| # taz.de -- Kolumne Cannes Cannes: Apotheosen im Paillettenanzug | |
| > Sich balgende Männer und Erektionen im Close-up: Steven Soderberghs | |
| > „Behind the Candelabra“ und Alain Guiraudies „L’inconnu du lac“ | |
| > begeistern in Cannes. | |
| Bild: Balgende Männer in Steven Soderbergs „Behind the Candelabra“: Michae… | |
| Michel Piccoli sitzt in der Salle Débussy, nur zwei Reihen von mir | |
| entfernt, es ist die Premiere von Alain Guiraudies neuem Film | |
| „[1][L’inconnu du lac]“, der in der Nebenreihe „Un certain régard“ l… | |
| Die Menschen im Saal stehen auf, um dem Schauspieler zu applaudieren. Viele | |
| zücken ihre Smartphones, weil sie ihn fotografieren möchten, auch ich mache | |
| drei verwackelte Schnappschüsse. | |
| Ich mag diese Augenblicke, wenn einer der großen Stars des französischen | |
| Kinos in Cannes ins Kino geht, aus Neugier auf das Werk der Kollegen. All | |
| die Filme, in denen man ihn gesehen hat, tauchen dann für einen Moment vor | |
| dem inneren Auge auf, von den Bürgerschreck-Arbeiten Buñuels über Manoel de | |
| Oliveiras „Je rentre à la maison“ bis zu „Holy Motors“ von Leos Carax. | |
| Und das Schönste: Der Film von Guiraudie hält das hohe Niveau. Er ist einer | |
| der Höhepunkte auf diesem ohnehin sehr reichen Festival. Er spielt im | |
| Sommer, an einem großen See, am Ufer treffen sich schwule Männer, sie | |
| ziehen sich aus, liegen nackt in der Sonne, selten habe ich so viele | |
| entblößte Hoden auf einer Leinwand gesehen, die Männer schwimmen im | |
| türkisfarbenen Wasser, sie plaudern, und ab und zu verschwinden sie im | |
| Wald, um Sex zu haben. | |
| Der ist dann so gefilmt, wie man es im Arthousekino normalerweise nicht | |
| sieht. Es gibt Erektionen, die in Mündern verschwinden, eine überraschende | |
| Vielfalt an Stellungen, und eine aus der Nähe betrachtete Ejakulation gibt | |
| es auch. Guiraudie filmt den Sex aber weniger, um zu schocken oder zu | |
| provozieren, sondern weil es sich dabei um eine menschliche Begegnung | |
| handelt, die es verdient, in all ihren Formen und Nuancen erforscht zu | |
| werden. | |
| ## Bukolisches Idyll | |
| Im Wasser, weiß einer, der sich etwas abseits hält, weil er nicht so | |
| richtig dazugehört, gebe es Welse, die fünf Meter groß würden. Gesehen hat | |
| noch niemand einen solchen Fisch, doch damit ist klar: Es lauert eine | |
| Gefahr in diesem bukolischen Idyll. Sie materialisiert sich wenig später in | |
| Gestalt von Michel (Christophe Paou), der ausschaut, als wäre er Tom | |
| Selleck, und mit dem der Protagonist Franck (Pierre de Ladonchamps) eine | |
| Affäre beginnt, obwohl er eines Abends beobachtet hat, wie Michel seinen | |
| bisherigen Lover solange unters Wasser drückt, bis der junge Mann nicht | |
| mehr auftaucht. | |
| „L’inconnu du lac“ bleibt bis zum Schluss unberechenbar und offen, der Fi… | |
| löst seine Rätsel nicht, und er hält auf wunderbare Weise die Balance | |
| zwischen der freundlichen Betrachtung schwuler Männer im Sommer und einer | |
| darüber hinaus weisenden, fast mythologischen Qualität. Guiraudie lässt | |
| Eros und Thanatos miteinander balgen wie junge Hunde, und sein Film ist so | |
| frisch wie der Wind, der die Kronen der Bäume zaust. | |
| Auch Steven Soderbergh lässt zwei Männer balgen. Sein für den | |
| US-amerikanischen Fernsehsender HBO gedrehter Film „[2][Behind the | |
| Candelabra]“ (Wettbewerb) geht auf eine wahre Geschichte zurück; der | |
| Entertainer und Pianist Lee Liberace, im Film von Michael Douglas gespielt, | |
| führt in den späten Siebzigern, frühen Achtzigern eine eheähnliche | |
| Beziehung zu einem jungen Mann namens Scott Thorson (Matt Damon). | |
| In der Öffentlichkeit gilt er als heterosexuell, und es liegt ihm viel | |
| daran, dieses Image zu bewahren. Die Beziehung hat viele Asymmetrien, | |
| Liberace ist alt, reich, berühmt und einsam, Thorson jung, sexy und bereit, | |
| sich den exzentrischen Wünschen des Geliebten anzupassen – bis hin zu einer | |
| Gesichtsoperation, der er sich unterzieht, damit er aussieht wie Liberace | |
| als junger Mann. | |
| Am Anfang des Films hat man manchmal den Eindruck, Soderbergh führe den | |
| flamboyanten Lebensstil von Liberace und Thorson vor, indem er die | |
| Schoßhunde, Pelzmäntel und Paillettenanzüge, all diese Requisiten der | |
| Tuntigkeit, etwas zu genüsslich ins Bild rückt. Doch je länger „Behind the | |
| Candelabra“ dauert, umso mehr hat man den Eindruck, dass es dem Regisseur | |
| sehr ernst ist. Man begreift es spätestens dann, wenn Liberace in einer der | |
| letzten Szenen vom Bühnenboden abhebt und nach oben schwebt. Apotheosen | |
| sind auch im Paillettenanzug möglich. | |
| 21 May 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://vimeo.com/66306165 | |
| [2] http://www.youtube.com/watch?v=QqAC1yiIROw | |
| ## AUTOREN | |
| Cristina Nord | |
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