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# taz.de -- Kinostart „Les salauds – Dreckskerle“: Aus der Dunkelheit her…
> Der neue Film der französischen Regisseurin Claire Denis: „Les salauds –
> Dreckskerle“, ist ein seltsam-verstörendes Mischwesen aus B-Movie und
> Kunstkino.
Bild: Die Dunkelheit korrespondiert mit der Sprachlosigkeit der Figuren: Chiara…
Gesichter wie das von Vincent Lindon hat das französische Kino schon oft
hervorgebracht, markante Züge, etwas schwerfällig, wortkarg, von den Jahren
körperlicher Arbeit gezeichnet, aber auf gewöhnliche Weise auch gut
aussehend und mit einer leichten Melancholie im taxierenden Blick.
Erinnerungen an den späten Belmondo, der seine Karriere mit billigen
Actionreißern ausklingen ließ, werden wach. Heute ist dieser Typ im
französischen Kino aus der Mode gekommen; aber in „Les salauds –
Dreckskerle“, dem neuen Film von Claire Denis, erlebt er eine Renaissance.
In „Les salauds – Dreckskerle“ spielt Lindon ein Prachtexemplar an
Virilität. Der Frachtschiffkapitän Marco Silvestri wird durch einen Notruf
nach Paris zurückbeordert: Sein Schwager und ehemals bester Freund hat sich
das Leben genommen, seine Nichte Justine befindet sich nach einer
Vergewaltigung in ärztlicher Obhut. Wieder zu Hause, findet Marco eine
Familienkonstellation vor, die er längst hinter sich gelassen glaubte.
## Fruchtbare Kollaboration
Denis liefert nur wenige Anhaltspunkte zu Marcos Vorgeschichte oder zu den
Umständen seiner Rückkehr, und ähnlich opak arbeitet ihr die Kamerafrau
Agnès Godard zu, die die meisten Filme von Denis fotografiert hat. „Les
salauds – Dreckskerle“, der erste digital gedrehte Film in dieser
fruchtbaren Kollaboration, tastet sich erst langsam aus der Dunkelheit
hervor.
Natürlich sind die Schwärzen in den Bildern moderner Digitalkamera heute
tiefgründiger und vielschichtiger als noch vor wenigen Jahren, doch es geht
Denis gar nicht so sehr darum zu zeigen, was sich in der Dunkelheit
verbirgt. Das Schwarz ist bei ihr vor allem ein dramaturgisches Mittel. Die
Verdunklung findet Entsprechung in der Sprachlosigkeit der Figuren.
Am erschreckendsten ist die Sprachlosigkeit der traumatisierten Justine,
von Lola Créton (momentan eine der interessantesten Darstellerinnen
Frankreichs) mit todesmutiger Erschöpfung gespielt. „Ich bin für dich da“,
verspricht Marco ihr am Krankenbett, als sich die junge Frau bereits im
freien Fall befindet. Nackt und blutüberströmt wird sie nachts von der
Polizei aufgegriffen, ein zentrales Motiv in der Galerie von
Schreckensbildern, die Denis' Film aus der Dunkelheit hervorzerrt.
Ein anderes Schreckensbild ist ein videoüberwachter, dämmeriger Raum auf
dem Land, in dem Justines Martyrium seinen Anfang nahm. Auch an diesen Ort
wird Marco seine Suche führen, die wie der gesamte Film keiner
vorhersehbaren Struktur folgt. Stattdessen wird der männliche Protagonist
zum Spielball undurchsichtiger Kräfteverhältnisse und Interessen.
## Schemenhafte Rachegeschichte
Auch der Zuschauer behält in dieser Gemengelage nur schwerlich den
Überblick, obwohl sich Denis mit „Les salauds – Dreckskerle“ eigentlich …
eine schnörkellose Rachegeschichte bezieht. In Akira Kurosawas
Noir-Klassiker „Die Bösen schlafen gut“ (1960) rächt ein junger Mann über
alle Klassengrenzen hinweg den Selbstmord seines Vaters: Er heiratet die
Tochter eines Industriemagnaten, den er für den Tod seines Vaters
verantwortlich macht.
Von diesem Kernthema ist bei Denis lediglich das zerrüttete
Gesellschaftsbild geblieben. Die Geschichte selbst hat sie so weit
entkernt, dass der Racheplot als vage Erzählbewegung zu erahnen ist. Marco
hat sich in das Wohnhaus einer jungen Frau eingemietet. Raphaëlle (Chiara
Mastroianni) wird in den Gesellschaftsmagazinen als aktuelle Freundin jenes
Mannes vorgeführt, den Marcos Schwester Sandra als Schuldigen am Tod ihres
Mannes ausmacht. Und auch in den Missbrauch Justines ist dieser Edouard
Laporte (Michel Subor) irgendwie verwickelt.
Um dem unantastbaren Geschäftsmann näherzukommen, beginnt Marco eine Affäre
mit Raphaëlle, wodurch sich das Rache-Motiv des Films allerdings auch nicht
dramatisch zuspitzt. Denis verfährt stattdessen mit einer interessanten
zweigleisigen Strategie: Sie verdichtet die Geschichte durch den Verzicht
auf Übergangsszenen, was dem Film eine atemberaubende erzählerische
Effizienz verleiht. Der Zuschauer ist gewissermaßen gezwungen, die
Kausalkette der Montage selbst zu rekonstruieren. Gleichzeitig baut der
Film eine Binnenspannung auf, da Denis das Erzähltempo innerhalb ihrer
Einstellungen auf atmosphärischen Umwegen verschleppt.
So ist „Les salauds – Dreckskerle“ eine seltsam-verstörende Hybride aus
B-Movie und Kunstkino, in dem Lindon mit seiner anachronistischen Physis
tatsächlich wie ein Relikt aus anderen Realität wirkt. Der Plural
„Dreckskerle“ klingt vielleicht eine Spur zu polemisch, weil
unterschiedliche Beweggründe die Gewalt der Figuren forcieren. Denis legt
allerdings auch nahe, dass am bitteren Ende keine der Figuren die
moralische Hoheit für sich beanspruchen kann.
26 Dec 2013
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Kino
Film
Francois Hollande
Cannes
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