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# taz.de -- Filmpremiere „Manuscripts Don’t Burn“: Eine zornige Replik
> Mohammad Rasoulof hat seinen Politthriller „Manuscripts Don’t Burn“ unt…
> Beobachtung der iranischen Behörden gedreht.
Bild: Einer der Protagonisten des Films, sein Name bleibt wie die der anderen S…
Ein Bild wie aus einem Actionfilm: Ein vollbesetzter Bus hängt über einem
Abhang. Die Insassen drängen in den hinteren Teil des Fahrzeugs, damit es
nicht über die Klippe rutscht. Der Fahrer, der den Bus absichtlich in diese
Lage manövrierte, hat das Weite gesucht.
Die Leben der 21 Männer und Frauen – es sind iranische Intellektuelle auf
dem Weg zu einer Konferenz – hängen an einem seidenen Faden. Die Szene
steht im Mittelpunkt von Mohammad Rasoulofs fünftem Spielfilm „Manuscripts
Don’t Burn“, sie existiert aber nur in den Erzählungen von drei Männern,
deren Leben eng mit diesem Zwischenfall verbunden sind.
Der Schriftsteller Kasra gehört zu den iranischen Dissidenten, die das
Attentat überlebten. Khosrow ist ein Handlanger der Regierung, der mit
seinem tumben Partner Morteza für einen Auftrag, der lange Zeit unklar
bleibt, die Teheraner Vororte abfährt. Die beiden Männer berichten einem
ehemaligen Geheimdienstler, der inzwischen Chefredakteur der größten
staatlichen Zeitung ist.
Er und Kasra haben ebenfalls eine gemeinsame Vergangenheit. Sie teilten
sich eine Gefängniszelle, bevor der Dissident die Seite wechselte. Nun jagt
er im Auftrag des Regimes die intellektuelle Elite des Landes. Er ist
hinter Kasras Memoiren her, in denen auch die wahren Hintergründe des
Busunglücks erwähnt sind.
„Manuscripts Don’t Burn“ ist nach „Auf Wiedersehen“ bereits der zweite
Spielfilm, den Mohammad Rasoulof unter Beobachtung der iranischen Behörden
gedreht hat. 2010 wurde der iranische Regisseur zusammen mit seinem Freund
und Kollegen Jafar Panahi während der Dreharbeiten an einem Dokumentarfilm
über die Proteste gegen die Wiederwahl von Mahmud Ahmadinedschad verhaftet.
Seitdem ist er staatlichen Repressalien ausgesetzt.
## Ein kleines Wunder
Dass „Auf Wiedersehen“ und „Manuscripts Don’t Burn“, der vor zwei Jah…
Cannes aufgeführt wurde, dennoch existieren, ist so gesehen schon ein
kleines Wunder. Denn expliziter als in seinem neuen Film kann man
Regimekritik kaum üben. „Manuscripts Don’t Burn“ ist keine Parabel wie
Panahis Kammerspiel „Pardé“ und auch kein Diskursstück wie „Taxi Tehera…
Rasoulof hat als Reaktion auf die politischen Repressalien eine zornige
kleine Replik in Form eines Thrillers geliefert. Um die Darsteller und
Mitwirkenden zu schützen, fehlen ihre Namen in den Credits.
Rasoulofs Hauptfiguren sind iranische Intellektuelle (Männer ausnahmslos),
die jeder auf ihre Weise dem Regime Paroli bieten. Kasra hat mit dem Leben
längst abgeschlossen. Seine letzte Aufgabe besteht darin, seine Memoiren
und damit die Hintermänner des Attentats an die Öffentlichkeit zu bringen.
Der an den Rollstuhl gefesselte Schriftsteller Forouzandeh kämpft dafür,
sein neuestes Werk an den Zensurbehörden vorbei zu publizieren – in
Buchform, nicht im Internet, wie er trotzig meint. Sein Freund Kian hat
sich dagegen ins innere Exil zurückgezogen. Er steht dem Regime kritisch
gegenüber, arrangiert sich aber mit den Realitäten.
Bei einer Flasche Wodka versichern sie sich ihrer gegensätzlichen
Weltanschauungen. Auch Forouzandeh befand sich an Bord des Busses, und als
Augenzeuge steht er nun auf der Hitliste von Khosrow und Morteza an
oberster Stelle.
## Paranoide Atmosphäre des Films
„Manuscripts Don’t Burn“ ist zutiefst pessimistisch. Dass er großenteils…
geschlossenen Räumen spielt beziehungsweise spielen muss, verstärkt noch
die paranoide Atmosphäre. Stellenweise merkt man der Inszenierung an, dass
Rasoulofs Bewegungsfreiheit während der Dreharbeiten stark eingeschränkt
war: Dramaturgisch läuft sein Film nicht immer rund, einige Dialoge wirken
eher wie Sprechakte.
Es sind vor allem die Szenen mit Khosrow und Morteza auf ihren endlosen
Fahrten durch die verschneiten Randgebiete Teherans (nicht unähnlich
Panahis Taxifahrten in „Taxi Teheran“), die dem Film eine genregemäße
Dynamik verleihen.
Während die Gespräche der Dissidenten noch eine verständliche Programmatik
haben, verleihen die wortkargen Dialoge der Killer, gewissermaßen die
Exekutivebene des Regimes, „Manuscripts Don’t Burn“ auch innerhalb der
Konventionen des Thrillers eine schöne Plausibilität. Ideologische Fragen
beschäftigen die Männer nicht. Khosrow sorgt sich um seinen kranken Sohn,
dessen Behandlung er mit diesem Auftragsjob bezahlen will. Morteza beruhigt
das Gewissen seines Partners mit dem Hinweis auf die Scharia.
Ihre professionelle Lakonie steht in der Tradition des Film Noir, passt
aber auch zur tödlichen Logik eines totalitären Staats. Dass Rasoulof, der
die vergangenen Jahre zwischen Hamburg und Teheran pendelte, unter diesen
Bedingungen einen solchen Film gedreht hat, muss man als Akt der
Zivilcourage verstehen.
13 Aug 2015
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Politthriller
Western
Kino
Rechtsextremismus
Kino
Feminismus
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