# taz.de -- Filmfestspiele Cannes: Kessel mit Loch | |
> Die 66. Filmfestspiele eröffnen prunkvoll mit „The Great Gatsby“. Im | |
> Wettbewerb laufen 20 Filme, viele stimmen sehnsüchtig – nur die Frauen | |
> fehlen. | |
Bild: Alles Cannes, nichts muss | |
CANNES taz | Am Montagnachmittag steht eine ältere Frau vor dem Restaurant | |
de Coeur in der Rue des Halles unweit des Marktes und fragt, wann es | |
öffnet. Wir verstehen sie im Vorübergehen zuerst nicht recht, aber dann | |
halten wir an, sie wiederholt ihre Frage, und wir schauen uns den Aushang | |
an. | |
„Dienstag“, antworte ich. „Um wie viel Uhr?“, möchte die Frau wissen. … | |
Uhr.“ Wir fragen uns, ob sie nicht gut sieht oder nicht lesen kann. Am | |
Dienstagvormittag herrscht Betrieb in der Kleiderausgabe, und ein Schild | |
gibt bekannt, dass der Teller Lasagne für zwei Euro zu haben ist. Ein wenig | |
später lese ich in „M“, der illustrierten Beilage von Le Monde, dass ein | |
Festivalbesucher im Durchschnitt für eine Nacht im Hotel 340 Euro ausgibt. | |
Am Mittwochabend werden die 66. Filmfestspiele von Cannes im Grand Théâtre | |
Lumière mit einem Film eröffnet, für den Verschwendung sicherlich ein | |
passender Begriff ist: „The Great Gatsby“ ist ein Spektakel des | |
australischen Regisseurs Baz Luhrmann, in den tragenden Rollen spielen | |
Leonardo DiCaprio, Carey Mulligan und Tobey Maguire. Es ist die vierte | |
Kinoverfilmung des Romans, den F. Scott Fitzgerald im Sommer 1924 in einem | |
Ort nicht weit von Cannes niederschrieb. | |
In den USA, Kanada, Indien und anderswo läuft „The Great Gatsby“ bereits im | |
Kino, und in vielen europäischen Ländern, auch in Deutschland, startet er | |
in dieser Woche. Das ist nicht gerade ein exklusiver Auftakt für das | |
weltweit wichtigste Filmfestival, aber sicherlich ein prunkvoller: Der | |
australische Regisseur [1][Baz Luhrmann], vor zwölf Jahren mit „Moulin | |
Rouge“ zu Gast an der Croisette, ist bekannt für bombastische | |
Inszenierungen. | |
## Sehnsucht und Hoffnung | |
Den Roaring Twenties rückt er mit 3-D zu Leibe, mal sehen, wie sich das | |
berühmte grüne Licht, dieser Inbegriff von Sehnsucht und Hoffnung, macht, | |
wenn es dreidimensional über die Bucht zu uns hinüberleuchtet. | |
Im Wettbewerb laufen 20 Filme, darunter viele, die sehnsüchtig und | |
hoffnungsvoll stimmen, beispielsweise neue Arbeiten von [2][Jia Zhangke], | |
Arnaud Desplechin, Takashi Miike, Mahamat-Saleh Haroun oder [3][Nicolas | |
Winding Refn]. Ein Beitrag stammt von einer Frau: „Un château en Italie“ | |
von Valeria Bruni Tedeschi. Ein Fortschritt: Im letzten Jahr war’s kein | |
einziger, was damals zu Protesten und Unterschriftenaktionen führte. | |
Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die New Yorker Guerilla Girls die | |
Frage, ob Frauen nackt sein müssen, um ins Museum zu kommen, vor 24 Jahren | |
lancierten, hat man den Eindruck, die Zeit stehe still in Südfrankreich. | |
Thierry Frémaux, als künstlerischer Leiter für die Filmauswahl | |
verantwortlich, rechtfertigt sich, indem er argumentiert, es würden | |
insgesamt nur wenige Filme von Frauen gedreht und dementsprechend wenige | |
eingereicht. | |
In der Reihe „Un certain régard“ würden außerdem neue Filme von Sofia | |
Coppola, Claire Denis, Rebecca Zlotowski und anderen Regisseurinnen laufen. | |
Und sollte es, Gott sei bei uns!, je zu einer Quote kommen, dann hätten die | |
Filmemacherinnen das Problem, dass man ihnen nachsagen könnte, eben nur der | |
Quote wegen ausgewählt worden zu sein. | |
Mich erinnert das an eine Geschichte, die Sigmund Freud einst erzählte: A. | |
hat sich von B. einen Kessel geliehen. Als er das gute Stück zurückgibt, | |
hat es ein Loch. Zu seiner Verteidigung bringt A. Folgendes vor: Erstens | |
habe der Kessel bereits ein Loch gehabt, als er ihn geliehen habe, zweitens | |
weise der Kessel zum Zeitpunkt der Rückgabe keinen Makel auf. Und drittens | |
habe er überhaupt nie einen Kessel geliehen. | |
15 May 2013 | |
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## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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