# taz.de -- Kinostart von „The Counselor“: Auf der Windschutzscheibe befrie… | |
> Geschmackvoller Umgang mit Geschmacklosem: Ridley Scotts „The Counselor“ | |
> ist bizarr, badet im Luxus der Halbwelt und könnte zum Kultfilm taugen. | |
Bild: Selbsbefriedigt: Cameron Diaz als Malkina auf der von ihr geliebten Winds… | |
Drogenbosse halten Monologe wie in einem Shakespeare-Drama, Köpfe werden | |
bevorzugt mit Drähten abgetrennt und Cameron Diaz befriedigt sich auf der | |
Windschutzscheibe eines Ferraris wie ein „Putzerfisch am Aquariumglas“ | |
(Filmzitat) – „The Counselor“ ist für ein Hollywood-Renommierprodukt so | |
bizarr, dass er vielleicht eines Tages als Kultfilm durchgehen könnte. | |
Momentan lässt sich nach dem Kinogang nur etwas benommen feststellen, dass | |
so viele große Namen vor und hinter der Kamera selten so wenig harmoniert | |
haben. | |
Um einen Vergleich aus dem Sport zu bemühen: Ein wenig wirkt es, als habe | |
ein reicher Investor ein Fußballteam aus lauter Stars zusammengekauft, die | |
der Trainer aber nicht zu einer Mannschaft formen kann. | |
Diese Funktion sollte eigentlich Ridley Scott ausfüllen, der hier das erste | |
Originaldrehbuch des Schriftstellers Cormac McCarthy verfilmt – auch „The | |
Road“, „No Country for Old Men“ und „All the Pretty Horses“ waren | |
Fremdadaptionen seiner Romane. Vor der Kamera wurde nicht gegeizt: Neben | |
Diaz spielen unter anderem Penelope Cruz, Javier Bardem, Brad Pitt und | |
Michael Fassbender mit. Selbst kleinste Rollen sind mit bekannten | |
Gesichtern besetzt. | |
## Ein verhängnisvoller Deal | |
Fassbender spielt einen Bentley-fahrenden Anwalt aus der texanischen | |
Grenzstadt El Paso, die in Sichtweite zur mexikanischen | |
Verbrechensmetropole Juárez liegt. Über einen seiner Klienten, den | |
halbseidenen Nachtclubbesitzer Reiner (Bardem), bekommt der Advokat die | |
Möglichkeit, bei einem Drogenschmuggel 20 Millionen Dollar zu verdienen. | |
Vor den Konsequenzen, die es haben kann, wenn man sich mit den | |
mexikanischen Kartellen einlässt, wird der Counselor ausgiebig gewarnt. | |
Aber natürlich siegt die Gier nach dem Geld – und natürlich geht beim Deal | |
etwas schief. Ausgerechnet die einzig gute Tat, die der Anwalt in der | |
Ausübung seines Berufs tut, wird ihm am Ende zum Verhängnis. Wer mit wem | |
welche Intrigen spinnt, um an das Geld und die Drogen zu kommen, ist auch | |
bei konzentriertem Sehen nur schwer nachzuvollziehen. So elliptisch die | |
Geschichte in entscheidenden Momenten ist, so sehr scheint es, als versuche | |
Scott diese Lücken mit umso expliziteren Gewaltdarstellungen wettzumachen. | |
Wenn am Anfang des Films die Funktionsweise eines „Bolitos“ erklärt wird, | |
kann man sich sicher sein, dass am Ende auch genau gezeigt wird, wie dieser | |
teuflische kleine Apparat einer der Figuren langsam den Kopf abtrennt. | |
Ähnlich extrem sind die Gegensätze zwischen den beiden Paaren im Zentrum | |
der Geschichte: Während der Anwalt und seine Freundin Laura (Cruz) farblos | |
bleiben, werden Reiner und seine Lebensgefährtin Malkina geradezu neongrell | |
gezeichnet. Passenderweise bleibt Fassbender im Film namenlos. Er wird nur | |
mit „Counselor“ angesprochen, obwohl er – die Ironie dürfte Absicht sein… | |
keinen Rat gibt, sondern ihn nur empfängt. Er ist „slick“ im eigentlichen | |
Wortsinne: profillos. | |
## Die Heilige und die Hure | |
Seine große Liebe Laura hat nicht viel mehr zu tun, als genau das zu sein, | |
die große Liebe der Titelfigur. Sie ist die Heilige, die den Gegenpol | |
bildet zu der von Diaz gespielten Hure, der geldgeilen Malkina. Das kann | |
man hier wörtlich nehmen, denn die Anfangs beschriebene | |
Selbstbefriedigungsszene auf der Ferrari-Windschutzscheibe gilt tatsächlich | |
nicht ihrem Lover Reiner, der das Schauspiel am Steuer verfolgt, sondern | |
der Edelkarosse selbst. Diaz hat die dankbarste Rolle und sie füllt sie mit | |
offensichtlichem Spaß am Grand Guignol aus. | |
Bardem hat es da schwerer. In seiner nach „No Country for Old Men“ und | |
„Skyfall“ dritten Rolle als Bösewicht mit exzentrischer Haarpracht ist er | |
nicht durchtrieben genug, um in Erinnerung zu bleiben. Mit seiner | |
Neureichen-Version einer Johnny-Rotten-Stachelfrisur und jovialen Kumpelart | |
wirkt er gegenüber Diaz’ kühler Katzenhaftigkeit eher wie ein hilfloser | |
Clown. „Man darf alles mit Frauen machen, außer sie zu langweilen“, erklä… | |
Reiner einmal seinem Anwalt. | |
Es scheint in „The Counselor“ tatsächlich so, als ob alles Böse der Welt | |
daraus entstünde, dass Männer mit allen Mitteln versuchen, Frauen nicht zu | |
langweilen, oder dass gelangweilte Frauen selber ein bisschen Aufregung | |
suchen. In einer der absurderen Szenen des Films versucht etwa Malkina bei | |
einer Beichte einen katholischen Priester mit Schilderungen ihrer sexuellen | |
Ausschweifungen an- und aufzuregen – eine ihrer kleineren Sünden. | |
## Wie ein Werbefilmer | |
Die exaltierteren Szenen und Figuren würden besser in einem Film von Tony | |
Scott passen, Ridleys Bruder, der während der Dreharbeiten aus nicht | |
öffentlich gemachten Gründen in Los Angeles von einer Brücke in den Tod | |
sprang. Der Film ist ihm gewidmet. Tonys viel diskutierter „vulgar | |
auterism“, mit seinen rastlosen Kameras, hyperschnellen Schnitten und | |
Farbexzessen hätte vielleicht das passende Gegengewicht gebildet zu | |
McCathys Gewaltgeilheit, den freudig ausgestellten Klischees und den | |
gestelzten Dialogen. | |
Ridley Scott dagegen badet zwar wie ein Werbefilmer im Luxus der | |
kriminellen Halbwelt, bleibt aber ansonsten erstaunlich zurückhaltend, | |
selbst Musik setzt er nur sparsam ein. Anders gesagt: „The Counselor“ ist | |
viel zu geschmackvoll für die Geschmacklosigkeiten seines Drehbuchs. | |
27 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Sven von Reden | |
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