch aus Auschwitz ging an Alwin Seifert, den | |
| „Reichslandschaftsanwalt“ des NS-Regimes – also eine der führenden Perso… | |
| des nationalsozialistischen Naturschutzes. Seifert gilt als einer der | |
| ersten Vertreter der Ökologiebewegung in Deutschland und als Vorreiter des | |
| biologischen Landbaus. In den fünfziger Jahren wurde er Vorsitzender des | |
| Bund Naturschutz in Bayern, 1961 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Auch | |
| Seifert steht für die Kontinuität des NS-Naturschutzes in der | |
| Bundesrepublik. Und seine Biografie zeigt, dass die Verbindung zwischen | |
| Nationalsozialismus und Naturschutz nicht erst in Auschwitz begann, sondern | |
| bereits Anfang der 30er Jahre, bei einem Projekt der Nazis, das vom | |
| Umweltschutz zunächst weit entfernt zu sein scheint: die Autobahnen. | |
| Alwin Seifert meinte, nur die „deutsche Landschaft“ bringe den „deutschen | |
| Menschen“ hervor. Schon früh hatte er von den Plänen für den Autobahnbau | |
| gehört und gefordert, dass sich diese in die Landschaft einpassen müssten. | |
| Seifert überzeugte und wurde 1933 von Fritz Todt zum Beauftragen für | |
| Naturschutz beim Bau der Autobahnen berufen. 1940 folgte die Ernennung zum | |
| „Reichslandschaftsanwalt“. Da die Arbeit für Seifert allein schon bald zu | |
| viel wurde, durfte er eine Reihe weiterer Landschaftsanwälte einstellen. | |
| Einer von ihnen, Gert Kragh, wird 1952 Leiter der Bundesanstalt für | |
| Naturschutz und Landschaftspflege, einer Vorgängerbehörde des Bundesamts | |
| für Naturschutz. | |
| Neben der Begrünung der Autobahnen kümmerten sich die Naturschützer um ein | |
| weiteres riesiges Bauprojekt: die Tarnung des Westwalls. Dieser verlief auf | |
| rund 630 Kilometer im heutigen Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, | |
| Baden-Württemberg und Saarland. Rund 23.000 Bunker, Laufgräben und | |
| Flugabwehrstellungen wurden gebaut. „Der Westwall war das Rückgrat für die | |
| Angriffskriege des NS-Regimes“, sagt Historiker Franke. Sein Gutachten | |
| beschäftigt sich vor allem mit diesem Projekt der Naturschützer. Diese | |
| erhielten ab 1938 den Auftrag, den Westwall zu einer „grünen | |
| Wehrlandschaft“ zu gestalten – und zu tarnen. Aus der Luft sollten die | |
| Anlagen für die alliierten Flugzeuge nicht zu erkennen sein. | |
| ## Einsatz von Zwangsarbeitern | |
| Die Naturschützer wurden kreativ, sie schütteten Hügel auf und | |
| transportierten Mutterboden zur Baustelle, sie pflanzten Bäume, Büsche und | |
| Feldgehölz. Selbst Kübelpflanzen kamen bei der Tarnung zum Einsatz. | |
| Die Arbeiten gingen schnell voran, Reichslandschaftsanwalt Seifert lobte | |
| die Leistungen. Ende 1940 berichtete Wilhelm Hirsch, der Verantwortliche | |
| für das Projekt, an Seifert: „Ich habe nun den größten Teil des Westwalls | |
| bereist und will Ihnen heute mitteilen, wie glücklich sich die Tätigkeit | |
| der Landschaftsanwälte am Westwall ausgewirkt hat.“ | |
| Bis etwa 1942 liefen die Arbeiten der Landschaftsanwälte am Wall. Sie taten | |
| ihre Arbeit nicht allein: Bei der Tarnung des Westwalls seien auch | |
| Zwangsarbeiter zum Einsatz gekommen, nimmt Historiker Franke an. Ein Indiz | |
| ist für ihn ein Schreiben der Großgärtnerei und Samenhandlung J. Lambert & | |
| Söhne aus Trier an den Lagerkommandanten Hermann Pister des SS-Sonderlagers | |
| Hinzert. In dem Schreiben heißt es, dass die Arbeit nicht vorankomme, da | |
| die Zahl der „Zöglinge“ aus dem SS-Lager deutlich abgenommen habe. | |
| Die Naturschützer fügten ihre Arbeit am Westwall in ihr | |
| nationalsozialistisches Weltbild ein. Wilhelm Hirsch, der für den Westwall | |
| verantwortliche Naturschützer, träumte schon von der Zeit nach dem Endsieg. | |
| Im November 1940 schreibt er begeistert: „Der Westwall ist und bleibt für | |
| alle Zeiten geschichtlicher Boden. Er wird zur geschichtlichen Größe | |
| deutschen Schaffens, wenn nach der technisch-militärischen Großtat in | |
| gleicher Größe die kulturelle Tat des Wiederaufbaus der wund gewordenen | |
| Landschaft folgt“. 1951 bis 1953 wird Hirsch Leiter des Bundes Deutscher | |
| Gartenarchitekten, 1954 erfolgt die Ernennung zum Ehrenpräsidenten. | |
| Bei der Bepflanzung des Westwalls orientierten sich Hirsch und Seifert an | |
| den „pflanzensoziologischen Arbeiten“ von Reinhold Tüxen, der ebenso schon | |
| bei den Planungen der Reichsautobahnen mitwirkte. Mit seiner Methode sollte | |
| erkannt werden, welche Pflanzen „ursprünglich“ und „bodenständig“ sei… | |
| Tüxens Theorien waren wichtig für die scheinbare Verwissenschaftlichung der | |
| Blut-und-Boden-Ideologie. „Sein Verhältnis zum Nationalsozialismus ist | |
| bisher ungenügend untersucht“, sagt Historiker Franke. | |
| ## Erinnerung vs. Naturschutz | |
| Heute ist der Westwall ein großes Biotop, Fledermäuse und Wildkatzen haben | |
| sich in den verfallenden Bunkern angesiedelt. In Führungen am Westwall | |
| weist der BUND auf die geschichtliche Bedeutung des Ortes zwar hin. Doch | |
| die Diskussionen um Nationalsozialismus und Naturschutz sind nicht immer | |
| einfach. Ein Teil der Naturschützer möchte lieber Flora und Fauna schützen, | |
| als Erinnerungspolitik zu betreiben. | |
| Doch was ist der richtige Umgang mit der Geschichte eines solchen Ortes? | |
| Für diese Frage ist zentral, ob man im Westwall einen Ort für den | |
| Naturschutz sieht – oder in erster Linie einen historischen Ort, der gerade | |
| nicht natürlich gewachsen ist. Ist es problematisch, nun jene Natur | |
| schützen zu wollen, die von Nazis erst angelegt wurde? | |
| „Die Studie über den Westwall skizziert eine neue Dimension“, sagt | |
| Eva-Maria Altena vom BUND Rheinland-Pfalz. Bei den Bemühungen, den grünen | |
| Wehrwall als neuen Biotopverbund zu entwickeln, müssten Naturschutz und | |
| Denkmalpflege ineinander greifen, sagt sie. Altena glaubt, dass die | |
| Abneigung mancher Naturschützer auch darin begründet ist, dass eigene | |
| kulturelle Identitäten zu hinterfragen wären. Bis heute seien vor allem | |
| ältere Männer im Naturschutz engagiert. Eine „Stigmatisierung“ von frühe… | |
| Akteuren sei da wenig hilfreich. | |
| Die Brisanz der Debatte offenbart auch die „Grüne Charta von der Mainau“. | |
| Bis heute gilt die 1961 formulierte Charta als Gründungsdokument des | |
| bundesdeutschen Natur- und Umweltschutzes. An der Erstellung waren auch | |
| Kragh und Wiepking-Jürgensmann beteiligt, zwei der Landschaftsplaner aus | |
| Auschwitz und vom Westwall. Eine Untersuchung der Universität Mainz zeigte, | |
| dass rund 68 Prozent der an der Charta beteiligten Personen in | |
| unterschiedlicher Weise im NS-Regime organisiert waren. Bis heute würden | |
| diese Verstrickungen nicht klar benannt, sondern „kollektiv beschwiegen“. | |
| Diese Aussagen verstimmten den Deutschen Rat für Landespflege. Aus den | |
| Mitgliedschaften ließen sich keinen Überzeugungen des besagten | |
| Personenkreises ableiten, erklärte der Rat. Von einem „gemeinsamen | |
| Überzeugungsvorrat“ könne nicht ausgegangen werden. | |
| Historiker Franke fordert eine neue Auseinandersetzung. Er sieht die Arbeit | |
| der Landschaftsanwälte am Westwall als Sprungbrett für die Zusammenarbeit | |
| mit der Wehrmacht, der SS und der NSDAP. „Das Know-how, das die | |
| Landschaftsanwälte bei dem Bau der Reichsautobahn und des Westwalls | |
| sammelten, wurde angewendet – bis zum Zentrum des Holocaust: Auschwitz.“ | |
| 12 Jun 2015 | |
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| Andreas Speit | |
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