# taz.de -- Kinostart des neuen Ben-Stiller-Films: Das unersetzliche Original | |
> Ben Stillers „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ nimmt sich sehr | |
> erfolgreich das naive, lebendige Kino des klassischen Hollywood zum | |
> Vorbild. | |
Bild: Walter Milly (Ben Stiller) erlebt ein echtes Abenteuer: Nicht virtuell, s… | |
Es gibt bei dem Film, von Anfang an, einen Narzissmusverdacht: Ben Stiller, | |
einer der erfolgreichsten Comedians seiner Generation, möchte endlich ein | |
ernsthafter, schwergewichtiger Regisseur werden, schnappt sich dafür die | |
Remake-Rechte des Klassikers „The Secret Life of Walter Mitty“ (1947) und | |
übernimmt zu allem Überfluss auch noch die Hauptrolle eines Mannes, der | |
endlich einmal seine Träume ausleben möchte. | |
Mit dem ersten Mitty-Film, in dem es unter anderem um Pulp-Magazine und | |
Nazispione ging, hat der neue Film dabei nicht viel zu tun. Stiller | |
übernimmt lediglich einige Aspekte der Titelfigur: Auch sein Walter Mitty | |
ist ein Nobody, der sich ob seines wenig aufregenden Lebens in Tagträume | |
flüchtet – und der dann urplötzlich in eine wilde Geschichte gerät, neben | |
der die Träume alt aussehen. | |
Walter Mitty 2013 arbeitet im Fotoarchiv der Zeitschrift Life, die gerade | |
im Begriff ist, abgewickelt zu werden. Vor den Türen steht, was sonst, die | |
Digitalisierung. Mitty, der Zelluloidmensch aus den unteren, verkramten | |
Regionen des Verlagsgebäudes, ist noch mehr als der Rest des Magazins, ein | |
Relikt – dass seine Entlassung nur eine Frage der Zeit ist, macht ihm der | |
neue Boss Ted Hendricks (Adam Scott) unmissverständlich klar. | |
Vorher muss er das verloren gegangene Negativ ausfindig machen, das für das | |
letzte Titelbild auserkoren wurde und das irgendwo auf dem Weg vom | |
Starfotografen Sean O’Connell (Sean Penn) in die Untiefen des Archivs | |
verschüttgegangen ist. | |
Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive taugt das, was folgt, nämlich eine | |
abenteuerliche Jagd rund um den Globus, auf der Suche nach einem | |
unersetzlichen Original, natürlich erst recht als Argument für die | |
Digitalisierung, die, zumindest im journalistischen Alltag, das Original | |
schlicht und einfach abschafft. Hollywood macht daraus stattdessen einen | |
überdimensionierten Abgesang auf die Kultur des Analogen, auf das | |
Abenteuer, dem man sich nicht virtuell, sondern mit Haut und Haaren | |
hingibt: im Nordmeer von einem Fischdampfer aufgelesen werden, im Himalaja | |
mit Kids Fußball spielen. | |
## Tagträume im Blockbuster-Format | |
Natürlich kann man immer, wenn die hochtechnisierte und mit | |
Multimillionenbudgets ausgestattete Hollywoodmaschinerie das Loblied der | |
einfachen, unverformten Erfahrung singt, ideologiekritisch mäkeln. In | |
diesem Fall könnte man das sogar auf die materielle Basis beziehen: | |
Stillers Film ist zwar – wie, nebenbei bemerkt, immer noch erstaunlich | |
viele Filme, gerade in Hollywood – auf klassischem 35-mm-Film gedreht, aber | |
schon die Tagträume, in die sich Mitty flüchtet, haben nicht nur | |
Blockbuster-Format, sie sind auch mit allen digitalen Wassern gewaschen. | |
Doch muss man dem Film aus solchen Inkonsequenzen tatsächlich einen Strick | |
drehen? Ist es nicht gerade eine der großen Stärken der populären Kunst, | |
dass sie in der Lage ist, Widersprüche in sich aufzunehmen, ohne dass man | |
ihr gleich auch noch zumuten müsste, sie analytisch durchzuarbeiten? | |
Damit ich es los bin: Für mich ist „Walter Mitty“ einer der schönsten | |
Hollywoodfilme der letzten Jahre. Das beginnt schon damit, dass Stiller ein | |
verdammt guter Komödienregisseur auch dann ist, wenn er sich von dem Genre | |
zu emanzipieren versucht, das seine bisherige Karriere geprägt hat. | |
Das sieht man zum Beispiel, wenn der bis dahin dynamisch von Attraktion zu | |
Attraktion eilende Film in einer seiner schönsten Szene komplett zum | |
Stillstand kommt, in einer isländischen Bar, in der Stillers Mitty mit | |
einem volltrunkenen, übergewichtigen Helikopterpiloten (taucht sicher bald | |
in einer Apatow-Produktion auf: Ólafur Darri Ólafsson) konfrontiert wird, | |
der den Amerikaner so lange belästigt, bis der mit ihm gemeinsam die | |
Karaokebühne betritt und ein Lied über Liebeskummer singt. | |
## Ein unpolitischer Capra-Film | |
Wenn „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ von der Kritik bisher nicht | |
allzu viel Liebe abbekommt und derzeit neben den diversen | |
Oscar-Hoffnungsträgern, zu denen er auch gerne zählen würde, eher fehl am | |
Platz wirkt, dann liegt das vielleicht daran, dass Stiller auch jenseits | |
aller Zelluloidnostalgie einen zutiefst unzeitgemäßen Film gedreht hat, der | |
zwar mit seinem eigenen Original wenig, mit dem klassischen Hollywoodkino, | |
dessen Produkt dieses Original war, dafür umso mehr zu tun hat. | |
Im Kern ist „Walter Mitty“ Stillers Versuch, einen Frank-Capra-Film zu | |
drehen. Gut, einen unpolitischen Capra-Film, einen, dessen Sentiment nicht | |
mehr die gesamte Gesellschaft im Blick hat; aber doch ein Film, der mit den | |
Mitteln der Illusionsmaschine Kino das Band zur Welt wiederherstellen will, | |
und sei es nur fürs auf sich selbst zurückgeworfene Individuum: Mister | |
Mitty geht nicht mehr nach Washington, aber immerhin geht er in die Welt | |
hinaus. | |
Der größte Coup des Films ist, dass das Band zur Welt das Gesicht Sean | |
Penns erhält, des letzten großen, romantischen Verrückten des | |
Gegenwartskinos. Wenn Penn als Survival-Reporter O’Conell Mitty aus einer | |
Fotografie heraus, über geografische und mediale Abgründe hinweg zuwinkt, | |
winkt mit ihm ein anderes, naiveres, lebendigeres Kino in die | |
durchironisierten Multiplexe hinein. | |
1 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Lukas Foerster | |
## TAGS | |
Film | |
Kinostart | |
Kino | |
Spike Lee | |
Film | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer Film mit Robert Redford: Überlebenskampf auf offenem Meer | |
Das Boot zerstört, die Funkanlage defekt: Regisseur J. C. Chandor lässt | |
seinen Held allein auf hoher See. Ein stiller Kampf – Redford braucht nicht | |
zu schreien. | |
Das F-Wort im Film: Tourette für Fortgeschrittene | |
Die Börsen-Satire „The Wolf of Wall Street“ bricht einen Rekord. Nie in der | |
Filmgeschichte wurde das F-Wort so oft gesagt wie in Scorseses neuem Film. | |
Kinostart „Les salauds – Dreckskerle“: Aus der Dunkelheit hervorgezerrt | |
Der neue Film der französischen Regisseurin Claire Denis: „Les salauds – | |
Dreckskerle“, ist ein seltsam-verstörendes Mischwesen aus B-Movie und | |
Kunstkino. | |
Kinostart „Genug gesagt“: Und brummt sich bärig eins | |
Nicole Holofceners Film „Genug gesagt“ schärft den Blick für die flüchti… | |
Dinge und schenkt James Gandolfini eine besonders schöne Szene. | |
Kinostart „Oldboy“: Entgrenzte Körper | |
„Oldboy“ von Spike Lee beruht auf einem Rachedrama des koreanischen | |
Regisseurs Chan-wook. Zerstörungswut findet keine kathartische Auflösung. | |
Kinostart Remake „Carrie“: Jetzt gibt's so richtig was aufs Maul | |
Ohne eine Spur von Traurigkeit: Die Neuverfilmung von „Carrie“ lebt von | |
drastischen Effekten. Das Spektakel von Schub und Wucht steht im | |
Vordergrund. | |
Kinostart von „The Counselor“: Auf der Windschutzscheibe befriedigt | |
Geschmackvoller Umgang mit Geschmacklosem: Ridley Scotts „The Counselor“ | |
ist bizarr, badet im Luxus der Halbwelt und könnte zum Kultfilm taugen. |