# taz.de -- „Slow West“ von John Maclean: Die Sitten sind roh | |
> Es ist ein souveränes Spiel mit der klassischen Form: „Slow West“ von | |
> John Maclean erzählt die Geschichte eines Neuankömmlings. | |
Bild: Beide haben eine weite Reise und mehrere Begegnungen hinter sich. | |
Zeit ist im Western ein dehnbares Konzept. Die Dauer einer Reise zu Pferd | |
bemisst sich in Tagen und Wochen, über Leben und Tod wird hingegen in | |
Bruchteilen von Sekunden entschieden. Die Weite der open range machte den | |
amerikanischen Westen zu einem echten Zeitfresser. | |
Auch darum war das Cinemascope-Format unter den Regisseuren des klassischen | |
Western der Goldstandard. Es erfüllte als räumliche und zeitliche | |
Größeneinheit eine doppelte Funktion: Das horizontale Format entsprach der | |
Blicklogik des Westerner, die Ausdehnung vermittelte eine Ahnung von dem | |
beschwerlichen Ritt, der vor den Reisenden (beziehungsweise hinter ihnen) | |
lag. | |
John Macleans Regiedebüt „Slow West“ bricht mit der Erwartungshaltung an | |
das Genre. Das fängt schon beim ungewöhnlichen Breitbild-Format 1:1.66 an, | |
das die Aufmerksamkeit von den Rändern der Einstellung zurück in das | |
Bildzentrum lenkt. Kelly Reichardt wählte für ihren Western „Meet’s Cutof… | |
vor einigen Jahren dieses Bildformat, um das eingeschränkte Zeitgefühl der | |
Siedler zu simulieren. Dem Menschen fehlte der Überblick, er lebte im | |
gemächlichen Tempo seines Pferdes von Tag zu Tag. Erst die | |
Western-Erzählung setzte ihn in eine historische Perspektive. | |
Diese Erzählung ist in „Slow West“ straff gehalten, Macleans Film dauert | |
nur 84 Minuten und gönnt sich trotzdem kleine Abschweifungen. Der junge Jay | |
Cavendish (Kodi Smit-McPhee) führt eine Vorgeschichte mit sich, die in | |
kurzen Rückblenden allmählich ein vollständiges Bild ergibt. Der junge | |
Schotte aus adligem Elternhaus ist nach Amerika gekommen, um seine | |
Angebetete Rose (Caren Pistorius), ein Bauernmädchen, zu finden, die mit | |
ihrem Vater in die Neue Welt musste. Im Handgepäck hat er einen Reiseführer | |
mit dem Titel „Ho for the West“, der ihn aber nicht hinreichend auf die | |
Gefahren in dem fremden Land vorbereitet hat. Gleich sein erster | |
menschlicher Kontakt endet mit zwei toten Soldaten und einem entflohenen | |
„Wilden“. | |
Der Kopfgeldjäger Silas (Michael Fassbender) dagegen ist ein | |
Western-Archetyp, in dem Neuankömmling erkennt der Gesetzlose eine leichte | |
Beute. Für 100 Dollar verspricht er, Jay sicher zu Rose zu bringen. Was | |
dieser nicht ahnt: Auf Rose und ihren Vater ist ein Kopfgeld ausgesetzt, | |
das nicht nur Silas, sondern auch dessen ehemalige Posse um dem | |
flamboyanten Biberpelzträger Payne (Ben Mendelsohn) anlockt. | |
## Zufällige Begegnungen | |
Im Grunde besteht „Slow West“ aus nicht mehr als ein paar zufälligen | |
Begegnungen, die die innere Verfassung einer sich gerade im Werden | |
befindenden neuen Gesellschaft erschließen. Bezeichnenderweise haben Jays | |
Bekanntschaften, wie er selbst, alle eine weite Reise hinter sich. | |
In einer fast beiläufigen Szene spielt eine Gruppe Afrikaner ein Lied aus | |
der Heimat. In einem Kolonialwarenladen kommt es zu einem markanten | |
Shoot-out zwischen dem Ladenbesitzer und einem verzweifelten Schweden und | |
dessen Frau. Und ein deutscher Anthropologe mit Namen Werner (sein schwerer | |
deutscher Akzent verrät ihn als entfernten Ahnen Werner Herzogs) bietet Jay | |
zunächst seine Gastfreundschaft an, um ihn nachts buchstäblich in seinem | |
Pyjama zurückzulassen. | |
Die Sitten sind roh im langsamen Westen, der sich seiner eigenen | |
Historizität noch nicht bewusst ist. Maclean imitiert die klassische Form | |
auf souveräne Weise, bricht diese aber immer wieder in komischen und | |
malerisch blutigen Vignetten auf. „Slow West“ liefert seinen eigenen | |
Metatext sozusagen gleich mit. | |
Am Ende erzählt der Film seine Geschichte noch einmal vom Showdown bis zum | |
Anfang zurück und drapiert dabei in grotesken Stillleben die Toten. Der | |
Preis der Freiheit. Aber die Zeit ist absolut, sie lässt sich nicht | |
zurückdrehen. Der Lauf der Geschichte hat gerade erst begonnen. „In a short | |
time“, sagt der Anthropologe zu Jay, „this will be a long time ago.“ | |
30 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Busche | |
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