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# taz.de -- Kinostart Remake „Carrie“: Jetzt gibt's so richtig was aufs Maul
> Ohne eine Spur von Traurigkeit: Die Neuverfilmung von „Carrie“ lebt von
> drastischen Effekten. Das Spektakel von Schub und Wucht steht im
> Vordergrund.
Bild: Man sollte ihr besser nicht in die Quere kommen, sonst wird's blutig.
BERLIN taz | Das zum Remake von Brian De Palmas Horrorklassiker „Carrie“
viral gestreute Promovideo zeigt im „Verstehen Sie Spaß“-Modus eine auf den
ersten Blick fast alltägliche Cafészene: Ein junger Mann rempelt
versehentlich eine Frau an, die daraufhin ihren Kaffee verschüttet. Darüber
mächtig in Rage geraten, schleudert sie den Mann zum Entsetzen der
Kundschaft allein kraft telekinetischer Mächte wirkungsvoll an die Wand: Na
dem hat sie es aber gegeben!
In dieser Darstellung urbaner Überreiztheit illustriert das Video mit
verblüffender Ehrlichkeit, was an dieser neuen „Carrie“-Version so
herausragend falsch ist: Der Geschichte vom Außenseitermädchen Carrie White
(Chloë Grace Moretz), das unter ihrer fanatisch religiösen Mutter (Julianne
Moore) und präpotenten Mitschülern leidet und, einsetzend mit der ersten
Monatsblutung, telekinetische Fähigkeiten entwickelt, eignet bei De Palma
und Stephen Kings literarischer Vorlage noch eine tiefe Traurigkeit.
Selbst die finale, gewaltvolle Auseinandersetzung gibt diese nicht preis:
Wenn Carrie ihre Welt nach einer letzten Demütigung in Flammen aufgehen
lässt, bildet dies nur den Moll-Schlussakkord einer großen Tragödie. Pino
Donaggio hatte das bei De Palma mit seinen melancholischen Kompositionen
genauso verstanden wie die ätherisch flüsternde Hauptdarstellerin Sissy
Spacek, die der Figur noch im Exzess eine papieren-verschreckte Qualität
verlieh.
Promovideo samt Remake, der filmischen Vorlage ansonsten bis zur
sedierenden Nachplapperei sklavisch ergeben, erklären solche Sensibilitäten
für obsolet: Das Spektakel von Schub und Wucht steht ganz im Vordergrund.
## Der szenische Aufbau dient einer gewaltigen Triebabfuhr
Lässt Carrie nun ihren Kräften freien Lauf, äugt sie nicht nur evil wie
Ozzy Osbourne zu Black Sabbaths besten Zeiten, sondern zahlt es ihren
Peinigern auch mit dicker Schwarte heim: Jetzt gibt’s – drastische Musik,
drastische Effekte! – so richtig was aufs Maul.
Der szenische Aufbau hat damit am Ende weit weniger einer Denunziation
gewalthaltiger Sozialstrukturen gedient als vielmehr dem Build-up einer
gewaltigen Triebabfuhr: Bis zum Ende schön angestachelt, fiebert man gleich
zweimal mit, wenn es nun endlich mal den Richtigen an den Kragen geht.
Umso trauriger ist diese Preisgabe des Stoffs an die Bedürfnisse eines auf
Krawall gebürsteten Kinobetriebs, da man sich im Vorfeld mit Regisseurin
Kimberley Pierce, verantwortlich für das queere Indie-Drama „Boys Don’t
Cry“, durchaus Hoffnungen auf einen feministisch sensibleren Blick auf den
Stoff gemacht haben durfte.
4 Dec 2013
## AUTOREN
Thomas Groh
## TAGS
Film
Spike Lee
Folkmusik
Film
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